Redebeitrag für den Ostermarsch 2024 in Friedrichshafen am 1. April 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort –

 

Herzlich willkommen in Friedrichshafen,

 „Friedrichshafen, eine Stadt und jede Menge Inspiration. Hier verbindet sich das Leben in der Stadt mit der einzigartigen Natur, dem Bodensee und dem einmaligen Alpenpanorama.“

Mit diesen Worten des Häfler Oberbürgermeisters Andreas Brand werden die Besucherinnen und Besucher im Hafenguide 2024 in der Zeppelinstadt Friedrichshafen begrüßt.

Heute möchte ich den Blick ungeachtet der zutreffenden Worte auf eine andere Seite der Stadt Friedrichshafen lenken, auf die Geschichte in Friedens- und in Kriegszeiten. Ich tue das als Bürger dieser Stadt. Mittlerweile rund 35 Jahre bin ich Teil dieser Stadt und ihrer Geschichte. Ich engagiere mich in der evangelischen Kirche in Friedrichshafen unter anderem für den Frieden.

Noch einmal zitiere ich aus dem Hafenguide: „Was bei einem Besuch nicht fehlen sollte: Den 22 Meter hohen Aussichtsturm an der Hafenmole erklimmen. Von hier bietet sich ein grenzenloser Ausblick auf den See, das Alpenpanorama und die Stadt!“ so OB Andreas Brand. Auch diese Aussage trifft zu – zumindest heute.

1944, nach Luft-Angriffen der Alliierten, hätte sich ein Bild der Zerstörung geboten. Eingebrannt ins Gedächtnis hat sich besonders der Angriff am 28. April 1944 durch 322 viermotorige Lancaster-Bomber, die Friedrichshafen um 1:05 Uhr erreichten, vollgepackt mit fast 600 Tonnen Sprengbomben und über 500 Tonnen Brandbomben. Binnen einer Viertelstunde brannte die ganze Stadt, nach 70 Minuten lag die Altstadt in Schutt und Asche. Mehr als 200 Menschen starben in dieser Nacht. Insgesamt waren es bei den diversen Luftangriffen zwischen 500 und 700 Bürgerinnen und Bürger. Die Zahl der Opfer unter den Zwangsarbeitern kann nur geschätzt werden – sie dürfte ebenfalls in die Hunderte gehen.

Dieser Angriff war für viele ein Schock  -  andere hatten damit längst gerechnet : Die Zerstörung Friedrichshafens als Rüstungs-Stadt wurde von den Machthabern in Berlin erwartet und damit bewusst in Kauf genommen: Bereits 1940 fertigte der Leiter des Stadtplanungsamts Friedrichshafens einen Neuentwurf der Stadt. 1941 entstand bereits ein zweiter Entwurf. Der Buchhorn-Platz, auf dem wir jetzt stehen, war, deutlich großflächiger angelegt, als Adolf-Hitler-Platz geplant. Noch im Januar 1945 tauchen diese Wiederaufbaupläne in Berlin bei Reichsminister Speer auf – Friedrichshafen lag da längst in Schutt und Asche.

Die Gefährdung von Friedrichshafen als Rüstungsstandort war nicht neu: das hatte man bereits im ersten Weltkrieg erlebt – wenngleich in geringerem Ausmaß. Damals war das Zeppelin-Werftgelände Ziel von Angriffen, auch hierbei wurden Wohnhäuser zerstört und Menschen verletzt.

Die Luftangriffe in der Zeit von 1943 - 1945 galten in erster Linie den Rüstungsbetrieben. Friedrichshafen ist Teil der auf Vernichtung programmierten Rüstungsmaschinerie im Dritten Reich. Doch bereits lange vorher waren Rüstungsindustrie und auch Rüstungsexporte Motor der Stadt-Entwicklung:

Das beruhigend wirkende Brummen der Zeppeline heute, die ihre Runden über Stadt und See mit zahlenden Gästen drehen, gehört zur Zeppelinstadt Friedrichshafen. Am 2. Juli 1900 stieg das erste Zeppelin-Luftschiff hier in Friedrichshafen auf. Graf Zeppelin dachte allerdings nicht an eine zivile Luftfahrt. Die Zeppeline wurden insbesondere zum Einsatz für das Militär gebaut und im ersten Weltkrieg auch eingesetzt. Rund einhundert Zeppeline flogen nicht nur Aufklärungsflüge, sondern auch Bombenangriffe auf mehrere europäische Städte, London ist nur ein Beispiel hierfür. Bis Kriegsende sterben weit über fünfhundert Menschen durch die Luftschiff-Angriffe auf Großbritannien.

