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Nach dem Golfkrieg
Der juristische Wüstensturm
vonEine Welle von Prozessen richtet sich gegenwärtig gegen jene, die Anfang des Jahres mit Verweigerungs- und Desertionsaufrufen an Soldaten gegen den Irak-Krieg aktiv wurden. Vor allem scheint es um die Funktionsfähigkeit der staatlichen Machtinstrumente zu gehen, um die im militärischen Bereich seit Januar - bedingt durch ein explosives Anschwellen der Verweigerungszahlen um mehr als 600 % - durchaus begründete Zweifel kreisen.
Im Vordergrund des Staatsschutz-Interesses steht der Appell der Grünen an die Soldaten der Bundeswehr, im Falle des Einsatzbefehls an den Golf den Kriegsdienst zu verweigern und Fahnenflucht zu begehen, wohl auch weil dieser eine Art Initial-Funktion hatte und in der Öffentlichkeit durch das Vorgehen der Bonner Staatsanwaltschaft große Aufmerksamkeit fand.
Bundesweit hat es bislang vier Prozesse gegen insgesamt sieben Aktive gegeben. Zwei davon in Bonn gegen drei Mitglieder des vormaligen Bundesvorstandes der Grnen (R.Damus, Ch.Str”bele, J.Maier), den früheren grünen Geschöftsführer E.Walde und die Pressesprecherin A.Nilges. Auf dieser Ebene sind alle zu Geldstrafen (zwischen 1500,- und 7000,-DM) entsprechend ihrer Einkünfte wegen Strafbarem Aufruf zur Fahnenflucht gem. 111 StGB in Verbindung mit 16 WStGB verurteilt worden, im ersten Verfahren gegen Walde, Damus und Strübele zur Hölfte unter dem Antrag der Bonner Staatsanwaltschaft, im 2. Verfahren (Maier und Nilges) entsprechend dem StA - Antrag. Alle haben Revision eingelegt.
In Nürnberg wurde eine Flugblatt-Verteilerin aus der Friedensbewegung (nicht Mitglied der Grünen) freigesprochen. In München wurde ein Verfahren wegen eines englischen Aufrufs, der sich direkt an GI's richtete, wegen erwiesener Rechtsunkenntnis der Strafbarkeit eines solchen Aufrufs an alliierte Soldaten in Deutschland eingestellt.
Bekannt sind in Bonn weitere zwei Anklageschriften, die zu Prozessen führen sollen: Einmal gegen den für den Komplex verantwortlichen Mitarbeiter des Bundesvorstandes der Grünen und einmal gegen den früher presserechtlich Verantwortlichen der Bonner Grünen-Zeitung GRßZE.
Ansonsten wurden bundesweit bislang 12 Strafbefehle auf Bußgeldstrafen in Höhe von im Schnitt 600,-DM wegen Verbreitung des Aufrufs = Unterstützung einer strafbaren Handlung zurückgemeldet. Bei etwa der Hälfte wurde Widerspruch eingelegt, bei den anderen muß von Zahlung der Strafe ausgegangen werden.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, daß mindestens zwei Verfahren gegen damalige grüne MdB's zwischenzeitlich eingestellt wurden. Wirkt da ein Prominenten-Bonus, wie ja auch teilweise im Rahmen der Pershing-Blockade-Prozesse zu beobachten gewesen ist?
An Ermittlungsverfahren sind bundesweit außerhalb Bonn's bisher ca. 40 bekannt, wobei mit 20 allein in Münster dort ein Schwerpunkt liegt. Aber auch in Krefeld und Andernach wird ermittelt.
In Bonn selber laufen im grünen Bereich noch ca. 10 Ermittlungsverfahren gegen Flugblattverteiler, die noch nicht mit Strafbefehlen behelligt worden sind, und angeblich über 200 Ermittlungsverfahren gegen die Unterzeichner des in gleiche Richtung zielenden Aufrufes von Pax Christi.
Noch im April und im Mai, also Wochen nach dem Ende der Kriegshandlungen im 2. Golfkrieg, wurden Geschäftsräume und Privatwohnungen der DFG-VK NRW in Dortmund und Bochum wegen diesem und einem DFG-VK eigenen Aufruf vom Januar durchsucht sowie der Friedensladen Heidelberg wegen Rekruten-Aktionen.
