Eine Region blutet aus

Auf das Militär folgt der wirtschaftliche Ruin

von Thomas Leif

Ein kalter Morgen, Ende November, früh um 6.00 Uhr. Vor den Toren der US-Transporteinheit in Kaiserslautern halten Mitarbeiter der zivilen Unterstützungsgruppen (civilian support groups) die Autos ihrer Kollegen an und drücken ihnen Flugblätter mit ihren Forderungen in die Hand. Rund 100 Zivilangestellte haben beim ersten bundesweiten Warnstreik mitgemacht. Ein Drittel der 90.000 Zivilbeschäftigten - so die Befürch­tungen der "TV - werden demnächst ihre Entlassungspapiere erhalten. Die anderen wissen, dass ihre "Freisetzung" nur eine Frage der Zeit ist.

 

Mit den dreistündigen Warnstreiks an zwei Tagen wollte die ™TV die Arbeit­geber - vertreten durch den Bundesmini­ster der Finanzen - wieder an den Ver­handlungstisch zwingen. Die Zivilange­stellten, die hier für die Transporte von Munition und Medikamenten nach Saudi-Arabien eingeplant sind, sehen ihre Zukunft realistisch, nüchtern. Hoff­nungen macht sich hier niemand: "Die meisten haben sich mit der drohenden Entlassung schon abgefunden. Warum sollen sich die Amerikaner noch mehr Kosten aufhalsen? Von Saudi-Arabien kehren sie bestimmt nicht in die Pfalz zurück," meint ein junger Fahrer. Sein Kumpel ärgert sich über die lässige Art der Amerikaner, die bedenkenlos nach der Methode "hire and fire" verfahren: "Das ist nicht die feine Art - einfach Tschüß sagen. Das wars` nach all den Jahren, die wir hier geschafft haben. So gehts` nicht - und dafür wird hier de­monstriert." Ein 47j„hriger Koch weiß schon heute, daß er in der Westpfalz keinen neuen Job mehr kriegt.

Die Betroffenen, je zur Hälfte Arbeiter und Angestellte, stehen hinter dem 11-Punkte Programm der ™TV. Sie fordern zuerst alternative Arbeitsplätze, Um­schulung und Weiterbildung, geregelt in einem Tarifvertrag "Soziale Absiche­rung". Kommt es zu den absehbaren Entlassungen, fordert die ™TV Abfin­dungen, die etwa ein Monatsgehalt je Beschäftigungsjahr ausmachen sollen. Für die Streitkräfte unverständliche Ma­ximalforderungen. Für die Zivilange­stellten eher ein bescheidener Aus­gangspunkt für Tarifverhandlungen.

Ami goes home
In den nächsten Jahren werden die Amerikaner ihre Truppenstärke von 250.000 auf 195.000 Soldaten verrin­gern und 123 Stützpunkte räumen. Die Franzosen wollen ihre Einheiten in zwei Schritten vollständig abziehen. Die Bri­ten werden nur noch jeden dritten Sol­daten in der Bundesrepublik zurücklas­sen. Sie schrumpfen auf 25.000 Mann.

Die genauen Abzugspläne verraten die US-Militärs nicht einmal den Minister­präsidenten der CDU-regierten Länder oder dem Verteidigungsminister. Kurz nachdem sie mit den führenden Vertre­tern im US-Pentagon verhandelt haben, wird ihnen das Wort im Munde alt. Im Bundesrat haben sie deshalb einen Ent­schließungsantrag eingebracht, mit dem sie ein stärkeres Mitspracherecht for­dern.

Doch diese Wünsche stoßen bei den US-Militärplanern auf taube Ohren. Fest steht nur, daß in neun Monaten der US-Flugplatz in Zweibrücken geräumt wer­den soll. Die 26. Taktische Aufklä­rungseinheit mit 2000 Soldaten wird je­doch nicht abgerüstet. Sie ist Opfer or­ganisatorischer Straffung und Kosteneinsparung. Ob und wie der kleinste der acht NATO-Flughäfen in Rheinland-Pfalz in Zukunft genutzt werden kann, ist noch völlig offen. Eine erste Um­welt-Untersuchung brachte an 60 Stel­len erhebliche Verschmutzung ans Ta­geslicht. Dies ist kein Einzelfall. Eine erstmals bekanntgewordene "worst si­tes" Studie der US-Army listet allein 358 verseuchte Liegenschaften auf. Dies ist erst die Spitze des Müll- und Gift­berges, der so US-Experten, Sanie­rungskosten in Höhe von mehreren Mil­liarden Dollar verursachen wird. Völlig offen ist jedoch, ob die Amerikaner für ihre Verseuchung von Boden und Was­ser mit ™l, Schmiermitteln, giftigen Chemikalien und Benzin überhaupt auf­kommen. Die US-Kommandeure werfen jetzt den deutschen Behörden zu laxe Kontrollen vor und begründen damit die indirekte Aufforderung an die Deutsche, die Sanierung der freiwerdenden Lie­genschaften selbst zu übernehmen.

