Besonnenheit statt Schnellschüsse

von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Hintergrund
Hintergrund

Die Terroranschläge am 11. September haben die freiheitlichen Demokratien der westlichen Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Wie allerorten wird auch in Deutschland diskutiert, welchen Stellenwert die innere Sicherheit in einer Gesellschaftsordnung haben kann und muss, die auf den Werten der Rechtsstaatlichkeit, der Freiheit und der Toleranz aufbaut. Diese Debatte ist notwendig und sinnvoll. Die ernste Situation und das Entsetzen über die verbrecherischen, menschenverachtenden Taten der Terroristen in den USA darf jedoch nicht dazu verleiten, blindwütig nach neuen Gesetzen zu rufen, die auf immer weitergehende Freiheitsbeschränkungen hinauslaufen.

Jeder Vorschlag zur Verbesserung der Sicherheitslage muss sich an der Frage messen lassen, ob dadurch mutmaßliche Attentäter schon im Vorfeld aufgespürt und festgesetzt werden können, um Terroranschläge, wie in den USA, wirklich zu verhindern. Bei alledem sind stets die in unserem Grundgesetz verbrieften Grundrechte und das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Auge zu behalten.

Vor diesem Hintergrund muss man zu der Einsicht gelangen, dass wir in Deutschland weniger ein Gesetzes- als ein Vollzugsdefizit haben. In über 50 Gesetzen hat noch die alte Bundesregierung aus FDP und CDU/CSU von 1990 bis 1998 Polizei, Justiz und Geheimdiensten ein verschärftes Instrumentarium an die Hand gegeben, um besser gegen Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Korruption und Rauschgifthandel vorgehen zu können. Von den neuen Möglichkeiten wurde von Bundesland zu Bundesland in höchst unterschiedlichem Maß Gebrauch gemacht. Hinzukommen Personalmangel auf Bundes- und Landesebene und unzureichende Ausstattung. So wurden in Berlin 2000 DNA-Analysen noch nicht bearbeitet, 50 richterliche Abhörgenehmigungen nicht umgesetzt. In Bayern macht es die dünne Personaldecke erforderlich, Grenzschutzbeamte für sachfremde Aufgaben, wie Bürotätigkeit oder Wartungsaufgaben, einzusetzen. Die eigentliche Polizeiarbeit leidet darunter.

Ebenfalls nicht realisiert wurde das bereits 1992 beschlossene länderübergreifende polizeiliche Informationssystem - jetzt INPOL-neu. Immer wieder traten Hard- und Software-Probleme auf. Bis zum heutigen Tag wurde für das Projekt ein dreistelliger Millionenbetrag ausgegeben. Die Kostenplanung des Bundeskriminalamtes sieht für die Jahre 2002 bis 2005 weitere 195 Millionen vor. Trotzdem ist noch nicht abzusehen, wann dieses System endlich in Betrieb genommen werden kann.

Auch die viel diskutierte Einschränkung des nationalen Bankgeheimnisses ist im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen Terroristen Augenwischerei. Dem global agierenden Terrorismus lässt sich auf diese Weise nicht die finanzielle und wirtschaftliche Grundlage entziehen. Bereits jetzt sind alle Banken und Kreditinstitute verpflichtet, Steuerfahndern, Polizei und Staatsanwaltschaft Auskünfte über Konten und Kontobewegungen zu erteilen, wenn ein hinreichender Tatverdacht auf das Vorliegen einer Straftat dargelegt wird. Das Bankgeheimnis behindert also in keiner Weise die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden. Eine weitere Lockerung erleichtert allenfalls die Ermittlungen gegen Steuerhinterzieher von Seiten des Finanzamtes. Absolute Priorität muss dagegen das gemeinsame Vorgehen auf internationaler Ebene gegen sogenannte Off-Shore-Finanzplätze haben, wie sie es weltweit gibt. Dort können anonym in beliebigem Umfang und ohne jegliches Hindernis weltweite Geldgeschäfte getätigt werden. Es ist dringend notwendig, einen Sondergipfel der G-7-Staaten zu initiieren, auf dem wirkungsvolle Strategien zur Beseitigung dieser nicht kontrollierbaren Transaktionen erarbeitet werden, um diesen "Sumpf" auszutrocknen.

