Redebeitrag für den Ostermarsch in Hamm am 30. März 2024

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und -Freunde!

Martin Güttner (M.G.): Ich bin katholischer Diakon und seit 1970 Kriegsdienstverweigerer und auch heute noch Pazifist. Heute stehe ich hier mit der neugewählten Vorsitzenden der alevitischen Gemeinde Hamm und Umgebung, um unserem Wunsch nach Frieden Ausdruck zu verleihen. Seit meiner Kriegsdienstverweigerung bin ich auch Mitglied im deutschen Zweig des internationalen Versöhnungsbundes, aus dessen Reihen 6 Friedensnobelpreisträger stammen. Damals war für mich die Kriegsdienstverweigerung ein einsamer Weg, denn meine Kirche hatte erst wenige Jahre zuvor, beim 2. Vatikanischen Konzil, diesen Weg als möglichen Weg für Christen eingeräumt. Und auch heute stehen Pazifisten wieder auf sehr einsamen Posten in unserer Gesellschaft, wird ihnen doch unterstellt, aus der Zeit gefallen zu sein. Aber sind es nicht gerade diejenigen, die heute noch glauben, mit Waffen, Bomben und Raketen, mit Drohnen und KI gestützten Tötungsmaschinen Besitzansprüche auf diesem Planeten durchsetzen zu können, die nicht begriffen haben, dass die Klimakrise, das Artensterben, die auseinanderklaffende Schere zwischen arm und reich nur durch weltweite, gemeinsame Anstrengungen angegangen und einer Lösung nähergebracht werden können?

Schauen wir uns doch die von unserem Bundeskanzler so betonte Zeitenwende einmal näher an. Schenken wir unseren Wissenschaftlern Glauben, so existiert seit etwa 2,6 Mio Jahren menschliches Leben auf diesem Planeten, der Erde. Würden wir jedes Jahr auf einem Maßband als 1mm darstellen, wir bräuchten ein Maßband von 7300 km, um die Zeit bis zum Urknall, 7,3 Mrd. Jahre, darzustellen, eine Entfernung von hier bis nach Miami. Die letzten 200 Jahre, die Zeit der Industrialisierung, entsprächen 20cm auf diesem Zeitstrahl. Welche Hybris, angesichts dieser Dimensionen eine Zeitenwende zu proklamieren. Der Planet Erde braucht uns nicht, aber wir brauchen die Erde, um eine Zukunft zu haben für uns und unsere Kinder, Enkel und Urenkel. Noch haben wir die Wahl, ob wir als Menschheit dem Leben, allem Leben dienen, oder ob wir die Geschichte der menschlichen Spezies dem Vergessen preisgeben wollen.

Cansel Kaplan (C.K.): Angesichts der dringenden Notwendigkeit, sich für den Frieden einzusetzen, haben wir, Martin Güttner und ich, uns heute zusammengefunden. Als Vertreter unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften und doch vereint im Streben nach Frieden und Harmonie, stehen wir hier Seite an Seite, um ein starkes Zeichen gegen Kriege und für eine friedliche Zukunft zu setzen.

In einer Welt, die von Konflikten und Gewalt geprägt ist, ist es unsere gemeinsame Verantwortung, für eine Zukunft ohne Krieg einzutreten. Wir lehnen jede Form von militärischer Aufrüstung ab und setzen uns stattdessen für Abrüstung und friedliche Konfliktlösungen ein.

Unabhängig von Religion, Ethnie oder Herkunft ist jedes Menschleben, das durch Krieg und Konflikte verloren geht, eines zu viel. Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschenleben aufgrund von politischen Interessen geopfert werden. Jede Kriegshandlung hinterlässt Verwüstung, Trauer und Leid, das nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern ganze Gesellschaften und Generationen prägt.

M.G.: Die Generation unserer Eltern und Großeltern hat 1944 die Zerstörung unserer Stadt in den Hammer Bombennächten miterleben müssen, viele Leserbriefe in den letzten Wochen zeugen von der Angst vor einer Wiederholung dieser traumatischen Erlebnisse. Doch die Vernichtung liegt in der Logik eines jeden Krieges. Wir erleben es heute akut im Gaza Streifen, einem Gebiet, das etwa 1/3 größer als die Stadt Hamm ist, aber in dem 10mal so viele Menschen leben, ca. 2Mio. Schon jetzt sind dort mind. 30.000 Menschen, darunter 2/3 Frauen und Kinder, getötet worden. Aber auch in Syrien, im Jemen und seit 2014 in der Ostukraine, dann besonders seit dem 24.2.2022, der Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Auch hier sind bereits 10.500 zivile Opfer zu beklagen, Schätzungen besagen, dass außerdem 70.000 ukrainische und 120.000 russische Soldaten getötet wurden. Fast alles junge Männer, die von ihren Regierungen an die Front und in den Tod geschickt wurden. Und nach wie vor ist kein Ende in Sicht.

