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Gewaltfrei gegen die Besatzung
Der Friedensmarsch in Israel und den besetzten Gebieten
vonDie Einschüchterungsstrategie der israelischen "Sicherheitskräfte" (Besatzungstruppen in den von Israel seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten) gegenüber dem gewaltfreien Protest internationaler Friedensaktivisten wurde schon während der Vorbereitung deutlich: Anfang Juni 1992 trafen sich die Teilnehmer am "Walk for Peace" in der palästinensischen Ortschaft Beit Sahur in der Nähe Bethlehems zu einem zweitägigen gewaltfreien Training. Mit Beit Sahur war ein symbolträchtiger Ort für Strategien des zivilen Ungehorsams ausgewählt worden, denn zu Beginn der Intifada hatten sich die Dorfbewohner mit den israelischen Behörden einen zweijährigen Kampf um einen Steuerboykott geliefert. Schon am ersten Tag des Trainings wurde der Ort ab 16 Uhr unter Ausgangssperre gestellt und das Tagungsgebäude von "Sicherheitskräften" umstellt; so sorgte das Militär für ein Training unter realistischen Bedingungen. Konfrontationen konnten jedoch verhindert und das Training wie geplant zuende geführt werden: Die Einübung in gewaltfreie Techniken der Konfliktbewältiung und Entscheidungsfindung im Geiste Gandhis und Martin Luther Kings sowie die Festlegung der Marschroute, der Orte für Kundgebungen, Mahnwachen, gemeinsame Aktionen und Begegnungen mit israelischen und palästinensischen Gruppen.
Mit ca. 400 Teilnehmern begann dann am 6. Juni 1992 der eigentliche Marsch, zu dem Friedensorganisationen aus aller Welt aufgerufen hatten: u.a. die Internationale der Kriegsdienstgegner, der Versöhnungsbund, Pax Christi International, die Anti-kriegsgruppe ARROW aus Großbritannien und das Internationale Komitee für eine gewaltfreie Zukunft; von den internationalen Nahost-Gruppen waren die Vereinigung der palästinensischen Frauenorganisationen (USA), JADE (Jewish-Arab Dialogue in Europe) aus London und das "Middle East Justice Network" vertreten. Aus der Bundesrepublik gehörten die deutsche Sektion von Pax Christi, die Deutsch-Palästinensische Gesellschaft und der Deutsch-Israelische Arbeitskreis für Frieden im Nahen Osten zu den Unterstützern. Aus der Region beteiligten sich vor allem das ehemals von dem deportierten Palästinenser Mubarak Awad geleitete "Center for Nonviolence", die Anti-Besatzungsgruppen "Frauen in Schwarz" und "Yesh Gvul" sowie viele Einzelpersonen aus dem Friedenslager. Zu den zahlreichen Unterzeichnern des Aufrufes gehörten neben prominenten Israelis die palästinensischen RepräsentantInnen Dr. Hanan Aschrawi, Feisal Husseini, Sari Nusseibeh und Radwan Abu Ayyasch.
Erinnert werden sollte mit diesem "Walk for a Peaceful Future in the Middle East" an die israelische Besetzung des Westjordanlandes und des Gaza-Streifens vor 25 Jahren und an die permanenten Menschenrechtsverletzungen unter der Okkupation. Die Organisatoren wollten auf die weiterhin kritische Situation der palästinensischen Bevölkerung aufmerksam machen und demonstrieren, daß allein der Verzicht auf Gewalt von beiden Seiten eine dauerhafte und gerechte Friedensregelung ermögliche.
Trotz der wiederholten Bekenntnisse zur Gewaltfreiheit und intensiver Kontakte des Sprechergremiums mit den israelischen Behörden konnte eine Genehmigung für den Marsch, der von Haifa durch die besetzten Gebiete nach Jerusalem projektiert war, für die besetzte Westbank nicht erlangt werden, da er angeblich eine Gefährdung der Sicherheit in den "Gebieten " darstelle. So begannen die Marschierer - nach Einschätzung der konservativen Jerusalem Post alles "arbeitslose Marxisten" - wie geplant vor dem Atlit-Gefängnis bei Haifa mit einer Mahnwache, um Solidarität mit den dort einsitzenden israelischen Soldaten, die den Armeedienst in den besetzten Gebieten verweigern, zu demonstrieren. Verbales Gerangel mit der Polizei auch schon hier zum Auftakt. "Entgegen den getroffenen Vereinbarungen mit der Polizei versuchten uns die Sicherheitskräfte auf irgendwelche Nebenstraßen abzudrängen. Da wir damit nicht einverstanden waren, setzten wir uns einfach auf die Straße. So blieb der Polizei nichts anderes übrig, als uns gehen zu lassen.", so Bradford Lyttle, ein Organisator des Marsches und Friedensaktivist aus Chicago.