Zu diesem Komplex staatlich-juristischer Belästigung sind in den letzten 4 Wochen noch Ermittlungsverfahren wegen des Göttinger Aufrufs aus der Friedensbewegung von der Bundeskonferenz der Friedensbewegung am 7./8.12.90 hinzugekommen (wegen Aufruf zur Unterstützung strafbarer Handlungen - gemeint ist der Aufruf, flüchtigen Soldaten Unterschlupf und Hilfe zukommen zu lassen -), bekannt sind derzeit zwei Ermittlungsverfahren, wobei sich eines wiederrum gegen E.Walde richtet als presserechtlich Verantwortlichen eines Flugblattes des Bundesverbandes der Grünen aus der ersten Januar-Woche 91 kurz vor Ablauf des Ultimatums an Irak, in dem auszugsweise der Text der Göttinger Erklärung abgedruckt war.
Dazu kommt aktuell ein Ermittlungsverfahren wegen Bannmeilenverletzung beim Bundestag in Bonn im Zuge einer angemeldeten Mahnwachen-Demonstration am 14.1.91 (Sondersitzung des Bundestages zum Golfkonflikt), bei der die Bonner Polizei sehr zu ihrem eigenen Ärger mit einer spontan entschlossenen und mehrstündigen erfolgreichen Blockade des Haupteinganges des Bundestages konfrontiert wurde, ohne daß ihr angesichts des geschlossenen Vorgehens aller Beteiligten auch beim Rückzug aus der Bannmeile die Verhaftung oder Feststellung sogenannter Rödelsführer gelungen wäre.
Sinnigerweise richtet sich das Ermittlungsverfahren gegen den Anmelder der Mahnwache außerhalb der Bannmeile (Bonner Friedenskooperative) und gegen Unbekannt aufgrund von Polizei-Videos bzw. Fotos, die den bzw. die von der Bonner Polizei angenommenen Rödelsführer in Aktion zeigen sollen(?).
Wegen Flugblattwerfens von der Tribüne bei dieser Bundestagssitzung hat das BT-Präsidium beim Europa-Parlament die Aufhebung der Immunität von Cl.Roth und W.Telkömper beantragt. Was daraus geworden ist, ist momentan nicht bekannt.
Bundesweit läuft angeblich seitens der Bundesanwaltschaft immer noch ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung namens Aktion Winterurlaub, der aktiven Hilfe für untergetauchte GI's. Von irgendwelchen Fortschritten seitens der Ermittler ist nichts bekannt. In Tübingen läuft ein gleiches Ermittlungsverfahren gegen den Freundeskreis Absent Soldiers. Zu den Mitbegründern gehört Walter Jens, der sich nach eigenem Bekunden auf öden Prozeß freut.
Ansonsten sind alle Verfahren wegen des Grünen Bundesverbands-Plakats Sagt Nein ! eingestellt worden.
Bewertung:
Politisch-juristisch treibender Faktor ist nach wie vor die Staatsanwaltschaft Bonn auf angeblich höhere Weisung aus Karlsruhe, die in bestimmten Bereichen zusätzlich zu den Flugblattverfahren, wie die neuen, nachgeschobenen Ermittlungsverfahren zeigen, noch zulegen möchte. Wobei die Vorgehensweise auf mich den Eindruck von Abschreckung in den Bereich der aktiven Friedensbewegung und antimilitaristisch aktiven Teil der Grünen hinein macht, vor dem Hintergrund des Golfkrieges, aber eben angesichts der geplanten „Out of Area“-Beteiligung der Bundeswehr auch darüber hinaus für künftige Auseinandersetzungen.
Mein Eindruck ist, daß die im Dezember und v.a. Januar geradezu explosionsartig angestiegenen und nicht zuletzt durch unsere Aufrufe ausgelösten Verweigerungszahlen bei aktiven Soldaten, Reservisten und Wehrpflichtigen (über 600 % mehr alleine im Januar) den Herrschaften auf der Hardt-Höhe und im Kabinett doch einiges Kopfzerbrechen gemacht haben.
Zumal ja die gesamte militärpolitische Orientierung sich im Umbruch befindet und angesichts des Schwindens der bisherigen Legitimation durch den „bösen Feind im Osten“ und den noch nicht so richtig zur adäquaten Bedrohung herangewachsenen im Süden - trotz kräftigem Aufpäppelns - sowas wie ein Vakuum für die Bundeswehr entstanden war (bei genauer Betrachtung immer noch ist).
