Militarismus

15. Mai: Internationaler Tag der Kriegsdienstverweigerung

von Hannah Brock

Der Internationale Tag der Kriegsdienstverweigerung wurde 1983 geschaffen. FriedensaktivistInnen aus der ganzen Welt nutzen den 15. Mai immer noch, um Solidarität mit KriegsdienstverweigerInnen auszudrücken und jene bekannt zu machen, die im Gefängnis sitzen oder auf andere Art für ihren Kampf leiden.

Im Moment wissen wir von mindestens 700 KriegsdienstverweigerInnen (KDVerInnen), die im Gefängnis sitzen. Die meisten von ihnen haben sich geweigert, der Einberufung unter der Wehrpflicht nachzukommen. Die Zahlen können in Wirklichkeit sehr viel höher sein, da es schwierig ist, über manche abgeschottete Staaten wie Nordkorea und Eritrea Informationen zu bekommen.

Als ich vor drei Jahren anfing, für die War Resisters‘ International zu arbeiten, hörte ich viele Leute sagen (besonders EuropäerInnen, die in den letzten zwanzig Jahren einen Trend zur Abkehr von der Wehrpflicht erlebten), dass der obligatorische Militärdienst auf der ganzen Welt ein Auslaufmodell sei – und mit ihm deshalb die Mehrheit der Kampagnen für das Recht auf KDV. Die kürzliche Einführung von Wehrpflicht in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten, ihre Wiedereinführung in Litauen und der Ukraine und die Wehrpflicht in den kurdischen Regionen Syriens zeichnen jetzt aber ein anderes Bild. Es gibt die Wehrpflicht in mehr als dreißig Ländern auf der Welt, mit gewaltigen Unterschieden bezüglich der Frage, wie diejenigen, die verweigern, behandelt werden. Die Bandbreite reicht von Verhaftung und Folter (in Eritrea gibt es KDVer, die seit 1994 im Gefängnis sitzen) und dem ‚zivilen Tod‘ in der Türkei (wo die Möglichkeit, einfache Verwaltungsdinge zu erledigen wie einen Pass zu haben, ein Kind zu registrieren oder einen Job anzutreten, beschränkt ist) bis dazu, ohne Sanktionen gehen gelassen zu werden (Norwegen).

KDV-Bewegungen
Wie immer gibt es verschiedene Motivationen innerhalb der Bewegungen für Kriegsdienstverweigerung: pazifistische, religiöse, ökologische, Queer-Rechte, anarchistische, sozialistische, feministische, Tierrechte und eine Mischung all dieser und noch mehr. Es gibt viele Sichtweisen in Bezug auf Befreiung, denn die inhärente vereinheitlichende, sexistische, rassistische, patriarchale und hierarchische Natur des Militarismus wird von vielen Menschen als gegen ihr Interesse angesehen. In der Tat zieht die Wehrpflicht immer noch Menschen in die Friedensbewegung, mehr als fast alles andere. Ironischerweise werden diese Friedensbewegungen oft dramatisch kleiner, wenn sie den ‚Erfolg‘ des Endes der Wehrpflicht erreichen.

Im letzten Jahr wurde der Tag der KDV in vielen Ländern begangen, einschließlich Großbritanniens, Kolumbiens, Frankreichs Deutschlands, Griechenlands, Paraguays, Südkoreas, der Türkei und den USA. Was genau gemacht wird, hängt zum großen Teil ab von der Geschichte und dem Vorhandensein von KDVerInnen in diesen Ländern. In manchen Ländern liegt die Betonung mehr auf Feiern und Erinnerung, in anderen geht es um KDVerInnen in Wehrdienst oder in Berufsarmeen.

15. Mai 2016
Dieses Jahr werden besonders viele Aktivitäten in Großbritannien erwartet, denn 2016 ist der 100. Jahrestag des Militärdienstgesetzes, das zum ersten Mal eine Wehrpflicht einführte und gleichzeitig auch Regelungen für KDVer vorsah. Das Europäische Büro für KDV (EBCO) wird seine Generalversammlung in London abhalten und seinen Mitgliedern ermöglichen, an verschiedenen Aktionen am 15. Mai teilzunehmen. Wir haben die Hoffnung, dass dies dazu führt, dass britische Friedensgruppen KDV als ein sehr lebendiges Thema ansehen, das ihre Aufmerksamkeit verdient, und dass sie erkennen, dass es sich um eine historische Bewegung handelt, von der wir uns inspirieren lassen können.

Der 15. Mai ist eine gute Gelegenheit, das Thema von KDV-Kampagnen auf der ganzen Welt bekannt zu machen, und gleichzeitig zu zeigen, wie Militarismus das Leben normaler Menschen zerstört.

Kriegsdienstverweigerung ist jedoch nur eine von vielen Formen des Widerstands gegen Militarismus, und es ist wichtig, sich auch an die anderen Formen zu erinnern. Zum ersten: KDVerInnen arbeiten selten allein: Oft gehören sie starken persönlichen und politischen Unterstützungsnetzwerken oder Kollektiven von VerweigerInnen an. Das ist der Gegensatz zu dem Bild des einsamen männlichen Helden, der isoliert von allen seinem Gewissen folgt.