Eine Erlaubnis für die vorgesehene Demonstration vor dem für Palästinenser bestimmten Gefängnis von Meggido nahe der sog. Grünen Grenze zu den besetzten Gebieten hatten die Behörden schon gar nicht erteilt. So mußte man sich auch hier mit einer Mahnwache beschränken. An der Straße nach Jenin, der nächsten Station und ersten palästinensischen Stadt in der Westbank, fand aber eine Demonstration statt, bei der die RednerInnen die drei zentralen Forderungen des Friedensmarsches in den Mittelpunkt ihrer Ansprachen rückten: Schluss mit der Besatzung! Zwei Staaten für zwei Völker! Respektierung der Menschenrechte! Auch linke Knesset-Abgeordnete erklärten hier ihre Solidarität mit den Friedensmarschierern und ihren Forderungen.
Die nahe Grenze war dann jedoch von Militär und berittener Grenzpolizei blockiert. Lediglich die jüdischen Siedler konnten den Grenzposten ungehindert passieren. Die Sprechergruppe wurde von dem kommandierenden Offizier informiert, daß eine Fortsetzung des Marsches in die besetzten Gebiete nicht geduldet und die Versammlung sofort aufgelöst werde. Die Hinweise der Organisatoren, daß die Marschierer über eine Versammlungsgenehmigung bis sechs Uhr verfügten, hinderte das Militär jedoch nicht, schon um fünf Uhr dem Marsch ein Ende zu setzen. Von den Demonstranten, die sich dem Räumungsbefehl widersetzten, aus Protest gegen diese Verletzung der Vereinbarungen durch die Sicherheitskräfte auf der Straße niederließen oder auf die Grenze zumarschierten, wurden 115 - darunter 16 Israelis - unter den Gesängen und Protestrufen der anderen festgenommen. Sie wanderten für 48 Stunden in das Gefängnis, wo ihnen ein eigens herbeigeeilter Beamter des Innenministeriums die erteilten Visa für den Aufenthalt in Israel zeitlich kürzte, so daß alle Verhafteten bis zum 15. Juni das Land verlassen mußten.
Für die israelische und internationale Öffentlichkeit war der "Walk for Peace" damit zu einem vorzeitigen Ende gebracht worden, doch die Aktivisten ließen sich nicht entmutigen: Mit Bussen oder Taxis reisten sie in den nächsten Tagen nach Jenin, Nablus und Ramallah, um sich dort - wie vorgesehen - mit lokalen Gruppen zu treffen, Informationen über die Situation in den besetzten Gebieten zu sammeln und Perspektiven einer künftigen Friedensregelung zu diskutieren.
Es war der abrupte Abbruch des Friedensmarsches durch das israelische Militär, der dieser gewaltfreien Aktion nicht nur in Israel, sondern in der ganzen Welt die erhoffte Medienaufmerksamkeit verschaffte. Insoweit wurde das Ziel der Initiatoren des Marsches erreicht, eine breite Öffentlichkeit an den Junikrieg 1967 und die seitdem andauernde Besatzung zu erinnern und auf die ständigen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten hinzuweisen. Die Hoffnungen jedoch, wie zur Jahreswende 1990/91 mit der Menschenkette "Time for Peace" in Jerusalem auch eine massenhafte Beteiligung friedensbereiter Palästinenser und Israelis zu erreichen, wurden enttäuscht. Der Wahlkampf in Israel und die vor sich hin dümpelnden israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen haben wohl eine breite Mobilisierung verhindert. Gerade viele der israelischen Friedensgruppen konnten sich in dieser politischen Gesamtsituation nicht zu einer offenen Unterstützung des Marsches entschließen, da man vor allem im Hinblick auf die israelischen Parlamentswahlen befürchtete, eine solche Aktion mit einer abzusehenden Konfrontation mit den "Sicherheitskräften" könne sich kontraproduktiv auswirken. Der auch als Zeichen der Solidarität mit den Friedenskräften auf beiden Seiten des Konflikts gedachte "Walk for Peace" hat somit deutlich gemacht, wie eng die politischen Handlungsspielräume von den Gruppen vor Ort eingeschätzt werden. Ziviler Ungehorsam und gewaltfreie Aktionen sind in dem gewalttätig aufgeladenen nahöstlichen Konflikt auch unter den Friedensgruppen (noch?) keineswegs allseits akzeptierte Formen des politischen Kampfes für Frieden und Gerechtigkeit, gegen Besatzung und Menschenrechtsverletzungen.