Redebeitrag für Gedenkveranstaltung des DGB Stadtverband Münster am 1. September 2019 in Münster

 

- Es gilt das gesprochene Wort -

 

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der heutige Tag, der 1. September, ist ein Tag der Erinnerung und ein Tag der Mahnung. Heute vor 80 Jahren begann der 2.Weltkrieg, vor 74 Jahren endete der 2.Weltkrieg nach Massenmord, Millionen von Toten, dem Abwurf zweier Atombomben. Wir gedenken dem Beginn und Ende zweier Weltkriege. Vor 105 Jahren begann der erste Weltkrieg, der vor 101 Jahren endete.

Die Jahrestage machen den diesjährigen Antikriegstag zu einem zentralen Tag der Erinnerung und des Mahnens. Auch heute gilt: Kriege kommen nicht über uns, Kriege werden gemacht. Gewalt geht von Menschen aus – und trifft Menschen. Sie werden getötet, verwundet, vertrieben, müssen fliehen. Ihr Leben wird in den Grundfesten erschüttert – während andere Profite daraus schlagen und ihre Machtinteressen durchsetzen.

Am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der 2. Weltkrieg. Ein Eroberungs- und Vernichtungskrieg, der 60 Millionen Tote forderte. Wir erinnern heute an Millionen Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und politische Gegner*innen der Nazis, die wegen einer menschenverachtenden und faschistischen Ideologie verfolgt und ermordet wurden.

1945 war der Krieg nach Deutschland zurückgekommen, auch nach Münster. Noch am 31.März hatte die Westfälische Tageszeitung getitelt:  „Mit Fanatismus in den Kampf!“ Die Kampfparole war von der Realität bereits eingeholt worden. Amerikanische und britische Truppen standen tief im Münsterland. Die Endphase des Krieges war längst eingeleitet.

Die Panzer der 17. US-Airborne-Division rückten von Mecklenbeck über Roxel auf Nienberge heran. Am 1. April gelangten auch Nienberge und Hiltrup in alliierte Hand. Am Abend des 2. April 1945, Ostermontag, endete mit dem Einzug amerikanischer und britischer Panzertruppen und Fallschirmjäger der Zweite Weltkrieg für Münster. Dies war die Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.

Diese hatte auch in Münster noch ein tödliches Finale gehabt: Im Zwinger fanden bis in die letzten Tage Hinrichtungen statt. Für Münster sind sie seit Oktober 1943 auch in Polizeigefängnissen belegt. Im Januar 1945 wurden die Gestapoleitstellen ermächtigt gegen „Ausländer in allen Fällen sofort und brutal zuzuschlagen.“ In diesen Zusammenhang gehören auch die Hinrichtungen im Zwinger:

Im Herbst/Sommer 1944 fanden mindestens 5 Hinrichtungen statt. In einem Fall wurden drei russische Gefangene wegen angeblicher Sabotage gehängt. Am 29. März 1945 wurden 17 russische Zwangsarbeiter*innen, 16 Männer und eine Frau, von 5 Gestapo-Beamten im Hof des Gefängnisses erschossen. Ihre Papiere wurden verbrannt und die Leichen verscharrt. Wie bei zahlreichen dieser Verbrechen unmittelbar vor Kriegsende, sollte verhindert werden, dass Gefangene das Kriegsende erleben. Nichts sollte von ihnen bleiben.

Mit der Novemberrevolution endet der 1. Weltkrieg. Auch in Münster wird auf dem damaligen Neuplatz – später Hindenburgplatz, heute Schloßplatz – die Republik ausgerufen – von dem Gewerkschafter Emmerich Düren.

Die Kräfte der Gegenrevolution von Rechts htten sich jedoch nur zurückgezogen, die demokratischen Kräfte sollen die Verantwortung übernehmen. Der Kaiser dankt ab, die Militärs geben die Verantwortung ab.

