Ein subjektiver Vericht vom

20. Triennial der WRI in La Marlange, Belgien, 28. Juli- 1. August 1991

von Lutz Kerber

An der Konferenz der War Resisters International (Internationale Kriegs­gegner) nahm ich als Vertreter der Arbeits- und Forschungsstelle „Militär, Ökologie und Planung“ (MÖP e.V.) in Bonn und außerdem aus persönlichem Interesse teil. Glücklicherweise hatte ich mir meinen Erwartungsrahmen klar abgesteckt und stand dem erdrückenden Angebot an Plena, Workshops und Vorträgen nicht gänzlich hilflos gegenüber...

Das tägliche Programm begann mit ei­nem einstündigen Plenum, bestehend aus je­weils einer Rede und den neuesten (Friedens-) Nachrichten aus aller Welt, gefolgt von den verschiedenen Themengruppen von jeweils zweieinhalbstündiger Dauer. Nach dem Mittagessen ging es weiter mit einem Forum und einer ganzen Anzahl Workshops, unter denen die über 350 Teilnehmer aus 35 Ländern auswählen konnten. Abends wurden mitgebrachte  Videos gezeigt.

Einen zentralen Hinweis hatte WRI- Staff-Member Howard Clark zu Anfang der Konferenz gegeben: „Triennials sind eher `do-it-yourself-affairs'“. Und das stimmt- ob man die fünf Tage einfach nur genoß, interessante Leute kennenlernte und abends fetete, oder ständig auf der Suche nach neuen Informationen, Erkenntnissen und Kontakten in den fünf Tagen mit Speedy-Gonzales-Mentalität die Arbeit von drei Wochen erledigen wollte, blieb einem selbst überlassen. Friedensarbeit als Angebot (und was für ei­nes!) also, mit der Einschränkung aller­dings, daß die Organissatoren auf die freiwillige Hilfe der Teilnehmer in den verschiedensten Be­reichen angewiesen waren und diese auch bekamen.

Allgemein ist der Konferenzleitung Beifall zu spenden! Zwar gab es Pannen, doch an denen war die Leitung meist schuldlos, und sie wurden auch immer bestmöglich behoben. Ich glaube, daß ich noch nie in meinem Leben geduldigere Menschen gesehen habe, als jene Handvoll Mitarbeiter, die der täglichen Fragenflut von mehreren hundert Teil­nehmern immer freundlich, hilfsbereit und mit viel Verständnis standhielten.

Die fünf Tage begannen mit einer Nachricht, die uns allen zeigte, wie wichtig Institutionen wie die WRI und alle ihre Aktivisten und Mitglieder nach Beendigung des Kalten Krieges noch immer (oder gerade jetzt) sind: Aleksander Pronozin, 21jöhriger Kriegsdienstverweigerer in der Soviet-Union und erstes WRI-Mitglied dieses Landes seit 1920, war am 24. Juli, kurz vor seiner Reise nach Belgien, wegen seiner Weigerung, Soldat zu sein, und seines fortwährenden Engagements für die Einführung des Zivildienstes in der UdSSR festgenommen und in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert worden (siehe auch „Wegen Kriegsdienstverweigerung in der Psychiatrie“). Ich selbst hatte im Juni die Anerkennung als KDV erhalten und war damals froh gewesen, diese „Formalität“ endlich erledigt zu haben. Hier offenbarte sich mir der Stellenwert internationaler Vernetzung erst in seiner vollen Tragweite. Offengestanden habe ich die Möglichkeit, das organisierte Töten auf Befehl zu verweigern, immer als selbstverstöndlich angesehen - aber muß man nicht als Verweigerer aus „Gewissensgründen“ auch die unterstützen, die gegen ihren Willen in die Armeen dieser Welt hineingezwungen werden sollen?

Einer der Höhepunkte war sicherlich die Rede von Marko Hren, der beim Zentrum für Friedenskultur und Gewaltlosigkeit in Ljubljana arbeitet, zur Lage in Jugoslawien. Sein zweijähriger Sohn saß die ganze Zeit mit Marko auf dem Podium und fand das alles anfangs noch ganz spannend... Ein wenig später aller­dings war die Geduld des jüngsten Teilnehmers der Konferenz dann erschöpft, was er mit einem durch die Mikrofone deutlich zu verstehenden „Wanna go a little outside“ (Ich will ein bißchen nach draußen) kundtat. Marko unterbrach seine Rede mehrmals, um mit dem Kleinen zu verhandeln. Den Zuhörern erklärte er: „Das müssen wir (als gewaltfreie Aktivisten) eben lernen, wißt ihr?“ Auf das unweigerlich folgende nächste „ich will ein bißchen nach draußen“ antwortete er: „Du, Slowenien will das auch..., sie wollen nur ein bißchen nach draußen“ - für mich ohne Frage das Zitat der Konferenz. Die unendliche Geduld, mit der Marko seinen Sohn durch die gesamte Rede hindurch mal auf dem Schoß, mal auf dem Stuhl neben sich bedachte, vermittelte eine deutlichere Botschaft als alle Worte: Frieden und Gewaltfreiheit fangen zu Hause an.

Zu erwähnen ist auch noch, daß die WRI am 2./3. August ihre Geschäftssitzung abhielt, von der kann ich allerdings nicht berichten. Interessierte können bei Christine Schweitzer von der Graswurzelwerkstatt in Köln anfragen, sie gehört ja jetzt zum „Inner Circle“.

Am Ende beklagten manche Teilnehmer, die Konferenz hätte zu wenig konkrete Ergebnisse. In der Tat hatte auch ich den Eindruck, daß es hier mehr um Erfahrungsaustausch und das Knüpfen von Kontakten ging. Beides war wirklich in sehr beindruckender Weise möglich, und für mich waren auch das „konkrete Ergebnisse“. Dieser Teilnehmer fuhr jedenfalls hochzufrieden, aber auch recht nachdenklich wieder nach Hause.

PS: Der Autor bittet um Entschuldigung für die verwandte „alt­modische“ Sprache... Ich bin weder Chauvinist noch Sexist, dafür aber um so mehr Liebhaber klarer, benutzbarer Formulierungen.

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Lutz Kerber ist Schüler des beethoven-Gymnasiums und Mitarbeiter der MÖP e.V. in Bonn.