Redebeitrag für den Ostermarsch Saarbrücken am 16. April 2022

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde,

1. Mein Name ist Peter Tiefenbrunner, Sie haben es gehört. Ich bin Kabarettist, Schauspieler, Autor. Ich bedanke mich sehr für die Einladung der Veranstalter, hier heute sprechen zu dürfen. Es ist mir eine Ehre. Ich bin sehr erfreut, dass ihr doch so zahlreich hierher gekommen seid. Es ist wie bei vielen solchen Veranstaltungen: Man hat weniger befürchtet und mehr erhofft...

Es sind schlimme Zeiten, auch und gerade für die Friedensbewegung, und natürlich ist mir klar, auf welch schwierigem Gelände wir alle uns hier bewegen. Als mich die Einladung hierher erreichte, Mitte Januar, schien das noch einfacher. Wie vermutlich viele von Euch habe ich nicht an einen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine geglaubt, der 24.Februar hat mich eines besseren belehrt. Wie viele war ich bestürzt und entsetzt über die Nachrichten, Bilder und Berichte aus der Ukraine.

2. Muss man sich erklären, wenn man sich angesichts des Krieges in der Ukraine auf die Bühne stellt und bei der Schlusskundgebung des Ostermarsches spricht? Eigentlich nicht, denn wann, wenn nicht angesichts eines Krieges – noch dazu in unserer europäischen Nachbarschaft – wäre ein öffentliches Eintreten für den Frieden selbstverständlicher und nötiger? Aber wir wissen alle, dass es so einfach nicht ist. Also vorab, vor allem auch in tiefem Respekt und Mitgefühl für alle Menschen der Ukraine, denen unsere Solidarität und Hilfe gelten sollte, seien sie noch in ihrem Land oder auf der Flucht, vielleicht auch schon hier bei uns untergekommen, sei von mir aus klargestellt: Der Überfall auf die Ukraine ist ein brutaler, durch nichts zu rechtfertigender Angriffskrieg Putins, unverantwortlich und völkerrechtswidrig und muss sofort beendet werden. Die russischen Truppen müssen sofort die Ukraine verlassen, damit weiteres Leid, weitere Zerstörung, weitere zivile und militärische Opfer vermieden werden. Und das umso mehr, als die Bilder aus den von der russischen Armee verlassenen Orten, auch wenn die endgültige Bestätigung noch fehlt, auch auf begangene furchtbare Kriegsverbrechen schließen lassen. Russland raus aus der Ukraine - ich weiß, dass das im Augenblick wohlfeile Wünsche sind und der russische Präsident sicher nicht auf unsere kleine Demonstration hören oder sie überhaupt zur Kenntnis nehmen wird. Aber wir sind ja in diesen Tagen nicht die einzigen, die diese Botschaft schicken.

3. Ich bin nicht Mitglied einer Partei oder Organisation, deren Meinung ich hier vertreten würde. Und ich bin vor allem auch kein Militärexperte, Stratege, Waffenfachmann schon gar nicht und auch kein außenpolitisch besonders kundiger Mensch. Ich spreche hier also nur für mich, ganz persönlich und ohne den Anspruch zu wissen, wo es jetzt langzugehen hat. Natürlich haben mich die Ereignisse der letzten Wochen getroffen, verunsichert, sind manche Gewissheiten ins Wanken geraten. Etwa zwei Wochen nach dem Überfall auf die Ukraine habe ich in meiner wöchentlichen Rundfunkglosse „Brunners Welt“ beim SR gesagt:

Nicht dass Sie denken, ich sei nicht ebenso ratlos wie Sie. Zumindest hoffe ich auf eine gewisse Ratlosigkeit im Volk. Die erscheint mir allemal angemessener als das intellektuelle Strammstehen, das offenbar erwartet wird als Reaktion auf das neue Deutschland, das da über uns gekommen ist. Rührt Euch. Zu langes Strammstehen blockiert die Durchblutung des Gehirns.

Das war nach der Bundestagssitzung, in der Olaf Scholz die „Zeitenwende“, die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr und die Zusage für 2 % des Bruttosozialproduktes für den Verteidigungshaushalt Deutschlands auf Dauer verkündet und dafür nahezu einmütigen Applaus der Abgeordneten bekommen hatte. Und dann sagte der Kanzler:

„Denn: Wir werden uns nie abfinden mit Gewalt als Mittel der Politik“. Standing Ovations

Man muss schon ziemlich lange gedanklich strammgestanden haben, wenn einem an dieser Kombination nichts aufstößt.

Aus meiner Ratlosigkeit, die auch aus unserer Hilflosigkeit angesichts des Kriegsschreckens resultiert, möchte ich noch ein paar Gedanken mit euch teilen. Mir scheint diese Ratlosigkeit, die Unsicherheit, das Zugeben von Fragen und Nichtwissen und das Überlegen und Suchen nach möglichen Lösungen jedenfalls ehrlicher und sinnvoller, als die schnellen und selbstsicheren Parolen und Meinungen, mit denen wir es in den letzten Wochen so massiv zu tun haben.