Trotz Luftschiffbau wurde schon ab 1912 auch in den Flugzeugbau investiert, Claude Dornier entwickelte zunächst Ganzmetall-Flugboote und dann auch Landflugzeuge. Neben Flugzeugen für den zivilen Einsatz lag der Fokus auf dem Bau von Militärflugzeugen.
Mit diesen Flugzeugen wurde ein weiteres Mal von Friedrichshafen aus Vernichtung, Zerstörung und unsägliches Leid in die Welt gebracht.

Und das bereits vor dem zweiten Weltkrieg: Eine Dornier DO 17 flog den ersten Angriff auf die baskische Stadt Gernika für den spanischen Faschisten Franco, der gegen die demokratisch gewählte Regierung putschte und von Hitler-Deutschland und dem ebenfalls faschistischem Italien unterstützt wurde. Pablo Picasso hat den Schrecken und den Tod, den deutsche und italienische Bomber über die Stadt brachten, in seinem monumentalen Gemälde „Guernica“ verewigt.

Im Dritten Reich schließlich war Friedrichshafen das deutsche Zentrum für Panzermotoren und -getriebe: 140.000 Otto-Motoren liefen bei der Maybach-Motorenbau GmbH vom Band.

Der Bau von Motoren für die deutsche Wehrmacht – nahezu alle deutschen Panzer fahren mit Maybach-Motoren – macht den Maybach-Motorenbau damit im Zweiten Weltkrieg zu einem führenden Rüstungsbetrieb.

Von der Zahnradfabrik wurden 1000 Panzergetriebe pro Monat hergestellt.

Die Luftschiffbau Friedrichshafen GmbH fertigte Funkmessgeräte und Radaranlagen. Ebenfalls erfolgte die Produktion von Mittelteilen der Rakete A4, der V2 – Vernichtungswaffe 2, in Friedrichshafen, Raketentriebwerke wurden auf einem eigens eingerichteten Gelände getestet.

Fast 40 Typen von Kriegsflugzeugen baute die Dornier-Metallbauten GmbH bis 1943.

Zerstörung, Tod und Leid gingen von Friedrichshafen aus in die Welt. Und hier in Friedrichshafen erlebte man als Antwort darauf genau das Gleiche.

Ein Blick auf die Geschichte Friedrichshafens wäre unvollständig ohne einen Blick auf die Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge. Spätestens seit Juni 1941 müssen hier insgesamt ca. 14.000 zwangsweise rekrutierte Männer, Frauen und auch Kinder sowie ab 1943 rund 1.200 Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau insbesondere für die Rüstungsindustrie arbeiten. Massenquartiere für die Zwangsarbeiter und die Häftlinge wurden u.a. für die kriegswichtigen Rüstungsfirmen Dornier Metallbauten, Luftschiffbau Zeppelin, Maybach Motorenbau und die Zahnradfabrik Friedrichshafen erstellt. Die Lebensbedingungen in diesen Barackenlagern waren schlecht bis katastrophal. Die Stadt Friedrichshafen hat sich sehr lange schwer getan mit diesem Kapitel der Geschichte – Gedenkstätten seitens der Stadt entstanden erst ab 1998.

Zum 50. Jahrestag der Bombardierung Friedrichshafens kam erstmals eine Gruppe ehemaliger niederländischer Zwangsarbeiter auf eigene Initiative nach Friedrichshafen. Zur Einweihung des Mahnmals für die Opfer des Nationalsozialismus im April 1998 kamen neben der Gruppe niederländischer Überlebender erstmals eine kleine Gruppe ehemaliger Zwangsarbeiter aus Polen, der Ukraine, Russland und Belarus, wie auch zwei ehemalige polnische Häftlinge des Friedrichshafener KZ-Außenlagers an den Ort des Schreckens zurück. Für mich ist das ein wichtiger Punkt und nicht nur eine Randnotiz: Erinnerung ist nötig, das Eingeständnis von Versagen und Schuld ist nötig. Und dann wird auch Verständigung möglich – vielleicht sogar Versöhnung.

Die Ära der Stadt als Rüstungsstandort hat 1900 begonnen. Und sie ist noch nicht beendet: Waffen vom Bodensee und auch aus Friedrichshafen tragen weiter den Tod in die Welt. MTU-Motoren u.a. für Panzerfahrzeuge und Kriegsschiffe werden nicht nur von der Bundeswehr eingesetzt, sondern auch von vielen anderen Ländern. Nur zwei Beispiele: Bis 2020 hatte die Volksrepublik nach Daten des Friedensforschungsinstituts sipri über eine Lizenzfertigung in China Zugang zu MTU-Motoren für Schiffsantriebe. Eine Anfrage aus China zur Lieferung von MTU-Motoren zum Bau von U-Booten für Thailand wurde nun negativ beschieden – das bleibt hoffentlich dabei!