Teure Hinterlassenschaft
Nicht nur die Sanierungskosten kom­men wohl auf die Steuerzahler zu. An den Kommunen, die jahrelang die La­sten einer unzumutbaren Militärpräsenz getragen haben und ihre gesamte Infra­struktur auf ihre Stationierungsgäste auslegen mußten, geht die angepriesene "Friedensdividende" vorbei. Für die früher militärisch genutzten Grundstücke müssen sie marktübliche Preise zahlen. In den meist strukturschwachen Regio­nen ist dies eine zynische Quit­tung nach 45 Jahren geduldig ertragener Bela­stung.

Besonders im Großraum Kaiserslautern - die Amerikaner sagen hier K-Town - machen die negativen Folgen des Ab­zugs den Menschen zu schaffen. Seit Jahrzehnten ballen sich hier Munitions­depots, Kasernen, Kommandozentralen und Wohnghettos. Ziehen die hier sta­tionierten 70.000 US-Soldaten mit ihren Angehörigen ab, wird diese struktur­schwache Region in den Ruin stürzen. Jeder Zehnte sucht hier Arbeit. Krisen­geschüttelte Betriebe in der Schuhindu­strie können nur noch mit staatlichen Hilfen überleben.

Jahrelang wucherte das Militär hier un­gehemmt, entwickelte sich zu einem Wirtschaftsfaktor, der heute kaum noch wegzudenken ist. Im Land der Reben, Rüben und Raketen sind die US-Streit­kräfte nach der BASF und dem öffentli­chen Dienst der drittgrößte Argeitgeber. Der Jahresumsatz der hier stationierten GI`s und ihrer Familien wird alleine in dieser Region mit fünf Milliarden Mark angegeben.

Die regelmäßigen Aufträge der Ameri­kaner sind besonders für Baufirmen und Handwerker eine feste Größe. Michael Herl, der Junior-Chef in einer mittel­ständischen Malerfirma, will jetzt schon seine Firmenpolitik ändern: "Es wird schwer sein, den Engpaß zu füllen." Auch der Schreiner Peter Leppla will sich wieder stärker um private Kund­schaft kümmern.

Aber auch Handel, Gastronomie und Taxiunternehmer sind Nutznießer der konsumfreudigen GI`s. Bei einem Ab­zug von nur 20 Prozent der Amerikaner kalkulieren diese Branchen mit einem ebenso hohen Umsatzrückgang.

Auch der Wohnungsmarkt droht rund um die Garnisonsstädte zusammenzu­brechen. Viele - auch normal verdie­nende Bürger - haben sich hoch ver­schuldet, um Wohnungen für die Ame­rikaner zu bauen. Denn die US-Soldaten sind begehrte Mieter, weil sie selbst auf dem flachen Land und in versteckten Dörfern 12 Mark pro Quadratmeter Kaltmiete hinlegen. Ein Mietzins den Einheimische nicht zahlen. Wie Bruno Brehm bangen jetzt viele Vermieter um ihre Existenz: "Ich würde das Haus nicht halten können. 2000 Mark ohne Mieteinnahmen aufbringen im Monat, ist nicht drin. Wir mußten das Haus sehr wahrscheinlich verkaufen. Aber auch mögliche Käufer sind hier in der West­pfalz rar."

Politiker ohne Konzept
Obwohl die Region zwischen Kaisers­lautern und Pirmasens wirtschaftlich ausblutet und auf wirksame Initiativen der Landesregierung wartet, kommen aus der Mainzer Staatskanzlei nur eu­phorische Presseerklärungen und viel heiße Verlautbarungsluft. Durch den Truppenabbau sieht sie "Chancen für den Strukturwandel". Die 18 Punkte des eilig aufgelegten Sofortprogramms lesen sich wie ein niedergeschriebener Traum von der sozialen Marktwirtschaft, deren Antriebskräfte schon alles richten wer­den. Die in Aussicht gestellten Förder­mittel der Europäischen Gemeinschaft entpuppten sich rasch als haltlose Spe­kulation. Die Gemeinschaftsmittel "Zur Verbesserung der regionalen Wirt­schaftsstruktur" oder die Mittel ähnlich der "Zonenrandförderung" müssen erst noch gegen die Interessen der fünf neuen Bundesländer erstritten werden.

Die Selbstheilungskräfte sind zwar schon oft beschworen worden, aber in Krisenregionen noch nie eingetreten. Die langsame und stetige Auszehrung der früher militärisch genutzten Regio­nen markiert die zukünftige Entwick­lung. Die Expertenkommissionen, Pla­nungskomitees und neu geschaffenen Gremien, die jetzt erst ihre Arbeit auf­nehmen, werden in einigen Jahren hinter einem Berg von Gutachten, Expertisen und Planungspapieren mit leeren Hän­den dastehen. Sie werden ihre Forde­rungen, Appelle und Anfragen nach Bonn und Brüssel richten; dadurch wer­den die Menschen in der Westpfalz und den vergleichbaren Regionen in der Bundesrepublik ihre Lage jedoch nicht verbessern können.

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Hintergrund
Thomas Leif ist nach dem Studium der Politikwissenschaft, Publizistik und Pädagogik jetzt TV-Journalist in Mainz. Er ist Mitherausgeber und Redaktions-mitglied der Zeitschrift "Forschungsjournal Neue Soziale Bewegung"