Entwicklung

Auf dem Weg zu neuen globalen Entwicklungszielen

von Sonja Grigat

Bis September 2015 wollen die Staaten sich auf neue globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele (SDG) verständigen. Die SDG sollen ab nächstem Jahr die Grundlage für die weltweite Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung bilden. Sie lösen damit die 2015 auslaufenden Millenniumentwicklungsziele (MDG) ab. Gleichzeitig greifen die SDG den Beschluss des Umweltgipfels der Vereinten Nationen (Rio+20-Gipfel) aus dem Jahr 2012 auf, globale Ziele für nachhaltige Entwicklung zu formulieren. Mit den SDG sollen eindeutig messbare und für alle Länder geltende Ziele vereinbart werden, die in den kommenden Jahren das politische Handeln in den Bereichen Entwicklung und Nachhaltigkeit anleiten sollen.

Die SDG werden vor dem Hintergrund einer Vielzahl von Krisen und globalen Herausforderungen ausgehandelt, die auf alle Menschen gravierende Auswirkungen haben, insbesondere auf die Menschen im globalen Süden. Die weiterhin weltweit grassierende Armut muss beendet werden. Die Wirtschafts-, Finanz-, Gesundheits- und Nahrungsmittelkrisen müssen ebenso wie der Klimawandel angegangen werden. Auch muss der Verbrauch an natürlichen Ressourcen drastisch reduziert werden, soll unsere natürliche Lebensgrundlage dauerhaft erhalten bleiben. Außerdem müssen die bestehenden großen sozialen und ökonomischen Ungleichheiten, die sowohl zwischen Nord und Süd als auch innerhalb vieler Länder bestehen, überwunden werden.

Erfolg und Scheitern der Millenniumentwicklungsziele
Seit 2001 dienen die MDG als Rahmen für die weltweite Armutsbekämpfung. Sie wurden aus der Millenniumserklärung entwickelt, die ein Jahr zuvor von den Staats- und Regierungschefs beim UN-Millenniumsgipfel verabschiedet worden war. Die Ziele sind Bekämpfung von extremer Armut und Hunger, Grundschulbildung für alle, Gleichstellung der Geschlechter / Stärkung der Rolle der Frauen, Senkung der Kindersterblichkeit, Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Mütter, Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderen schweren Krankheiten, ökologische Nachhaltigkeit und Aufbau einer globalen Partnerschaft für Entwicklung. Zur Erreichung der MDG wurden messbare Zielmarken und eine klare Frist vereinbart. Bis Ende 2015 sollten die gesteckten Ziele erreicht sein.

Die Bilanz der MDG kurz vor Ende ihrer Laufzeit ist gemischt. Global gesehen wurde beispielsweise das Ziel 1 erreicht, den Anteil der Menschen zu halbieren, die von weniger als $1,25 am Tag leben müssen. Lebten 1990, dem Bezugsjahr für die Messung der MDG, noch 50 Prozent der Menschen in Entwicklungsländern in extremer Armut, sind es heute noch 22 Prozent. Diese Zahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass immer noch rund 800 Millionen Menschen weltweit hungern. In den meisten anderen Zielen wurden Fortschritte gemacht, erreicht sind sie aber noch lange nicht. Die Zielerreichung in den Ländern und Regionen ist ausgesprochen ungleich. Insbesondere die erfolgreiche Armutsbekämpfung in China und Indien hat letztlich dazu beigetragen, dass Ziel 1 schnell erreicht wurde. In anderen Regionen, wie beispielsweise dem südlichen Afrika, liegt die extreme Armut dagegen noch über 40 Prozent.

Viele Kriege und politische Krisen sowie strukturelle Hindernisse von nachhaltiger Entwicklung und Armutsbekämpfung haben dazu beigetragen, dass die Mehrzahl der MDG bislang nicht erreicht wurde. Es sind vor allem das internationale Wirtschafts-, Handels- und Finanzsystem, das weltweit Ungleichheiten verstärkt und zu einer Verstetigung der Armut beiträgt. Aber auch die auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaftsweise, die einhergeht mit stark konsumorientierten Lebensstilen in den Industrieländern, befördert Ausbeutung, Umweltverschmutzung und Klimawandel. Diese Lebensstile haben sich mittlerweile in der ganzen Welt verbreitet, so dass die aufstrebenden Mittelschichten im globalen Süden einen ähnlichen Lebensstandard anstreben wie die Menschen im Norden. Aber auch die schleppend vorangehende Durchsetzung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung erschwert die Armutsbekämpfung und die friedliche Entwicklung von Gesellschaften.

Partizipation und Stolpersteine auf dem Weg zu den neuen Zielen
Diese Probleme sollen nun mit der Entwicklung neuer globaler Ziele angegangen werden. Nach dem Rio+20-Gipfel starteten die UN einen breit angelegten Partizipationsprozess, in dem sich Staaten, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in die Erarbeitung der SDG einbringen konnten. Die vom UN-Generalsekretär und der Entwicklungsgruppe der UN eingeleiteten Initiativen banden Staats- und Regierungschefs, die interessierte Öffentlichkeit, VertreterInnen der Wissenschaft und entwicklungspolitische Fachkräfte sowie VertreterInnen der Wirtschaft ein. Die Offene Arbeitsgruppe zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung (OWG) schließlich wurde von der UN-Generalversammlung eingesetzt, um einen konkreten Entwurf zu den SDG zu entwickeln. Trotz der vielen Möglichkeiten war die tatsächliche Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung von Vorschlägen für die neuen Ziele eher gering. Dies lag bisweilen daran, dass Informationen zu den Angeboten oftmals nicht ausreichend waren. Auch war häufig nicht klar, wie die Beteiligung genau ablaufen sollte und wie die vielen Beiträge bei der Ausarbeitung von Zielvorschlägen einfließen würden. Das hat mitunter zu einer gewissen Skepsis gegenüber der Ernsthaftigkeit des Partizipationsangebots geführt.