Die Bundesregierung hat aktuell eine deutsche Beteiligung am Bau indischer Kampfpanzer genehmigt. Zwei MTU-Dieselmotoren aus Friedrichshafen dürfen für einen Prototypen geliefert werden.

Es ist an der Zeit, die Ära der Rüstungsexporte zu beenden und einen europäischen Beitrag zu leisten für Frieden und Klimagerechtigkeit. Wir können das!

Auch wenn andere das als naiv ansehen: Unser Versagen, hier in Friedrichshafen, in Deutschland und Europa liegt nicht darin, zu wenig investiert zu haben in tödliche Waffensysteme oder in europäische Rüstungskooperationen. Unser Versagen liegt darin, dass wir nicht genug miteinander geredet haben, keine Vertrauensbasis geschaffen haben und zu wenig investiert haben, um Frieden hier in Europa, aber auch im Nahen Osten und in der ganzen Welt zu sichern und zu bewahren.

Dennoch sehe ich Hoffnungszeichen in Friedrichshafen: Ich habe die Hoffnung, dass die Kräfte in dieser Stadt zusammenwirken zum Frieden.

Der Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen ist Mayor for Peace. Die Organisation Mayors for Peace wurde 1982 durch den Bürgermeister von Hiroshima gegründet. Aus der Überlegung heraus, dass Bürgermeisterinnen und Bürgermeister für die Sicherheit und das Leben ihrer Bürgerinnen und Bürger verantwortlich sind, versucht die Organisation Mayors for Peace durch Aktionen und Kampagnen die weltweite Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern und deren Abschaffung zu erreichen. In einer Vision von 2021 werden drei Ziele formuliert: Verwirklichung einer Welt ohne Atomwaffen, die Schaffung von sicheren und lebendigen Städten und die Förderung einer Kultur des Friedens.

Wäre OB Andreas Brand heute hier, würde er unseren Dank persönlich empfangen. Angesichts der unsäglichen Diskussionen um einen atomaren Schutzschirm – als ob es den geben könnte oder wir gar unsere Hoffnung darauf setzen könnten - ist die Haltung der Mayor for Peace längst nicht selbstverständlich. Diese Haltung ist aber der einzige Lösungsansatz:  Die Abschreckungspolitik kann und muss beendet werden. Wir wollen und brauchen keine Atomwaffen. Damit schaffen wir keinen Frieden. Das Drohen mit Vernichtung ist kein Weg zum Frieden. Das können nur Gespräche und Verhandlungen schaffen.

Wir haben nicht nur einen Mayor for Peace, der weitere Impulse zur Förderung einer Kultur des Friedens geben kann.

Wir befinden uns in einer Stadt, die das Thema Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit zunehmend ernst nimmt:

Teil des Kompetenznetzes Klima Mobil

  • seit 2015 Fairtrade Town
  • seit 25 Jahren im Klima-Bündnis
  • seit 2006 Teilnahme am European-Energy-Award, seit 2012 Auszeichnung mit dem European Energy Award Gold und
  • als erste Stadt in Deutschland mit dem European Climate Adaptation Award ausgezeichnet.

Wir haben engagierte Bürgerinnen und Bürger, von denen viele auf die Straße gegangen sind für Demokratie und eine offene Gesellschaft und die sich einsetzen für den Frieden. Wir haben Denkfabriken und Lern- und Erinnerungsorte. Wir haben Gewerkschaften.Wir haben Parteien und Initiativen. Ein Beitrag der Kirchen könnten kreative Impulse zum Umsetzen des Jahresmottos, der Jahreslosung für 2024 sein: Alles, was ihr tut, das geschehe in Liebe. Dieses Motto gilt in Friedens- und gerade auch in Kriegszeiten und über alle religiösen Grenzen hinweg.Wir haben ein Netzwerk, das über Friedrichshafen weit hinaus reicht – der Internationale Bodensee-Friedensweg ist ein großes Zeichen für dieses Netz. Und deshalb sage ich noch einmal: Herzlich willkommen hier in Friedrichshafen!

Ich habe die Vision, dass in einigen Jahren, wenn der Bodensee-Friedensweg wieder einmal zu Gast hier in Friedrichshafen sein wird, die Begrüßung beginnen kann mit den Worten: Willkommen im Hafen des Friedens!  

Vielen Dank.

 

Günter Weber ist aktiv in der Friedensbewegung am Bodensee.