Bosnien-Herzegowina 30 Jahre nach Kriegsende

Bosnien-Herzegowina: Kein Vergessen – Kein Vergeben

von Reinhard Griep
Hintergrund
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Milan und seine Frau Jasmina leben in Kozarska Dubica an der Grenze zu Kroatien. Sie verlassen ihr Haus nur für das Nötigste. Zu stark sind die Erinnerungen an den Anfang der 1990er Jahre, als sie von Nachbarn aus ihrem Haus vertrieben wurden – mit denen sie kurze Zeit vorher noch gemeinsam Kaffee getrunken hatten. „Und was soll ich in der Stadt?“ fragt Milan. „Dort treffe ich nur Leute von damals, die meiner Familie viel Leid angetan haben.“ Ein Sohn war im Konzentrationslager Omarska. Der Krieg und die Folgen der ethnischen Säuberung und Diskriminierung sind bis heute spürbar, Täter und Opfer leben gemeinsam – ohne gemeinsame Sprache, Verständigung oder gar Versöhnung.

Im Dezember 1995 wurde das sog. Daytoner Friedensabkommen geschlossen und damit die Trennung des Landes entlang der damaligen Frontlinie zementiert. Im bosnisch-serbischen Teil der sog. Srpska leben seitdem nur noch wenige muslimische Bosniak*innen, damit wurde ein Kriegsziel, die Vertreibung der bosnischen Muslime, in diesem Teil Bosniens fast erreicht.

Kozarska Dubica liegt in der sog. Srpska und Milan und Jasmina gehören zur muslimischen Minderheit in der Stadt. 2001 haben sie ihr Haus – entkernt bis auf die Stromleitungen – zurückbekommen, eine Vorgabe von „Dayton“, aber viele bosnische Muslime sind nicht zurückgekehrt, denn zum einen wurden traditionelle Industriebetriebe wie z.B. die Textilindustrie zerstört, zum anderen werden neben der hohen Arbeitslosigkeit gesellschaftliche Chancen nach wie vor entlang der ethnischen Zugehörigkeit vergeben. Die beiden Söhne haben sich längst nach Deutschland abgesetzt, dort Arbeit gefunden und Familien gegründet – jedes Jahr verlassen Zigtausende vor allem junge Menschen als Arbeitsmigranten das Land in Richtung EU. Die Bundesregierung hat 2021 erneut für Staatsangehörige der sechs Westbalkanstaaten einen privilegierten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt geschaffen. Die Folge: Die alten Menschen bleiben zurück und der Überlebenskampf schiebt sie an den Rand der Gesellschaft.

Hier setzt die NGO Putevi mira („Friedenswege“) an, die in den 25 Jahren ihres Bestehens viele Projekte initiiert hat, um die soziale Situation der Menschen in Kozarska Dubica zu verbessern. Der Krieg hat Menschenleben und deren soziale Netze vernichtet. Putevi mira möchte – auch mit der 2018 eröffneten Altenbegegnungsstätte – die Einsamkeit und Isolation der alten Menschen überwinden und die gesellschaftliche Sensibilität für alte Menschen wecken. Die Leiterinnen der NGO, Cima Zdenac und Sadija Becirevic, haben selbst eine Fluchtgeschichte und ihr Verein wird u.a. von der ev. Kirchengemeinde in Essen-Kray, der Bonner Bosnien Initiative und Pax Christi DV Köln unterstützt. Cima Zdenac gehört zu den ersten Absolventinnen der Ausbildung in Ziviler Konfliktbearbeitung beim Forum Ziviler Friedensdienst (ZFD) in Deutschland. Die Kenntnisse und Erfahrungen setzt sie in der Durchführung von verschiedenen Formaten der Verständigung ein: Interreligiöse Begegnungen, überregionale Treffen von Frauen („Frauenfriedensschritte“) zur Stärkung ihrer zentralen gesellschaftlichen Rolle oder in der Organisation von deutsch-bosnischen Jugendbegegnungen.

Trotz aller Bemühungen: Die Zivilgesellschaft in Bosnien ist schwach, die nationalistischen Strömungen und Parteien dominant, daran haben auch die letzten Gemeindewahlen nichts geändert. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird 2025 kurzfristig auf Bosnien gelenkt – auf den Jahrestag des Kriegsendes und vor allem auf den 30. Jahrestag des Genozids in Srebrenica. Anfang Juli jeden Jahres machen sich tausende Menschen auf einen 100 km langen Friedensweg von Tuzla nach Srebrenica und gedenken der mehr als 8000 getöteten muslimischen Männer und Jungen. „Srebrenica“ markiert das internationale militärische Eingreifen in den Krieg und dessen Ende mit dem Daytoner Friedensabkommen. Im Mai 2024 hat die UN-Vollversammlung gegen den Widerstand Serbiens die Einführung eines Gedenktags zum Massaker von Srebrenica beschlossen. Künftig soll weltweit am 11. Juli an den Völkermord erinnert werden.

„Srebrenica“ ist aber auch weiterhin das Synonym für den Kampf um Deutungshoheit: Der Präsident der bosnisch-serbischen Teilrepublik und Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums Milorad Dodik leugnet bzw. relativiert regelmäßig den Genozid an den bosnischen Muslimen und hebt eigene Opfer hervor. Die Stadt Srebrenica in der bosnisch-serbischen Enklave soll nun einen anderen Namen bekommen – um damit die Geschichte weiter in Vergessenheit geraten zu lassen. Dodik tut alles, um den Gesamtstaat zu schwächen, provoziert regelmäßig mit militärischen Aufmärschen und dem Hofieren von rechtsextremen (Tschetnik)gruppen und strebt einen eigenen Staat oder den Anschluss an Serbien an – und erhält Unterstützung von Putin. Schon längst wehen überall in der Srpska Flaggen des Staates Serbiens – ein Schritt in Richtung Großserbien. Werden mit Trump und seinen „Deals“ nun Veränderungen von Grenzen leichter möglich und welche Kettenreaktion von Begehrlichkeiten hat das zur Folge? Auch vor diesem Hintergrund sind die verstärkten Bemühungen der EU zu sehen: Bosnien ist seit 12/2022 EU-Beitrittskandidat. Die EU treibt die Sorge, dass Bosnien-Hercegowina sich ansonsten verstärkt in Richtung Russland oder China orientieren könnte.

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