4. Ich war Ende Februar für drei Wochen in einer Rehaklinik im Schwarzwald. Dort hatte ich – nun ja – sowas wie ein Zwangs-Abo der FAZ. Natürlich hat mich niemand gezwungen, diese Zeitung zu lesen, aber ich hatte nur die Wahl zwischen der BILD und der FAZ. Tja. Ein heilsamer Blick aus meiner gewohnten Zeitungs- und Medienblase, in der ich mich sonst so bewege. Und erschütternd, mit welcher Genugtuung und Häme dort in vielen Artikeln und Kommentaren beschworen wurde, dass nun endlich die SPD, die Grünen, die Friedensbewegung und überhaupt alle Linken aus ihren rosarot naiven Träumen von Frieden und Gewaltlosigkeit gerissen worden seien und Deutschland nun endlich aufgewacht sei. Haarscharf an „erwacht“ vorbei... Namentlich ein gewisser Jasper von Altenbockum hat sich da besonders hervorgetan.

Nicht, dass diese Anwürfe aufgehört hätten. Gerade hat FDP-Außenpolitikexperte Alexander Graf Lambsdorff in der ZEIT geschrieben: „Wer diese Demos besucht, spuckt den Ukrainern ins Gesicht.“ und kommt dann etwas weiter zu dem Statement: „Die Ostermarschierer sind die fünfte Kolonne Wladimir Putins, politisch und militärisch.“ Ach Gott. Wieder mal. 1983 hatte schon Heiner Geißler behauptet, der Pazifismus hätte Auschwitz erst möglich gemacht. Ist das nun die allseits beschworene „Zeitenwende“, dass die alten, verstaubten Argumente wieder herausgekramt werden? Es stinkt mächtig nach Mottenkugeln im Land. Und das geht immer Hand in Hand mit dem Vorwurf, die Pazifisten und Ostermarschierer seien ihren alten, gestrigen Parolen verhaftet, die nicht mehr in die neue Zeit passten. Komisch. Dabei ist doch als Reaktion auf Krieg und Gewalt mehr Krieg und mehr Gewalt einzusetzen die ziemlich älteste Antwort, die ich mir vorstellen kann. Si vis pacem para bellum – wenn du den Frieden willst, rüste zum Krieg, sagten vor über 2000 Jahren die alten Römer. Wen wunderts, dass später ein beliebter Revolver „Peacemaker“ hieß und „Parabellum“ eine Munitionsmarke wurde.

Auch Dietmar Klostermann fragte in der Saarbrücker Zeitung die Friedensaktivisten: „Passen Ihre Botschaften noch in die Zeitenwende?“ Und zerrt ein paar Zeilen weiter die älteste und zerlumpteste Worthülse aus der Mottenkiste: „Wenn ihr Os­ter­marsch nicht in Saar­brü­cken, son­dern in Mos­kau vor dem Kreml statt­fin­den wür­de, wä­ren sie wie­der glaub­wür­dig.“ Ach, waren Sie das, Herr Klostermann, der unter Gefahr für Leib und Leben das Antikriegs-Schild in den russischen Nachrichten hochgehalten hat? Nein? Sie haben auch nur in Ihrem SZ-Büro gesessen und ein paar Artikel geschrieben? - Gern geschehen.

Aber das alles ist ja nicht der Kern der Sache. Trotzdem stellt sich doch die Frage: Wäre nicht die Suche nach und das Ringen um nicht-kriegerische Lösungen die weitaus zeitgemäßere, neuere und klügere Reaktion als der jahrtausendealte reflexhafte Ruf nach mehr oder gefährlicheren Waffen?

5. Um was muss es denn jetzt gehen?

Ich denke: Den Krieg in der Ukraine möglichst schnell, mit möglichst wenigen getöteten Menschen und möglichst wenig zerstörten Städten zu beenden.

Was hilft dabei? Waffen? Mehr Waffen? Defensiv-Waffen? Schwere Waffen? Schwerere Waffen? Wo ist die Grenze dieser Logik? Wann ist die Grenze erreicht, in der Deutschland (oder Großbritannien, Frankreich oder die USA – und damit die NATO) – doch Kriegspartei wird? Gehen Panzer noch durch? Boden-Luft-Raketen? Panzer Abwehr-Minen? Und was kommt dann, als nächste Eskalationsstufe?

