Buchbesprechung: „Kein bisschen Frieden“ von Christoph Bausenwein

Das beste Buch zur Wehrpflicht, das zurzeit auf dem Markt ist

von Gernot Grube
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Wird die Ukraine oder Russland diesen Krieg gewinnen? Wird er im März, wenn diese Besprechung erscheint, vielleicht beendet sein? Oder wird er noch viel weiter eskaliert sein? Unsere Gesellschaften haben ein Problem mit Gewalt. Dazu gehört auch der Reflex, auf Gewalt mit Gegengewalt zu antworten, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Man darf sich fragen, ob die Gegengewalt der israelischen Regierung angemessen war. Dass sich Gesellschaften durch einen Gewaltakt nicht zu reflexartiger Gegengewalt provozieren lassen, geschieht selten. Eines der seltenen Beispiele ist Norwegen, wo man die eigenen Gesetze, insbesondere die Höchststrafe von 21 Jahren Freiheitsentzug, nicht änderte, nachdem ein Wahnsinniger in wenigen Stunden 77 Menschen ermordet hatte.

Zu den eher weniger subtilen Mechanismen, die allgemeine Gewaltbereitschaft zu erhalten, zählt die Wehrpflicht. Das Buch von Christoph Bausenwein, im Untertitel eine „Rebellion gegen die Wehrpflicht“, ist ein faszinierendes Dokument einer Auflehnung gegen institutionalisierte Gewalt. Der Autor war in den 1980er Jahren, als die Friedensbewegung gegen das atomare Wettrüsten zu Hochform aufgelaufen war, einer von wenigen, die nicht nur den Kriegsdienst mit der Waffe, sondern auch den Kriegsdienst ohne Waffe (Zivildienst) verweigerten. Er wandte sich nicht gegen Zwang überhaupt - er hatte zum Beispiel keine Einwände gegen eine Schulpflicht –, sondern er wollte ein Zeichen setzen gegen die vom Staat geforderte Pflicht, am Irrsinn der wechselseitigen Vernichtungsdrohung mitzuwirken.

Auf rund 500 sehr elegant geschriebenen Seiten führt er drei große Themen zusammen, die für eine Totalverweigerung bedeutend sind. Das erste ist der juristische Hintergrund. Dafür ruft er in Erinnerung, dass das wichtigste Prinzip des deutschen Grundgesetzes - die Würde des Menschen ist unantastbar - flankiert vom Artikel zur Gewissensfreiheit, durch die Anwendung einer Wehrpflicht permanent verletzt würde. Er kann auf den ehemaligen Verfassungsrichter Ernst Mahrenholz verweisen, der diese Grundgesetzauffassung geteilt hatte, allerdings erst, nachdem er aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war.

Der zweite Themenkomplex rankt sich um die Haftstrafe, die Bausenwein durch mehrere deutsche Gefängnisse führte. Es ist ein autobiografischer Einblick in eine psychisch sehr harte andere Welt, so hart, dass der Autor während seiner 12 Monate im Knast immer wieder mit sich selbst scharf ins Gericht gegangen ist. War es das wert gewesen? Er hatte sich nicht vorgemacht, dass es den Totalverweigerern gelingen könnte, die Wehrpflicht eines Tages abzuschaffen. Ihm war durchaus bewusst, dass er offenbar nur einen Zwang gegen einen anderen ausgetauscht hatte.

Auch beim dritten Thema schafft es Bausenwein, Anschaulichkeit und Reflexion leichthändig zu verbinden. Es ist die private Seite seiner Totalverweigerung. Für den Icherzähler schält sich im Laufe einer schonungslosen Erkundung der eigenen Biografie heraus, dass er offenbar an Stelle seines Vaters und Großvaters deren Kriegstraumata abarbeiten musste.

Obwohl eine Totalverweigerung offenbar eine betont individuelle Widerstandstat ist, gab es eine internationale Szene. Eine besondere Aktion, auf die Bausenwein immer wieder zu sprechen kommt, waren persönliche Friedensverträge, die die Wehrpflichtgegner verschiedener Staaten untereinander abschlossen, darunter auch einige aus der ehemaligen DDR. Unter den vielen sehr gut ausgewählten Abbildungen, die in den Text eingestreut sind, ist ein Faksimile eines solchen persönlichen Friedensvertrages, an dem der Charme einer antiquierten Schreibmaschinenseite hängen geblieben ist.

Das Buch schließt mit einem Nachwort, das eigentlich ein vierter Themenkomplex ist, und für diejenigen, die an unserer Gegenwart zu verzweifeln drohen, vielleicht der wichtigste Teil ist. Was tun in einer Welt, die kriegerischer geworden ist, in der Demokratien von außen und von innen bedroht sind? Bausenwein kommt zu dem Ergebnis, dass ein Pazifismus à la Sahra Wagenknecht letztlich zu einer Unterwerfung unter die imperialistische Aggression von Putins faschistoidem Russland führen muss. Eine militärische Verteidigungsfähigkeit der BRD hält er in diesen unruhigen Zeiten für nicht verzichtbar. Zugleich plädiert er für Maßnahmen, die das Verantwortungsbewusstsein für die Grundlagen der Demokratie stärken und die Solidargemeinschaft der Bürger*innen festigen können. Eine Wehrpflicht allerdings darf nicht zu diesen Maßnahmen zählen. Sie ist mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, weil sie entweder eine direkte oder indirekte Tötungspflicht bedeutet, und darüber hinaus die Gemeinschaft legitimiert, über das Leben eines Einzelnen zu verfügen. Bausenwein argumentiert, dass ebenso wie das gemeinschaftliche Zusammenleben dem Einzelnen Grenzen setzt, umgekehrt es für die Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen Grenzen gibt. Eine dieser Grenzen ist der Zugriff auf das Leben eines Einzelnen: Niemand darf gezwungen werden, zu töten oder sich töten zu lassen.

Christoph Bausenwein (2024): Kein bisschen Frieden, Rastede: edition einwurf, 512 Seiten, ISBN 978-3-89684-721-8, 30,- €

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Gernot Grube ist Philosoph und Totalverweigerer und lebt in Berlin und São Paulo.