Es bleibt hierbei anzumerken, dass die erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus nur international und in europäischem Zusammenwirken gelingen kann. Mobilen, überregional agierenden Straftätern kann man nicht im nationalen Alleingang begegnen. Es muss deshalb der Ausbau der europäischen Strafverfolgungsmöglichkeiten rechtlich und institutionell weiter vorangetrieben werden. Kompetenzen und Handlungsmittel sind gesetzlich festzuschreiben und verantwortliche politische Zuordnungen vorzunehmen. Das Europäische Polizeiamt (EUROPOL) muss personell und finanziell besser ausgestattet werden. Dies hat Vorrang vor immer neuen Aufgabenzuweisungen, die das Amt organisatorisch gar nicht bewältigen kann. Ein Kernproblem von Europol ist, dass die Teilnehmerländer bei der Analysearbeit, dem Informationsaustausch und der Bildung von gemeinsamen Sonderkommissionen höchst unterschiedlich mitwirken. Diese Defizite müssen beseitigt werden. Außerdem ist erforderlich, dass eine Kontrolle dieser Polizeiarbeit durch die Justiz erfolgt und die für die EUROPOL-Mitarbeiter geltende Immunitätsregelung abgeschafft wird.

Ein weiterer Schritt hin zu einer wirksamen Bekämpfung des Terrorismus ist die Schaffung einer europäischen Staatsanwaltschaft. Diese könnte, ähnlich wie der deutsche Generalbundesanwalt, bei bestimmten schwersten Straftaten Haftbefehle, Durchsuchungen oder Beschlagnahmen beantragen und Tatverdächtige anklagen. Die neue Koordinierungsstelle für staatsanwaltliche Ermittlungen (Eurojust), die voraussichtlich zum Jahresende arbeitsfähig sein soll, ist ein erster Schritt in diese Richtung, dem weitere folgen müssen. Dabei bleibt stets zu bedenken, dass alles, was Europa an eigener justizieller Handlungsmacht zuwächst, dringend einer unmittelbaren parlamentarisch-demokratischen Kontrolle bedarf. Außerdem müssen sich die europäischen Mitgliedsstaaten auf bestimmte Straftatbestände einigen.

Auf keinen Fall darf der Datenschutz zum generellen Hindernis, also zum Täter- und damit zum Terroristenschutz degradiert werden. Die pauschale Behauptung, der Datenschutz behindere effektives Vorgehen gegen Terrorismus und Kriminalität, entbehrt jeglicher Grundlage. Der Datenaustausch zwischen Registerbehörden, Staatsanwaltschaft, Polizei und Diensten ist in vielen Gesetzen ausdrücklich erlaubt und zugelassen. So gibt das Ausländerzentralregistergesetz den Verfassungsbehörden des Bundes und der Länder schon jetzt das Recht, Informationen im automatisierten Verfahren abzurufen. Der Bundesinnenminister ist in der Pflicht, Defizite in diesem Bereich nachzuweisen und nachvollziehbar zu begründen. Dies hat er bisher nicht getan.

Wir müssen die bestehenden gesetzlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus konsequent umsetzen und genau sondieren, wo noch Handlungsbedarf besteht. Für Aktionismus und Symbolpolitik ist kein Platz. Gleiches gilt für gesetzgeberische Schnellschüsse. Deshalb muss z.B. ein neuer § 129 b StGB, mit dem ausländische terroristische Vereinigungen bekämpft werden sollen, ein zwar straffes, aber geordnetes parlamentarisches Verfahren durchlaufen, um zu gewährleisten, dass er wirklich eine Verbesserung bedeutet und nicht nur dazu führt, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden in ausländische Bürgerkriege hineingezogen werden.

Ohne den Ernst der Lage zu verkennen, rufe ich alle Beteiligten dazu auf, eine zielorientierte, sachliche Debatte über notwendige Maßnahmen zu führen. Es gilt die Sicherheitslage in Deutschland und Europa objektiv zu verbessern. Viele der jetzt gemachten Vorschläge haben allenfalls Einfluss auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger. Ihre Wirksamkeit ist oft zweifelhaft. Dann gehören sie dorthin, wo sie zum Teil auch herkommen, nämlich in die Mottenkiste der Ordnungsphantasien von Herrn Schily und Herrn Beckstein. Sicherheit kann und darf es nicht in der Weise geben, dass unserem freiheitlichen Rechtsstaat die Grundlage entzogen wird. Das Spannungsverhältnis zwischen innerer Sicherheit und Freiheit darf nicht dahin gelöst werden, dass die Freiheit abgeschafft wird.
 

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Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Stellv. Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion und Bundesjustizministerin a. D.