Ein Vakuum, in das wir zumindest innenpolitisch in Deutschland seit September mit dem Bundeswehr-Aufruf einerseits und der Anti-Rüstungsexport-Kampagne andererseits mitten hineingestoßen sind und deshalb auch mit unserem politisch-offensiven Vorgehen gegen diesen Krieg und die bundesdeutsche Beteiligung und Verantwortung daran die Bundesregierung zumindest zeitweilig auf dem falschen Fuß erwischt haben.
Allerdings ist das Vorgehen andererseits nicht so massiv und druckvoll, wie dies angesichts der politischen Brisanz und zukünftigen Entwicklung erwartet werden könnte, wahrscheinlich gerade deshalb nicht.
Eher scheint mir die Gegenseite daran interessiert zu sein, wiederum nach außen nicht zu viel Aufsehen zu erregen, um Solidarisierungen und öffentliche Debatte um die juristische Aufarbeitung der innenpolitischen Auseinandersetzung in Deutschland vor, während und nach dem 2.Golfkrieg zu vermeiden und trotzdem für künftige Auseinandersetzungen abzuschrecken.
Angesichts der „Ergebnisse“ dieses Krieges für die „neue Weltordnung“, die mit viel Aufwand am Golf herbei gebombt werden sollte und jetzt ihre Manifestation beispielsweise in der Situation der Kurden findet oder in der Vorbereitung neuer „Friedensmissionen“ durch intensivierten Waffenexport (nach gegenseitiger Marktabsprache wie in Paris vereinbart, man(n) möchte sich ja gegenseitig nicht mehr so massiv wie früher in die Quere kommen) und durch das zukünftig möglich werdende Auftreten neuer Mitspieler (das vereinte Deutschland, die Europäische Union), würde eine richtig geführte und politisch zugespitzte Auseinandersetzung um diese juristische Aufarbeitung seitens der politischen Staats-Justiz durchaus Sinn machen. Schließlich hatten wir in so ziemlich jeder Hinsicht Recht, was unsere Arbeit gegen diesen Krieg und die „neue Weltordnung“ dahinter angeht.
Kein Grund also, die Verfahren und im Grunde doch massiven Beschneidungsversuche unserer politischen Beweglichkeit und Handlungsfreiheit einfach hinzunehmen und die Betroffenen damit einfach alleine zu lassen.
Überdies birgt der Fortgang der Top-Verfahren in Bonn einiges an politisch-juristischen Möglichkeiten unsererseits, gegenüber dem realen NATO/Bundeswehr - Out of Area Prozeß politische Punkte und gegenüber der ebenso realen Tendenz der diesbezüglichen Verfassungsaushöhlung auch juristische Punkte zu machen. Wenn wir wollen.
Was getan werden könnte - nächste Schritte
(Grundsätzlich natürlich: Nicht nachlassen in der antimilitaristischen Beeinflussung der jetzigen und künftigen Soldaten und Infragestellung von Existenz und Auftrag von Bundeswehr und NATO und Militär überhaupt. Dazu vor dem Hintergrund der Out of Area-Planungen in Bälde mehr.)
- Betroffenen-Konferenz mit anschließender Pressearbeit zum Stand der Dinge im September oder Oktober in Bonn in Trägerschaft Friedensbewegung/Kooperative Netzwerk Bonn
- Aufruf an die Friedensbewegung und die Gliederungen der politischen Parteien, die friedensbewegt aktiv sind, sowohl Solidarität durch politische Aktivität hierzu als auch Solidarität durch Bildung eines Rechtshilfe-Fonds auf Bundesebene zu leisten.
- Entsprechende Öffentlichkeitsarbeit durch klug und zeitgerecht geschaltete Anzeigen und Presse-Hintergrund Gespräche, um die Medien zu interessieren. Eine lapidare, etwas flapsig gehaltene Pressemitteilung 1 oder 2 Tage vor einem solchen Prozeß lockt natürlich kaum jemanden hinter dem Ofen hervor.
- Prozeßbeobachtung und Begleitung/Auswertung in o.g. Sinne: Die kommenden 2. und evtl. letztinstanzlichen Verfahren bieten bei entsprechender juristischer und publizistischer Beachtung - die natürlich organisiert werden müßte - einiges an politischen und juristischen Möglichkeiten der Profilierung unserer Position.
- Erstellung einer Dokumentation: (Arbeitstitel)- Unsere erste Kriegszeit: Antikriegsflugblätter zur rechten Zeit und die Folgen.
Letztere könnte sich in der Erscheinung zeitlich an der „Betroffenen-Konferenz“ im September bzw. Anfang Oktober orientieren.