Immer weitere Waffenlieferungen werden daran nichts ändern. Krieg kennt keine Gewinner, nur Opfer: Menschen – junge und alte, Soldaten wie Zivilist*innen. Krieg zerstört Landschaften, Infrastruktur und gesell-schaftliches Zusammenleben für viele Generationen. In Syrien, im Jemen, in Gaza und Israel, in der Ukraine und in Russland – und überall dort, wo Krieg und Gewalt als Mittel der Konfliktlösung propagiert und praktiziert wird.

C.K.: Insbesondere Frauen und Kinder leiden unter den Auswirkungen von Kriegen, sei es durch Vertreibung, sexuelle Gewalt oder den Verlust ihrer Familienangehörigen. Es ist an der Zeit, die Stimme für diejenigen zu erheben, die in Kriegsgebieten am meisten leiden und ihnen Solidarität und Unterstützung zu bieten.

Wir müssen uns gemeinsam dafür einsetzen, dass eine Welt ohne Krieg und Gewalt Realität wird. Lasst uns zusammenstehen für den Frieden, für Gerechtigkeit und für eine Zukunft, in der alle Menschen in Sicherheit und Würde leben können.

M.G.: So sagte es auch der ukrainische Pazifist Yuri Sheliazhenko zum ersten Jahrestag der russischen Invasion: „Frieden bedeutet nicht, den Feind auszurotten. Er bedeutet, aus Feind*innen Freund*innen zu machen. Er bedeutet sich an eine weltweite menschliche Geschwisterlichkeit und die universellen Menschenrechte zu erinnern.“

Deeskalation muss darum Ziel aller Aktivitäten sein, nicht zuletzt angesichts der atomaren Bedrohung! Deshalb rufe ich als Bürger dieses Landes den Kriegsparteien, unseren Regierenden, sowie unseren Kirchen zu: Stoppt die Rüstungsspirale und die Waffenlieferungen! Setzt alle Anstrengungen für diplomatische Lösungen, für Waffenstillstand und Friedensverhandlungen ein. Wir brauchen eine Friedenslogik statt Kriegslogik – wir brauchen Friedensfähigkeit statt Kriegstüchtigkeit. Wir brauchen, und jetzt zitiere ich Oberst a.D. Wolfgang Richter: „ein glaubwürdiges Verhandlungsangebot, das Sicherheitsinteressen Russlands ebenso in den Blick nimmt wie die Wahrung der Unabhängigkeit und Souveränität der ukrainischen Nation“. 

Mit Papst Franziskus sage ich: „Habt Mut zur weißen Fahne!“ Sich zu weigern auf den Gegner zu schießen, den ersten Schritt hin zu Verhandlungen zu tun, hin zu einem Frieden für das Haus Europas und der Welt zeugt von wahrer Größe und Menschlichkeit. Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die sich gewaltfrei für die Menschenrechte, für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen.

So schrieb die Grünen Politikerin und Pazifistin Antje Volmer kurz vor ihrem Tod im letzten Jahr in der Berliner Zeitung: „Der Hass und die Bereitschaft zum Krieg und zur Feindbildproduktion ist tief verwurzelt in der Menschheit, gerade in Zeiten großer Krisen und existentieller Ängste. Heute aber gilt: Wer die Welt noch retten will, diesen kostbaren, einzigartigen, wunderbaren Planeten, der muss den Hass und den Krieg gründlich verlernen. Wir haben nur diese eine Zukunftsoption.“

C.K.: Ich möchte unseren Beitrag beenden mit den Worten unseres Volksdichters Haci Bektaşi Veli und einem Vers aus der Bibel (Pslam 34,15)

"Der Weg des Friedens ist der Weg der Liebe und Toleranz. In der Einheit liegt die Stärke, in der Liebe liegt der Frieden." - Haji Bektash Veli

"Suche den Frieden und jage ihm nach." (Psalm 34, 15)

Lasst uns diese inspirierenden Worte aus dem Alevitischen und christlichen Glauben als Leitfaden für unser Handeln nehmen. Der Weg des Friedens, geprägt von Liebe, Toleranz und Einheit, ist ein universelles Ziel, das wir alle zusammen anstreben müssen!

Sagt Nein zur Aufrüstung!

Sagt Nein zu Gewalt!

Sagt Nein zu Ungerechtigkeit!

 

Gemeinsamer Redebeiirag von Cansel Kaplan (Vorsitzender der alevitischen Gemeinde in Hamm) und Martin Güttner (Versöhnungsbund).