Auch Denkmäler in Münster rufen dazu auf den verlorenen ersten Weltkrieg fortzusetzen. So heißt es in einer Denkmal-Inschrift im Schlossgarten: „Ob auch alles um uns sank, lasst uns nicht entarten, haltet Schuld und Ehre blank, die Toten warten.“

1919 – vor 100 Jahren –  trat die Weimarer Verfassung in Kraft, die erste demokratische, republikanische Verfassung trat in Kraft, doch schon bald hatte die junge Demokratie gegen ihre Feinde von Rechts zu kämpfen: Der Kapp-Putsch, der mit einem Generalstreik der Gewerkschaften zu Fall gebracht werden konnte, und Morde an Politikern der politischen Mitte und der Linken sollten für die Zerstörung der demokratischen Republik sorgen. Heute ist es der Mord, der uns alle erschütterte,  an Walter Lübcke, weil er sich für die demokratische Gesellschaft und die Aufnahme von Geflüchteten eingesetzt hat. Viel bleibt aus jener Weimarer Republik auch heute noch zu lernen. Uns jedenfalls ist auch die Aktualität der damaligen Geschehnisse bewusst 

Auch heute wird die Demokratie von Rechts angegriffen: Von einer „Herrschaft es Unrechts“ war die Rede, als Menschen auf der Flucht geholfen wurde. Die Partei, die von dieser Stimmung profitiert, die AfD, will stärkste Partei in den ostdeutschen Bundesländern werden. Im Vorfeld der heutigen Landtagswahlen hat es mit der „unteilbar-Demonstration vor einer Woche und viele andere zivilgesellschaftliche Aktivitäten eine breite Mobilisierung für Demokratie, für Vielfalt und für die Gleichheit aller Menschen gegeben.

 Wenn aktuell von AfD-Bundestagsabgeordneten zur Selbstjustiz und zur Gewalt aufgerufen wird, dann fühlen sich die organisierten und unorganisierten Rassist*innen und Gewalttäter ermuntert und aufgefordert. Sie rufen „Das System ist am Ende – jetzt kommt die Wende“ – bezogen auf die 89er Wende in der DDR. Alexander Gauland fordert eine „Machtergreifung“ und zieht bewusst den historischen Vergleich zum historischen Faschismus. Doch mit „System“ meinten und meinen die Nazis von gestern und heute die Demokratie, früher die Weimarer Republik heute die Bundesrepublik. Sie meinen damit gleiche Rechte für alle und das Grundrecht auf Asyl. Es ist genau diese Rhetorik der geistigen Brandstiftung und des Hasses. Die Gedanken, die Worte – sie gehen den Taten voran. Und ihren Gedanken, Worten und Taten müssen wir entgegentreten. Wir müssen uns positionieren! Immer und überall! Wir sind mehr – und das müssen wir zeigen.

Münster und das Münsterland haben dies bereits immer wieder gezeigt: 2015 gegen PEGIDA, 2017 und 2019 mit jeweils rund 10.000 Menschen rund um das Rathaus gegen den AfD- Neujahrsempfang. Aber auch anlässlich jeder öffentlichen AfD-Veranstaltung, um weiterhin dafür zu sorgen, dass diese Partei in Münster nicht Fuß fasst.

Wir leben in Tagen, in denen die Populisten, die Vereinfacher, die Vertreter des autoritären Staates Oberwasser gewinnen: Die FPÖ in Österreich, der FN in Frankreich, die AfD in Deutschland, Trump in den USA. In Ungarn, Polen und anderen Ländern erleben wir einen reaktionären Rückschritt für Grund- und Menschenrechte und die Demokratie, der vor wenigen Jahren undenkbar gewesen sind. Der US-amerikanische Präsident macht Rassismus salonfähig. In der Türkei baut Erdogan das Land in eine Diktatur um. Die türkische Regierung geht mit deutschen Leopard- Panzern völkerrechtswidrig gegen die selbstverwalteten kurdischen Gebiete vor. Wir unterstützen das gesellschaftliche Projekt des Demokratischen Konföderalismus, das auf den Prinzipien Frauenbefreiung, Ökologie und radikaler Demokratie setzt und den Menschen ein Leben in Würde, Frieden und Freiheit ermöglichen will. 

Es sind Panzer, Fahrzeuge und Gewehre, die in deutschen Fabriken produziert wurden, mit denen türkische Soldaten marschieren. Deutsche Waffen und Kriegsgeräte, die unter anderem von der Firma Krauss-Maffei-Wegmann produziert wurden. Die Firma Rheinmetall produziert als Milliardengeschäft Panzer für die Türkei. Wir sagen dazu: Nein! Auch das „Argument“: „Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen“ darf nicht gelten.

