Agenda 2010 stoppen: Aufruf zur Herbstkampagne 04

von Friedens- und Zukunftswerkstatt, Frankfurt
Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Freundinnen und Freunde,

Die Großdemonstrationen am 3. April 2004 waren ein voller Erfolg, der jedoch nicht verpuffen darf. Politiker der Regierung und Opposition zeigten sich zwar beeindruckt, betonenaber, dass sie an ihrem grundsätzlichen Kurs festhalten wollen. Arbeitgeberverbände forcieren ihre Angriffe auf die Tarifverträge, insbesondere die Arbeitszeit.

Es ist ein Versäumnis, dass sich die bundesweiten Organisationen nicht bereitsvor dem 3. April darauf verständigt haben, wie es danach weiter gehen soll mit den Protesten. Es fehlt eine gemeinsame Orientierung von allen am Bündnis für den 3. April beteiligten Gruppen, Verbänden und Personen.

Damit keine gewollte oder ungewollte Sommerpause entsteht, stoßen wir hiermit eine bundesweite Kampagne mit Zuspitzung im Spätherbst an, in die wieder alle eingebunden werden sollen und die örtliche Bündnisse stärken soll.

Diese Kampagne ist Bestandteil einer langfristigen Auseinandersetzung, ob und in welcher Weise unsere Grundinteressen auf ausreichende Löhne und Sozialleistungen durchgesetzt werden können. Diese Frage stellt sich weltweit.

Wir wollen die Rücknahme der Agenda 2010, den Sozial-, Bildungs- und Lohnabbau stoppen und ihn nicht sozialverträglich mitgestalten. Der Frankfurter Appell (zu beziehen bei: bernd [dot] riexinger [at] verdi [dot] de) bietet eine gute Grundlage für die Herbstkampagne. Diese soll die neue soziale Bewegung stärken und eine bessere Ausgangsposition für die nächsten Runden schaffen.

1) Die Themen
Die Kampagne hat das Ziel, die Bundesregierung mit konkreten Forderungen zu konfrontieren. Die Forderungen müssen geeignet sein, sowohl Beschäftigte als auchweitere Bevölkerungsgruppen anzusprechen und zu mobilisieren. Aus verschiedenen bisherigen Diskussionen haben sich dabei folgende mögliche Zuspitzungen bzw. Themenfelder heraus kristallisiert:
 

 
    Reichtum besteuern! Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen, keine weitere Absenkung des Spitzensteuersatzes der Einkommensteuer und Wiedereinführung einer Vermögenssteuer!
 
 
    Weg mit Hartz IV. Keine Zumutbarkeitsverschärfungen für Arbeitslose und Beibehaltung der Arbeitslosenhilfe. Stattdessen gesetzlicher Mindestlohn und Existenz sicherndes Grundeinkommen.
 
 
    Weg mit den Praxisgebühren und Zuzahlungen bei der Gesundheitsreform, keine Ausgliederung von Krankengeld und Zahnersatz/Zahnbehandlung aus der Krankenversicherung,
 
 
    Rentenkürzungen stoppen. Keine weitere Verschlechterung der gesetzlichen Altersversorgung. Statt dessen eine einheitliche gesetzliche Krankenversicherung, in die alle für alle einzahlen. Aufhebung von Beitragsbemessungs- und Pflichversicherungsgrenzen.
 
 
    Schluss mit Privatisierung! Statt dessen öffentliche Daseinsvorsorge und Bildung für alle verbessern.
 
 
    Dazu kommt noch die Forderung, die in die Tarifauseinandersetzungen Anfang 2005 hineinwirkt:
 
 
    Keine Verlängerung der Arbeitszeit! Statt dessen deutliche Arbeitszeitverkürzung.
 
 
    Die Forderung nach Einführung von Vermögenssteuer und Rücknahme der Unternehmenssteuerreform ist exemplarisch für die Heranziehung großer Vermögen und Kapitalbesitz zur Finanzierung des Gemeinwesens. Die übrigen Forderungen sprechen sowohl Beschäftigte als auch Arbeitslose, RentnerInnen und andere Bevölkerungsgruppen an und sind geeignet, in der Öffentlichkeit breiten Zuspruch zu finden.

Der Kampf gegen die Verlängerung der Arbeitszeit ist nicht nur eine tarifpolitische Angelegenheit, sondern muss als gesellschaftspolitische Auseinandersetzung geführt werden. Hier geht es nicht nur um die Vernichtung zahlreicher Arbeitsplätze, sondern auch um die Frage, wie Arbeiten und Leben miteinander verbunden werden können. Das berührt auch die Rolle der Frauen und die Verteilung zwischen den Geschlechtern. Es geht darum, neben den Beschäftigten zivilgesellschaftliche Gruppen anzusprechen und zu mobilisieren.

Anmerkung
Selbstverständlich reicht es nicht aus, sich insgesamt auf einige wenige Forderungen zu beschränken. Die Zuspitzung hat den Sinn, Protest zu bündeln und konkrete Veränderungen möglich zu machen - weil für sehr viele Betroffene so das Schlimmste verhindert werden könnte und weil es viele Menschen zum Mitstreiten motiviert, wenn sich wirklich etwas verändert.

Diese Kampagne muss eingebettet werden in die Arbeit an einem Alternativprogramm zur gegenwärtigen neoliberalen Wirtschaftspolitik. Das ist notwendig, um dem Vorwurf, wir würden nur nein sagen, mit Alternativen entgegenzutreten und auch um eine glaubwürdige mittel- bis längerfristige Orientierung zu schaffen. In diesen Prozess müssen die verschiedenen am Bündnis beteiligten Gruppen und Organisationen mitwirken und ihre Vorstellungen und Interessen einbringen.

