Aus Protest gegen den Irak-Krieg eine neue Bewegung?

von Ringo Bischoff
Vereint in der ablehnenden Haltung des Feldzugs der USA und Großbritanniens gegen den Irak gingen in den letzten Wochen und Monaten weltweit Millionen Menschen auf die Straße. Erst zaghaft, dann immer deutlicher und immer mehr sagten: Nein. Auf dem Höhepunkt des Protestes gelang es, sich weltweit innerhalb der Friedensbewegung abzustimmen und gemeinsame Protesttage zu organisieren. Nicht nur die deutsche Presse meldete die Rückkehr der Friedensbewegung - einer neuen, breiten Bewegung.

Mittlerweile wendet sich das Bild. "Normalität" kehrt ein. Die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen gehen zurück und immer häufiger wird die Frage aufgeworfen, ob das ganze überhaupt irgendetwas genutzt hat? Der Krieg konnte nicht verhindert, bestenfalls hinausgezögert werden. Die humanitären und ökologischen, erst recht nicht die politischen Konsequenzen sind absehbar. Zunehmend nimmt ein Teil der Presselandschaft dies zum Anlass, die "neue Bewegung" zu beerdigen.

Die Friedensbewegung hat all ihre Kräfte darauf konzentriert, den lange angekündigten und von langer Hand geplanten und vorbereiteten Krieg zu verhindern. Gleichzeitig hat sie immer angekündigt, dass ihr Widerstand auch dann weiter gehen wird, wenn sich der Krieg nicht verhindern lässt. Daraus ergibt sich die Verantwortung, nicht nur vielfältige Aktionen fortzusetzen sondern weitreichende strategische Schwerpunkte und Ziele zu erarbeiten. Dabei sind folgende Punkte zu beachten:
 

 
    1. Die starke Mobilisierungsfähigkeit ist im engen Zusammenhang mit der Ablehnung des Irak-Krieges, nicht mit Krieg grundsätzlich, zu sehen.
 
 
    2. Dieser Effekt ist in Deutschland auch durch die ablehnende Haltung der Bundesregierung möglich gewesen.
 
 
    3. Es gilt die partiellen kritischen Einsichten und die grundsätzliche Bereitschaft, sich für Frieden einzusetzen, nachhaltig zu nutzen.
 
 
    Das vorrangige Ziel, die Verhinderung des Krieges, wurde nicht erreicht, und damit lässt der breite Widerstand nach. Auch die Bundesregierung gibt sich gemäßigter, und es werden neue Begrifflichkeiten, wie zum Beispiel "Entwaffnungskrieg", der Öffentlichkeit vorgestellt. Hier gilt es die Kraft einer in erster Linie Anti-Bewegung zu nutzen und Alternativen deutlich zum Ausdruck zu bringen. Bei der Formulierung dieser Alternativen müssen soziale und friedenspolitische Themen miteinander verknüpft werden.

Auch die Absicherung des zukünftigen Energiebedarfs auf der Basis von regenerativen Energien spielt hier eine grundlegende Rolle. Insbesondere vor dem Hintergrund der angestrebten Neuordnung im mittleren Osten spielt dies eine zunehmend wichtigere Rolle. Bei der Diskussion dieser Fragen kann an den gegenwärtigen Irak-Konflikt angeknüpft werden.

In diesem Zusammenhang muss die Forcierung des Umbaus der Bundeswehr zu einer Angriffsarmee stärkere Beachtung finden. Damit einher geht ebenfalls die Diskussion zum Aufbau einer europäischen Interventionsarmee. Um diese Vorhaben zu finanzieren, müssen enorme Finanzmittel freigesetzt werden. Merkwürdigerweise werden zur selben Zeit die sozialen Sicherungssysteme in Frage gestellt. Dies wird damit begründet, dass sie zu teuer wären und jeder einzelne mehr Eigenverantwortung übernehmen soll. Eigenverantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang eine höhere finanzielle Belastung für den Einzelnen. Eine Erscheinung, die nicht nur in Deutschland zu beobachten ist.

Der Zusammenhang zwischen dem Aufrüstungsbestreben auf der einen und Abbau von sozialen Sicherungssystemen auf der anderen Seite muss herausgestellt werden. Notwendig hierfür ist eine Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Friedensorganisationen auf nationaler und internationaler Ebene.