Die Würde jedes Menschen ist und bleibt unantastbar. Die Grundrechte gelten natürlich für alle Menschen. Dafür stehen die Charta der Menschenrechte und das Grundgesetz! 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht – soviel wie seit dem Ende des 2. Weltkriegs nicht mehr. Diejenigen, die vor Terrorismus, Krieg und Zerstörung nach Europa fliehen haben ein Recht auf Asyl. Die EU muss denjenigen helfen, die die auf der Flucht über das Mittelmeer in Lebensgefahr geraten. Die Flüchtlinge brauchen eine menschenwürdige Aufnahme und Perspektiven auf soziale und wirtschaftliche Integration in Europa. Es ist regelrecht beschämend wie Europa darüber feilscht, welcher Mitgliedsstaat wie viele Flüchtlinge aufnimmt. Nationalismen und Ressentiments dürfen in Europa keinen Platz haben.

Zugleich müssen wir die Fluchtursachen in den Blick nehmen: Die Fluchtursachen müssen bekämpft werden, nicht die Flüchtenden!

Erfreulicherweise gibt es auch eine andere Entwicklung: Viele Menschen helfen und unterstützen Flüchtlinge bei ihrer Ankunft und ihren Aufenthalt. Diese Menschen, diese Initiativen und Bündnisse müssen wir stärken! Sie verdienen unser aller Unterstützung!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Motto „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ des 1.Antikriegstags im Jahre 1957 verpflichtet uns auch heute zu verstärktem Engagement.

Die Bilanz der vielen Kriege, die in den ersten Jahren des 21.Jahrhunderts geführt wurden und noch werden, muss heute eine andere Politik zur Folge haben. Nirgends haben Militärinterventionen oder Waffenexporte zu einer nennenswerten Verbesserung der humanitären Situation beigetragen. Rund 35 Kriege – zwischenstaatliche bewaffnete Konflikte – werden derzeit in aller Welt geführt. Allein in den beiden Großkriegen in Afghanistan und im Irak starben unabhängigen Studien zufolge mindestens 800.000 Menschen – zum größten Teil Zivilisten.   

Die im Grundgesetz festgelegte Aufgabe der Bundeswehr zur Landesverteidigung wird seit Jahren in Richtung internationaler Interventionen verschoben.

Der ehemalige Bundespräsident und andere hochrangige Regierungsvertreter haben schon vor längerer Zeit von der Politik eine „größere Verantwortung“ in der Welt eingefordert. Dies gelte auch für den militärischen Bereich, Deutschland müsse seine diesbezügliche Zurückhaltung aufgeben. 

Hierfür werden natürlich Soldaten benötigt: laut aktuellen Zahlen ist inzwischen fast jeder zehnte Soldat Minderjährig. 2017 waren es 2126 Minderjährige, die dem aktuellen Ausbildungsjahrgang angehören. Diese müssen ja auch geworben werden und dies geschieht in Schulen oder auf Stadtfesten, wo sich die Bundeswehr als „normaler“ Arbeitgeber zu präsentieren versucht. Was sie natürlich nicht ist: Die Ausbildung bei der Bundeswehr beinhaltet das kämpfen und töten zu lernen.

Der DGB fordert die Bundesregierung und den Bundestag auf, den Weg nicht weiter zu beschreiten. Die Bundeswehr muss das sein, was sie stets nur sein sollte: Eine Landesverteidigungsarmee und keine Armee mit internationalen Ambitionen.

Der DGB wird sich mit seinen Schwestergewerkschaften für eine Senkung der Rüstungsausgaben weltweit einsetzen, um die Lebens- und Bildungschancen der Menschen zu erhöhen. Dies ist umso notwendiger, da der amerikanische Präsident die Ausgaben für die NATO erhöhen will und auch von den europäischen Staaten mehr Geld für die Rüstung fordert. Abrüstung, nicht Aufrüstung muss das Gebot der Stunde sein!

Mit der Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran und der Kündigung des INF-Vertrags zwischen den USA und Russland sind wir mit einer neuen nuklearen Bedrohung konfrontiert. Aber auch die Bundesregierung muss dieser Entwicklung entgegentreten und endlich den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen unterzeichnen. 130 Staaten haben dies bereits getan und es ist überfällig.