Da die Wehrpflicht in der Mehrzahl der Länder nur Männer trifft, sind KDVerInnen  gewöhnlich Männer. Die Ausnahmen sind Israel, Norwegen, Mosambik und Eritrea. Deshalb besteht die Gefahr, dass die Betonung von ausschließlich ‚traditionellen‘ männlichen KDVern dazu führt, dass die Rolle von Frauen im Widerstand übersehen wird.

Andere wertvolle Methoden des Widerstands gegen Militarismus sollten an diesem Tag auch gefeiert werden – von Kampagnen gegen bestimmte Kriege bis zur Friedenserziehung in Schulen. Aus diesem Grund wird er gewöhnlich „Tag der Kriegsdienstverweigerung“ genannt, nicht „Tag der Kriegsdienstverweigerer“. Das mag wie eine kleine sprachliche Veränderung anmuten, aber sie ist eine, die die ganze Bandbreite des Widerstands gegen Krieg geleitet von einer Gewissensentscheidung, sich nicht zu beteiligen, umfasst. Es geht nicht nur um die Individuen, die den Militärdienst verweigern.

Es ist auch interessant, darüber nachzudenken, wie wir an diese KDVerInnen erinnern. Ich habe an Veranstaltungen zum Tag der KDV teilgenommen, die sich ziemlich ähnlich wie Veranstaltungen des Militärs anfühlten, was den Prozess, nicht die Inhalte, anging: Wir machen Schweigeminuten, singen Lieder, lesen Namenslisten, nutzen Mohnblumen (in England seit dem 1. Weltkrieg eine übliche Weise, an die Kriegstoten zu erinnern, auch wenn unsere eine andere Farbe haben) und versammeln uns um Gedenksteine herum. Vielleicht ist das ok? Oder brauchen wir mehr Unterschiedlichkeit und Kreativität dabei, wie wir an jene erinnern, die Vorbilder für unsere antimilitaristische Aktion sind?

Solidarität
Wie können jene von uns, die in Ländern mit „Freiwilligen“armeen leben, wie Deutschland, Solidarität mit jenen KDV-Bewegungen zeigen, die in Ländern mit Wehrpflicht agieren? Es gibt eine Reihe von Methoden, die Mitglieder der WRI benutzen. Dazu gehören das Schreiben von Solidaritätsbriefen am Tag der Gefangenen für den Frieden (1. Dezember); an internationalen Kampagnen teilzunehmen, die Druck auf bestimmte Regierungen ausüben; Geflüchtete und Asylsuchende zu unterstützen, die wegen ihrer Verweigerung oder Desertion fliehen mussten und gegen die Verhaftung von KDVern zu protestieren. Zum Beispiel wurde letztes Jahr eine Petition mit über 5000 Unterschriften zu KDV-Rechten durch die WRI, Connection e.V., Amnesty International und die koreanische Gruppe „Welt ohne Krieg“ der südkoreanischen Regierung überreicht.

Viele von diesen AktivistInnen protestieren auch gegen den Militarismus in ihrem eigenen Leben. Die Wehrpflicht mag eine der offensichtlichsten Facetten des Militarismus sein, aber ich finde das Konzept der KDV auch hilfreich, wenn ich mir meine eigene Arbeit in einem Land ohne Wehrpflicht anschaue. Erstens hat man immer noch das Recht auf Verweigerung, wenn man freiwillig ins Militär geht – eine Tatsache, die das Militär aller Länder nur ungern bekannt gibt. Deshalb gibt es die Aufgabe, die KDVerInnen zu unterstützen, die erst während ihres Dienstes zu einer Gewissensentscheidung gegen das Militär kommen. Außerdem ist der systemimmanente Impuls, 'Probleme' zu lösen oder zu deckeln, indem man militarisierte Gewalt einsetzt, überall präsent – sowohl in den Aktionen des Militärs im Ausland wie durch eine zunehmend militarisierte Polizei 'zu Hause'. Ein Mitglied der Veteranen für den Frieden formulierte es neulich so: „Sie müssen nicht mehr Deinen Leib verpflichten, sie verpflichten Deinen Geist und Dein Geld“. Wo investiert Deine Bank und Deine Rentenversicherung ihr Geld? Wie viele Drohnen werden mit Deinen Steuern angeschafft? Heißt die Schule, an der Du unterrichtest, Jugendoffiziere willkommen? Wer bezahlt die technische Forschung an Deiner Uni (Hinweis: ist es ein Waffenhersteller?)? In Großbritannien – wer sammelt die Ergebnisse der Volkszählung (wieder der Hinweis: Ist es eine Rüstungsfirma?)? Wer finanziert das Museum, das Du gerne am Wochenende besuchst? Die Liste scheint endlos. Zusammenarbeit mit dem militärisch-industriellen Komplex scheint in vielen Ländern praktisch unvermeidbar. Aber je mehr wir den Militarismus als solchen benennen, umso weniger selbstverständlich, unumstritten und wohlmeinend wird er erscheinen. Und das ist ein Anfang. KDV ist ein nützliches intellektuelles und aktives Instrument für diese Art von Widerstand, wo tiefe individuelle Überzeugungen kollektive gewaltfreie Aktion inspirieren.

Falls Ihr von Veranstaltungen am Tag der Kriegsdienstverweigerung wisst oder selbst eine plant, schreibt an anhannah [at] wri-irg [dot] org. Die WRI kann dabei helfen, sie bekannt zu machen!

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