Um eine entsprechende Öffentlichkeit herstellen zu können, muss die grundlegende Bereitschaft der Bevölkerung, sich für Frieden engagieren zu wollen, genutzt werden. Dabei spielen Schüler und Schülerinnen eine herausragende Rolle. Mit überdurchschnittlichem Engagement haben sich Zehntausende spontan "der Bewegung" angeschlossen und vielfältige Aktionen auf die Beine gestellt. Dies kann tatsächlich als eine neue Bewegung bezeichnet werden. Die Bereitschaft, sich intensiv mit globalen ökonomischen und ökologischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, ist momentan noch vorhanden. Das kritische Hinterfragen der Positionen von Regierungen, dem Sinn und Zweck ihres Handelns und die Diskussion von Alternativen stößt bei dieser Gruppe auf hohes Interesse. Allerdings ist die Gefahr, dass gerade diese Gruppe frustriert die Aktivitäten einstellt und nur schwer wieder reaktiviert werden kann, am größten. Deshalb sind geeignete Aktivitäten für eine entsprechende Ansprache zu finden. Positive Beispiele für eine inhaltliche Diskussion und die Verknüpfung mit Aktionen lieferte im letzten Jahr ein Bündnis aus Gewerkschaftsjugend und attac. Diese Erfahrungen müssen aufgegriffen werden, um gerade Schülern und Schülerinnen eine Plattform für Diskussionen und Aktivitäten zu bieten. Wichtige Elemente können dabei gemeinsame Diskussionsforen mit attac und anderen globalisierungskritischen, sozialen und politischen Bewegungen sein. Sie können für die Friedensbewegung, erst Recht für Gewerkschaften, eine Bereicherung sein und zu ihrer Verjüngung beitragen.

Auch die verabredete Zusammenarbeit von GEW und ver.di zusammen mit Studierendenvertretungen und weiteren Verbänden, an Hochschulen Friedenspolitik wiederzubeleben, ist ein entsprechender Ansatz. Gerade Hochschulen waren und sind Keimzellen von politischen Diskussionen und Aktivitäten. Ausgangspunkt bei der Überlegung von möglichen Aktivitäten ist hier die Verknüpfung von Studieninhalten mit friedenspolitischen Themen. Beispielhaft sei hier die Auseinandersetzung um Forschung und die Verwendung der Ergebnisse für militärische Zwecke genannt.

Die jüngsten Erfahrungen einer weltweiten Vernetzung von Friedensaktivitäten und Gruppen unterschiedlichster Couleur sind unbedingt auszubauen. Hier können Gewerkschaften von diesen Erfahrungen maßgeblich profitieren. Denn entgegen dem vorherrschenden Strukturbewusstsein bewegt sich gerade die internationale Globalisierungskritik im virtuellen Raum, orientiert an Themen und Aktionen. Dies auf die Zusammenarbeit zwischen klassischen Friedensorganisationen und Gewerkschaften im nationalen und internationalen Kontext zu übertragen, würde die Handlungsfähigkeit deutlich steigern.

Für die Gewerkschaften besteht die Aufgabe, ihr Profil in Sachen Friedenspolitik zu schärfen. Es gilt in einen intensiven Diskurs innerhalb der Einzelgewerkschaften und des DGB einzutreten. Ziel muss es sein, ein breites Bewusstsein für den Zusammenhang von sozialen und friedenspolitischen Themen zu schaffen. Dieses Bewusstein muss stärker als in der Vergangenheit das Handeln bestimmen. Dabei wird auch der Interessenkonflikt zwischen Sicherung von Arbeitsplätzen und militärischen Interessen, wie Rüstungsexporte oder die Umstrukturierung der Bundeswehr, neu diskutiert werden müssen. Gute programmatische Grundlagen reichen dabei nicht aus. Zusammen mit den Betroffenen müssen Konzepte für eine soziale, humane und ökologisch sinnvolle Nutzung der vorhanden Ressourcen erarbeitet werden.

Mein Fazit:
Die in der Überschrift aufgeworfene Frage, ob aus dem Protest gegen den Irak-Krieg eine neue Bewegung gewachsen ist, muss momentan noch mit "Nein" beantwortet werden. Aber es gibt erfolgversprechende Ansätze. Diese weiter konsequent zu verfolgen, ist nicht zuletzt Aufgabe der Gewerkschaften. Dabei muss die Gewerkschaftsjugend eine Vorreiterrolle einnehmen.

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Ring Bischoff ist Gewerkschaftssekretär bei der ver.di-Jugend.