Deswegen haben wir mit unserer Initiative „Abrüsten statt aufrüsten“ – gemeinsam mit vielen anderen Organisationen – einen notwendigen Schritt unternommen, um Rüstungsausgaben zu senken. Die Bundeswehr möchte 30-40 Milliarden Euro mehr im Jahr und die Bundesregierung will daran festhalten. Dass dieses Geld für andere Bereiche nicht mehr zur Verfügung steht liegt auf der Hand und muss auf unseren entschiedenen Widerstand treffen. Zugleich soll jeder entstehende Haushaltsspielraum genutzt werden, um die Bundeswehr aufzurüsten – im gleichen Verhältnis wie die zivile Krisenprävention. Dazu gleich noch. Nimmt man in diesem Zusammenhang den Haushaltsüberschuss des vergangenen Jahres von 38,4 Milliarden Euro als Bezugsgröße würden sich bis 2021 etliche Millionen mehr für die Bundeswehr ergeben. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition ist festgehalten, dass sich die Bundesrepublik an die NATO-Vereinbarung hält den Verteidigungshaushalt auf 2% des BIP zu erhöhen. Ginge dies so weiter, läge der Rüstungsetat 2024 bei 85 Mrd Euro. Dagegen wendet sich unser Aufruf. Er kann hier auch unterschrieben werden.

Wichtig ist mir noch ein Hinweis zur Entwicklungshilfe: Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die Bundesregierung auf endlich umzudenken und mit den EU-Partnern eine gemeinsame europäische Strategie der friedenssichernden Konflikt- und Krisenprävention zu erarbeiten. Statt die Rüstungsausgaben massiv aufzustocken, muss eine zivile Strategie der Friedenssicherung ansetzen.

Wichtig ist jedoch auch gerade vor dem Hintergrund des politischen Rechtsrucks in Europa: Wenn es keine Zweckbindung im Bundeshaushalt zugunsten von Entwicklungsausgaben, Menschenrechtsschutz und Förderung der Demokratie sowie friedenssichernde und –stabilisierende Maßnahmen gibt, werden diese zunehmend hinter die Finanzierung von sog. „sicherheitspolitischen Zielen“ zurücktreten. Dazu würde dann an die Grenzen die Abwehr von Geflüchteten Migrant*innen zählen. Auch die Bundesregierung hat für 2016/17 Kosten für Flüchtlingsunterbringung und Integrationsmaßnahmen im Inland dem Entwicklungsetat zugeschlagen. Also: Regierung und Parlament müssen sich der Zweckentfremdung und Instrumentalisierung von Entwicklungspolitik widersetzen und sicherstellen, dass diese vor allem diejenigen vor Ort fördern, denen es an täglicher sozialer, ökonomischer, politischer Sicherheit, an Menschenrechten und politischen Partizipationsmöglichkeiten fehlt.

Frieden ist daher mehr als die Abwesenheit von Krieg. Es gibt auch eine Gewalt, die keine Bomben und Gewehre braucht, um Menschen in bitterste Verzweiflung zu stürzen und zu töten: Armut, soziale Ungerechtigkeit, ungleich verteilte Lebens- und Bildungschancen, ausgebeutete, vergiftete und zerstörte Lebensräume.

Der 1. September ist für den DGB und die Gewerkschaften ein Tag von großer Bedeutung – aber nicht nur für die Gewerkschaften, sondern auch für zahlreiche Friedensorganisationen.

Und der heutige Tag ist sicherlich ein geeigneter Anlass all diesen Initiativen und Organisationen ein herzliches Dankeschön zu sagen. Der nun beginnende Friedenskulturmonat, die interkulturellen Wochen, und seine zahlreichen Veranstaltungen dokumentieren dies. Es gibt auch hier in Münster noch einiges zu tun, als Beispiel seien die Kriegerdenkmäler genannt, so das Herero-Denkmal am Ludgerikreisel für das es neue Lösung geben muss.

Und auch für so manche Straße muss aus unserer Sicht ein neuer Name gefunden werden, z.B. für die Danziger Freiheit, wo nun ein aktueller Antrag vorliegt und auch für die Austermannstraße und die Admiral Scheer-Straße, für die der DGB Anträge geschrieben hat. Erfreulich ist jedenfalls, dass der Volkstrauertag nicht mehr am Denkmal an der Promenade begangen wird, wo das Denkmal „Treue um Treue“ einfordert.

 

Carsten Peters ist stellv. Vorsitzender DGB-Stadtverband Münster.