All die, die den natürlich legitimen Abwehrkampf der Ukrainer mit weiteren Waffen unterstützen, sagen, ebenso wie die ukrainische Regierung selbst, man müsse „Die Kosten des Krieges für Russland möglichst hoch machen.“

Nicht falsch verstehen: Hier geht es nicht um die Kosten, die einfach in Dollar, Euro oder Rubel zu begleichen wären. Hier geht es um die Leben, die es die russische Armee kostet. Je mehr tote russische Soldaten, desto besser? Das ist die Logik des Krieges. Und natürlich heißt das in dieser teuflischen Rechenaufgabe auch: mehr tote Ukrainer und Ukrainerinnen. Zivilisten. Kinder. Alte Menschen. Nicht, dass ich hier Täter und Opfer verwechseln wollte. Aber: Der Schriftsteller Christian Baron weist in einem ZEIT-Artikel darauf hin, „dass es vor allem die Söhne der Armen sind, die in jene Kriege ziehen müssen, von denen die Söhne derer verschont bleiben, die diese Kriege befehlen. Auch in der russischen Armee dienen überwiegend nicht die Kinder der Oligarchen und der großstädtischen Intelligenz, sondern die der Armen. Ihnen hat der schwerreiche Wladimir Putin die Invasion in der Ukraine befohlen.“

Da kann man ruhig nochmal an das alte Biermann-Lied denken: Soldaten sehn sich alle gleich – lebendig und als Leich.

Hilft die zukünftige Aufrüstung der Bundeswehr dabei, diesen Krieg zu beenden? Gar schnell zu beenden?

Wann können denn diese angekündigten Maßnahmen tatsächlich greifen? Wann ist alles angeschafft – von der Unterhose bis zum Kampfflugzeug – wann ist die Personalstärke groß genug für das neue wehrhafte Deutschland? In fünf Jahren? In zehn? Und was ist bis dahin mit den Ukrainerinnen und Ukrainern geschehen?

Ist denn überhaupt zu wenig Geld für Rüstung der Grund für den desolaten Zustand unserer Armee? Oder doch eher Inkompetenz, Bürokratie, die Gier der hochbezahlten Beraterfirmen und der Rüstungskonzerne? In den vergangenen Jahren ist der Verteidigungshaushalt stetig schrittweise angestiegen. 2014 betrug der Soll-Etat noch 32,4 Milliarden Euro. 2017 rund 37 Milliarden Euro. Im Jahr 2019 43,2 Milliarden Euro. Das sind die Zahlen des Bundesverteidigungsministeriums. Hat das denn irgendetwas verbessert?

Apropos Rüstungsfirmen: Haben wir nicht noch vor kurzem Waffen auch nach Russland geliefert? Ja, ich weiß, das waren bestehende Verträge, die musste man leider einhalten. Oder es handelte sich um sogenannte „Dual-Use-Güter“, Dinge also, die man sowohl zum zivilen als auch zum kriegerischen Zweck gebrauchen kann. Wer eine ziemlich blöde Ausrede für lukrative Waffenexporte zu schätzen weiß: Die Bundesregierung hat noch im März letzten Jahres erklärt, dass man solche Exporte nach Russland nicht verbieten kann, weil man konkrete Anhaltspunkte dafür brauche, „dass das Risiko einer militärischen Endverwendung besteht“.

6. Kürzlich las ich wieder, dass in der Ukraine ein Ausreiseverbot aus der Ukraine für alle Männer von 18 – 60 Jahren gilt. Die ukrainischen Behörden warnten deutlich, dass die Männer nicht versuchen sollten, die Grenzen zu überqueren. Sollte die Nichtbeteiligung am Kampf, die Flucht vor dem Krieg, nicht nur für Frauen und Kinder, sondern auch für Männer ein selbstverständliches Recht sein? Ich habe größten Respekt und Hochachtung vor jedem und jeder, der oder die sich freiwillig mit oder ohne Waffe gegen die Angriffe wehrt. Aber ebenso ist eine Entscheidung nicht zu kämpfen, bei den Kindern und der Familie zu bleiben, nicht weniger respektabel.

7. Wie also kann der Krieg beendet werden?

Die weitaus meisten Kriege werden am Verhandlungstisch beendet.

Und deswegen finde ich den Vorwurf, die Beschimpfung „Putinversteher“ eine der blödesten Diffamierungen auf dem Markt. Wer sie benutzt, meint ja eigentlich etwas anderes: Man hätte Sympathien für Putins Vorgehen, man sei gar auf seiner Seite und würde seine Machenschaften relativieren oder gar gutheißen. „Dafür hab ich Verständnis“ heißt das missverständlich in der deutschen Sprache. Aber Verstehen und billigen sind und bleiben zwei verschiedene Dinge. Und diese richtige Art Verstehen ist zwingende Voraussetzung für Diplomatie und Verhandlungen. Nochmal: Kriege werden beendet durch Verhandlungen. Oder durch die Vernichtung des Gegners. Oder dank des overkill-Bestandes an Nuklearwaffen: Der Vernichtung aller Beteiligten und Unbeteiligten.

Mir scheint, es ist mehr als notwendig, sich wieder und weiter Gedanken über den Frieden, wie man ihn erreicht und sichert und erhält zu machen und dafür einzustehen und aufzustehen. Und ich hoffe, dass kompetentere Menschen als ich unermüdlich und mit allen Kräften daran arbeiten. Das ist zeitgemäßer und erfolgversprechender als die ewiggestrigen Säbelrassler mit ihren uralten Parolen.

Und deswegen war ich heute sehr gerne hier. Ich danke für Euer Zuhören.

 

Peter Tiefenbrunner ist Autor, Schauspieler und Kabarettist und lebt in Saarbrücken.