2) Die Vorbereitung
Die Vorbereitungsphase beginnt jetzt und zwar überall in den Betrieben, Gemeinden, Städten und Regionen. Dort wo schon Bündnisse oder Sozialforen bestehen, gilt es diese zu erweitern oder zu beleben und Kontakte zu intensivieren. Dort wo es noch keine solchen Strukturen gibt, gilt es persönliche Kontakte zu suchen und Zusammenkünfte zu organisieren.

Sammelt mögliche Termine / Anlässe / Akteure und Aktions- und Veranstaltungsformen, legt Verantwortlichkeiten fest und erarbeitet jeweils einen örtlichen Kampagnenplan.

Es geht um Information und Öffentlichkeitsarbeit, um Presseresonanz, um Mobilisierung von möglichst vielen Betroffenen und um deutlichen Druck auf die Bundestagsabgeordneten, unseren Forderungen nachzukommen.

Es wird auch eine Reihe bundesweiter Treffen geben, bei denen geplant, koordiniert und über die weitere Zuspitzung beraten wird. Ein für alle Engagierten offenes ist die Attac-Sommerakademie (31.7.-5.8. in Dresden).

3) Der Auftakt
Der pressewirksame Start der Herbstkampagne soll der 18. und 19. September sein:

Am Samstag,18. September, veranstaltet das Sozialbündnis Hessen einen Protesttag mit Demonstration, Kundgebung und Infomarkt in Frankfurt. Am selben Abend beginnt unsere zweite bundesweite Aktionskonferenz, die am Sonntag, 19. September, fortgesetzt wird. (Damit knüpfen wir an die Versammlung der 500 AktivistInnen am 17./18. November 2003 in Frankfurt-Bornheim an).

Bitte bringt dorthin Einschätzungen und Pläne aus euren Bündnissen, damit wir ein Bild bekommen vom Stand der Vorbereitungen und unseren Kräften.

4) Die Kampagne
läuft etwa 8 Wochen, in denen vielfältigste Aktivitäten entfaltet werden sollen und vor allem die Mobilisierung auf die Aktionstage intensiviert werden muss.

Es ist wichtig, dass betriebliche und außerbetriebliche Aktivitäten verzahnt werden, dass ihr voneinander wisst, aufeinander Bezug nehmt und gegenseitige Besuche organisiert ! (Z.B. ein Arbeitsloser berichtet beim Gottesdienst / ein Attaci referiert bei der Betriebsversammlung / eine Jugendvertreterin agitiert beim Diakonischen Werk.). So kann tragfähige gemeinsame Erfahrung entstehen.

30. Oktober ist "Weltspartag" - vom Runden Tisch der Erwerbslosen und von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitsloseninitiativen seit einigen Jahren zur Skandalisierung von Verteilungsfragen genutzt. Der kann gut einbezogen werden. Auch die Teilnahme und öffentliche "Berichterstattung" vom Europäischen Sozialforum in London (15.-17.10.) kann motivieren.

Wer sich zivilen Ungehorsam, gewaltfreie Blockaden o.ä. zutraut, sollte zur Vorbereitung ein entsprechendes Aktionstraining mit kompetenter und erfahrener Anleitung organisieren.

5) Der nächste "Meilenstein": bundesweite Aktionstage
Um den 17. November herum sind bundesweit dezentrale Aktionstage geplant. Der Mittwoch, 17.11., ist der Buß- und Bettag - ein Feiertag bis vor wenigen Jahren, den die ArbeitnehmerInnen für die Pflegeversicherung einbringen mussten; der Ausstieg aus der Parität.

Überall wo es möglich ist, sollte (im Sinne der Wiederaneignung) dieser Tag nicht mit Erwerbsarbeit, sondern mit politischer Aktion verbracht werden: In und um Parteibüros, Banken, Ämtern, Rathäusern und wo sonst Verantwortliche für Sozialabbau zu treffen sind. Überall wo möglich, sollen zeitgleich Betriebsversammlungen oder "Betriebsausflüge" an solche Orte organisiert werden.

Es geht darum, eine neue Qualität von Protest und Entschlossenheit zu demonstrieren,die nachdrücklicher wirkt, als Infostand oder Kundgebung an einem Samstag auf einem beliebigen Marktplatz. Vieles davon ist natürlich auch an aufeinander folgenden Tagen möglich. Und alles hängt von der Dynamik, der Mobilisierung und der Akzeptanz der Akteure vor Ort ab.

6) Die Nachbereitung
Nehmt euch Zeit für die Auswertung! Die soziale Bewegung muss weiter entwickelt werden und braucht eine Kultur der konstruktiven Reflektion, um den nächsten Schritt besser zu bewältigen.

Wir gehen davon aus, dass weitere Proteste, Aktionen, Massenmobilisierungen bevorstehen - vermutlich im ersten Quartal 2005 - um Arbeitszeitverlängerung zu verhindern. Und vergesst nicht zu feiern! Eure eigenen gelungenen Aktionen und - vielleicht - den einen oder anderen politischen Erfolg.

7) Material und Unterstützung
Wir wollen ein bundesweites Kampagnenteam zusammenstellen, das mindestens Folgendes herstellen/sicherstellen soll:
 

 
    Homepage: www.alle-gemeinsam-gegen-sozialen-kahlschlag.de mit aktuellen Informationen zur Kampagne, Flugblattvorlagen, Links zu Argumentationsmaterial, Sammlung von Aktionsideen, Adressen von AktionstrainerInnen,
 
 
    Plakat + Flyer mit Eindruckmöglichkeit
 
 
    Vorbereitung + Auswertung der Aktionskonferenz
 
 
    Überregionale Pressearbeit

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