Advocacy bei der UN

Basisarbeit statt großer Träume!

von Hauke Thoroe
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Sollte die deutsche Friedensbewegung noch mehr auf UN-Ebene aktiv werden? Dumme Gegenfrage: Wie viele NGOs und Kampagnen aus den Friedensbewegungen in Deutschland beackern das Thema jetzt schon? Welchen Unterschied soll eine weitere Fokussierung auf die UN bringen?

Noch mehr Lobbyismus bei der UN bedeutet zwangsläufig, noch mehr NGOs und Kampagnen zu schaffen. Denn für ein sinnvolles Eingreifen bei der UN braucht es Hauptamtliche und viele Spenden für ihre Gehälter. Das führt unweigerlich zu einer Organisationsform, in der Entscheidungen in der bezahlten Zentrale gefällt werden, und die Basis zum Spendensammeln da ist. Entspricht eine solche Organisation wirklich unseren Zielen?

Einige der Hauptamtlichen in der Friedensbewegung werden jetzt sagen, dass es ohne die Hauptamtlichen schon lange nicht mehr ginge, denn sie bringen Kontinuität in eine Organisation. Das mag sein, doch damit sind massive Probleme verbunden. Hauptamtliche einzustellen bedeutet, dass einige wenige sich nicht mehr um ihren Lebensunterhalt kümmern müssen. Hauptamtliche können in Vollzeit Friedensbewegung machen und ihre Vorstellungen über die politische Arbeit aufgrund der ihnen zur Verfügung stehenden Zeitressourcen in hohem Maße durchsetzen - während andere das nicht können. Und das über Jahre. Oder in einigen Fällen sogar Jahrzehnte, während andere Leute mit anderen Ideen wegen Kapitalismus und so ihre Ideen weniger einbringen können.

So wird eine Bewegung gerade durch die mit Hauptamtlichen angeblich garantierte Stabilität und Kontinuität strukturell unweigerlich zu einer Erstarrung, die vor allem mit der Beschaffung von Finanzmitteln für die eigenen Stellen beschäftigt ist. Die Frage, ob die deutsche Friedensbewegung mehr bei der UN machen sollte, ist daher auch eine Frage nach Zielen und anschließender Ressourcenverteilung. Deshalb muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht lohnendere Ziele gibt, die mit den begrenzten Mitteln einer Friedenserstarrung realistischer zu erreichen wären.

Das Ende des westlichen Krieges in Afghanistan könnte uns die Zielfrage nicht deutlicher vor Augen führen. Denn die 20 Jahre Afghanistan sind nicht nur ein Debakel für die deutschen Politik, sondern auch ein Debakel für die deutsche Friedensbewegung. Wir müssen uns vergegenwärtigen: Ein Großteil der Bevölkerung lehnt Auslandseinsätze wie in Afghanistan oder Mali ab. Und das seit 20 Jahren. Und seit 20 Jahren ist es der Friedenserstarrung nicht gelungen, aus dieser weiten passiven Ablehnung aktiven Protest zu machen. Und das trotz all der Hauptamtlichen, all den Kampagnen und der angeblichen Stabilität und Kontinuität.

Doch statt dieses Desaster kritisch zu reflektieren, gibt z.B. die DFG-VK, die gerade eine Lobby-Stelle geschaffen hat, in einer Pressemitteilung den Besatzungsmächten Tipps, wie man so eine Besatzung das nächsten Mal besser organisiert: „Zudem hätten die westlichen Besatzer*innen den strategischen Fehler begangen, die Zivilgesellschaft und die lokale Wirtschaft zu wenig zu fördern. Stattdessen habe der Fokus beinahe ausschließlich auf dem Militär gelegen." (Pressemitteilung der DFG-VK vom 16.08.2021)

Ich frag mich auch, warum die wichtigen Leute in der Friedenserstarrung dieses ungenutzte Potential nicht sehen. Schließlich träumt man z.B. bei „Stopp Ramstein“ von der großen Volksbewegung und in der DFG-VK darf es bloß nicht zu radikal und frech sein, weil man in die Mitte der Gesellschaft will. Dabei will die Mitte der Gesellschaft bereits jetzt keine militärische Außenpolitik. Statt uns Kampagnen auszudenken, Spenden für Hauptamtliche zu sammeln und darüber zu grübeln, wie wir mit der UN reden, sollten wir einfach mit unseren Nachbar*innen, Kolleg*innen und Freund*innen reden. Und ihnen Angebote für ein Engagement gegen eine militärische Außenpolitik machen. Denn da ist die Mitte der Gesellschaft bereits bei uns.

Statt in Büros mit Wichtigmenschen Lobbyismus zu machen und uns zu freuen, wenn Abgeordnete, Landrät*innen und Bürgermeister*innen mal nett zu uns sind, weil wir immer so freundlich, seriös und harmlos auftreten, sollten wir mal ordentlich auf die Kacke hauen. Denn dann ändert sich auch was. In den Jahren 2007-2012 gab es beim Thema Gentechnik eine ganz ähnliche Situation. Weite Teile der Bevölkerung lehnen Gentechnik in der Landwirtschaft ab, und trotzdem fand sie statt. In dieser Situation besetzte eine Bande von ein paar dutzend Ökos die richtig teuren Versuchsfelder, um die Versuche total unnett und unseriös zu stören oder zu verhindern. Die Hauptamtlichen der Öko-NGOs gingen intern dagegen vor. Trotzdem gelang ein paar Handvoll Chaot*innen durch gewaltfreie direkte Aktionen in den betroffenen Orten die passive Ablehnung der Gentechnik in aktiven Protest zu verwandeln und innerhalb weniger Jahre der Gentechnik die gesellschaftliche Betriebserlaubnis zu entziehen. Seit 2013 gibt es weder Freilandversuche, noch kommerziellen Anbau von genetisch veränderten Organismen in Deutschland. Und das haben nicht die schicken NGOs mit ihren seriösen Hauptamtlichen geschafft, sondern eine Handvoll Chaot*innen.

Auch wenn Auslandseinsätze Staatsräson sind, leuchtet mir nicht ein, warum gezielte gewaltfreie direkte Aktionen an den Orten der Täter*innen nicht auch geeignet sein sollten, die passive Ablehnung von Auslandseinsätzen in aktiven Protest zu verwandeln. Doch dafür braucht es aber von unten nach oben aufgebaute Graswurzelorganisationen mit einer starken Basis. Und keine Hauptamtlichen, die nach New York fliegen und nett und bis zu Erbrechen seriös mit wichtigen Leuten reden. Sollte die deutsche Friedensbewegung mehr auf UN-Ebene aktiv werden? Nein, definitiv nicht. Wir haben genug bei uns zu tun.

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Hauke Thoroe ist Delegierte des Landesverbandes Berlin zum Bundesausschuss der DFG-VK. Er engagiert sich seit 2000 gegen Militär und Krieg. 2006 blockierte er mit anderen einen Militär-Transport der Bundeswehr, der Raketen und anderes Material für die Nato-Response-Force transportierte. In den folgenden sechs Jahren Gerichtsprozess musste er erleben, dass weite Teile der Friedensbewegung mit solchen gewaltfreien direkten Aktionen völlig überfordert sind und lieber nett und freundlich zur Bürgermeister*innen sind. Der „Friedenswinter“, wo viele nette, seriöse und studierte Wichtigmenschen der Friedensbewegung autoritären und antisemitischen Knalltüten der Wahnmachen begeistert hinterher liefen, irritiert ihn bis heute sehr.