Die vielen Vorschläge für die neuen Ziele, die aus diesen Prozessen hervorgegangen sind, hat der UN-Generalsekretär schließlich in einem Synthesebericht zusammengefasst. Entscheidend für die Verhandlungen zwischen den Staaten ist aber vor allem der Vorschlag der OWG. Sie hat 17 Ziele mit 169 Unterzielen vorgeschlagen. Einige der vorgeschlagenen Ziele sind aber unter den Staaten umstritten. Hier treten die Konflikte zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden wieder deutlich zutage. Insbesondere die westlichen Industrieländer bestehen auf Zielen zu Rechtstaatlichkeit und guter Regierungsführung, zu Frauenrechten und zu reproduktiven Gesundheitsrechten. Die Länder des Südens, die in der Gruppe der 77 organisiert sind, verlangen Ziele, die eine stärkere Beteiligung der reichen Länder an der Entwicklungsfinanzierung und Reformen in der internationalen Handels- und Finanzpolitik anstreben. Während die Mehrheit der Staaten mittlerweile befürwortet, den OWG-Vorschlag mit seinen 17 Zielen ohne größere Änderungen zu übernehmen, gibt es eine kleine, aber wortmächtige Minderheit, die die Anzahl der Ziele und Unterziele reduzieren will, um über diesen Weg unliebsame Zielsetzungen wieder loszuwerden. Hierzu gehören unter anderem die Ziele zum Schutz der Umwelt und zur Schaffung von Rechtsstaatlichkeit.

Zentrale Forderungen der Zivilgesellschaft
In der entwicklungs-, friedens- und umweltpolitischen Zivilgesellschaft herrscht weitgehend Einigkeit darüber, wie nachhaltige Entwicklung und ein Ende der Armut erreicht werden können. Mit den SDG muss eine grundlegende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft hin zu Nachhaltigkeit und globaler Gerechtigkeit eingeleitet werden. Mithilfe der SDG muss die auf Wachstum ausgerichtete Wirtschaft auf eine vorsorgeorientierte, auf Effizienz und Suffizienz gerichtete Wirtschaftsweise umgestellt werden. Es muss gesetzliche Regelungen geben, die Unternehmen für die Verletzung von bestehenden Umwelt- und Sozialstandards zur Rechenschaft ziehen. Umwelt- und entwicklungsschädliche Subventionen müssen abgeschafft werden. Und es müssen sich die Lebens- und Konsumweisen weltweit ändern, vor allem bei uns in den reichen Ländern.

Ein wesentlicher Teil dieser Transformation ist die konsequente Durchsetzung der Menschenrechte, weshalb die neuen Ziele einem menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen müssen. Das bedeutet, dass in den SDG nicht nur der Zugang, sondern auch die Verwirklichung der Rechte auf Nahrung, Gesundheit, sauberes Wasser und menschenwürdige Arbeit aufgenommen werden müssen. Hierzu gehören auch die umfassende Verwirklichung der Rechte von Kindern und Menschen mit Behinderungen. Aber auch die Gleichberechtigung der Geschlechter muss verwirklicht werden, was nicht nur die Durchsetzung der Rechte von Frauen und Mädchen, sondern auch die Überwindung  von Diskriminierung, Stigmatisierung und geschlechtsspezifischer Gewalt umfasst.

Schließlich kann nachhaltige Entwicklung nur gelingen, wenn Gesellschaften einen friedlichen und konstruktiven Umgang mit sozialen Konflikten pflegen. Viele NRO fordern deshalb auch, dass es ein starkes Ziel geben muss, das alle Staaten dazu verpflichtet, Frieden, Demokratie und gute Regierungsführung zu erreichen. Angegangen werden müssen auch Waffen-, Drogen- und Menschenhandel, die massive negative Auswirkungen auf lokale Gewaltkonflikte haben. Insbesondere muss in die SDG das Ziel aufgenommen werden, dass Länder, die Waffen weiterhin an Staaten liefern, die Kriege führen oder systematisch die Menschenrechte verletzten, zur Rechenschaft gezogen werden.

Die Welt lebenswerter machen
Die StaatenvertreterInnen müssen bei den Verhandlungen über die neuen globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsziele, die ab Mitte Januar bei der UN in New York stattfinden, den Schutz der Erde und ihrer Lebewesen zu ihrem ureigenen Interesse machen. Sie müssen sich auf ehrgeizige und messbare Ziele verständigen, die eine globale soziale und ökologische Transformation einleiten und die für alle Länder gelten. Nur dann kann zukünftigen Generationen ein Leben in Würde, Wohlstand, Gesundheit, Sicherheit und Frieden ermöglicht werden. Aber auch jede und jeder von uns kann einen Beitrag leisten, die Welt ein wenig lebenswerter zu machen: durch politisches Engagement, bewussten Konsum und gelebte Solidarität mit allen, die in Armut und unter menschenunwürdigen Bedingungen leben – bei uns und weltweit.

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