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Die Wiederentdeckung der Trillerpfeife
Der Münchner (Gegen)-Gipfel
von
"Der Kongress findet statt" kündeten am Samstag, den 4. Juli, schnell kopierte Zettel auf dem Gelände der Münchner Universität zweifelnden Besuchern. Vorangegangen war eine beispiellose Serie von Behinderungen und Diffamierungen im Vorfeld des "Welt"-Wirtschaftsgipfels mit seinen Gegenaktionen.
Um was ging es eigentlich?
Bei sieben Foren samt Arbeitsgruppen ist hier kein "Kongressbericht" als Ganzes möglich, wir hoffen natürlich, daß die Texte baldmöglichst veröffentlicht werden können. Zur Vorbereitung des Kongresses erschien ein "Reader, der für 5,-- verkauft wird und noch zu haben ist.
Hier nochmal die Foren:
1 500 Jahre Kolonialismus und Widerstand
2 Rassismus und Flüchtlingspolitik
3 Ökologie
4 Herrschaftssicherung und Rüstungspolitik
5 Osteuropa/GUS
6 Frauen und Bevölkerungspolitik
7 Weltwirtschaft
Die Ergebnisse bestärken die Forderungen, wie sie der studentische Sprecherrat auch aus dem Aufruf des Bundeskongresses entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) für die Presseerklärung übernommen hatte:
- für eine Weltwirtschaftsordnung, die sich nicht länger an den Interessen des Kapitals, sondern an den ökologischen und sozialen Erfordernissen der Menschheit, vor allem der ausgebeuteten und unterdrückten Menschen des Südens, orientiert
- für eine selbstbestimmte Entwicklung der Länder der "Dritten Welt" und Osteuropas
- für einen bedingungslosen und umfassenden Erlass der Auslandsschulden des Südens und des Ostens
- für Reparationszahlungen an die Völker der "Dritten Welt", die seit Jahrhunderten unter Kolonialismus und Neokolonialismus leiden
- für offene Grenzen für alle, die Zuflucht vor Verfolgung, Krieg, wirtschaftlicher Not und ökologischen Katastrophen suchen
- für eine humane, anti-patriarchalische, ökologische und emanzipatorische Neubestimmung von Entwicklung
- gegen Rüstungsexporte gleich welcher Art und wohin
Schon früh erschienen in der Presse Artikel, die meist die kriminelle Bösartigkeit der Kritiker des Gipfels vorhersagten. "Rein vorsorglich", aber ohne jeden vorzeigbaren Anlass, wurde bei Münchner Mobilisierungsveranstaltungen die Umgebung mit Einsatzfahrzeugen und martialischen Polizisten bestückt, weniger "abgehärtete" TeilnehmerInnen sollten systematisch abgeschreckt werden. Unerwünscht eindringende Polizisten richteten dann jeweils ein drastisches Chaos an. In dieses Klima passte dann auch, daß OB Kronawitter trotz Zusage des Kommunalreferenten diesem und schließlich über den Kopf des Vorsitzenden hinweg auch dem Kreisjugendring verbot, geeignete Plätze für Zeltquartiere zur Verfügung zu stellen. Wichtige ReferentInnen erhielten keine Visa von den deutschen Behörden. Gleichzeitig waren die politischen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit beträchtlich.
Der Gegenkongress
Während der Vorbereitung gefährdeten politische Fronten die Arbeit: Beim Ökologie- (bzw. Ökoimperialismus-) Forum brach der alte Konflikt Ökolinke vs. Grüne wieder auf. Umweltgruppen und Grüne gaben bei diesem Forum auf. Die Zusammenarbeit mit den "Ökolinken" blieb danach aber weiter schwierig. "The Other Economic Summit (TOES)" lief in der Folge anderswo. Diese Trennung war für`s Münchner Friedensbündnis allerdings noch lange kein Grund, sich auf eine "Konkurrenz" der beiden Tagungen einzulassen. Wir waren im Gegenteil der Meinung, daß sich beide Veranstaltungen ergänzen könnten, zumal es keine zeitliche Überschneidung gab. Sowohl bei den ReferentInnen als auch bei der kurzfristig notwendigen Raumsuche gab es eine funktionierende Zusammenarbeit.
Die Universität war idealer und in München einzig möglicher zentraler Veranstaltungsort: Die Zusammenarbeit mit dem studentischen Sprecherrat war allen willkommen. Die StudentInnen vertrauten "ihrem" Rektor, als er Ihnen die Zusage für die Räume gab. Selbst als dann doch der große Wortbruch folgte und Rektor Steinmann die Räume unter Vorwänden absagte, hielt (zumindest für einige) das Vertrauen in den Rechtsstaat an. Doch diesmal kam es anders. Beide Instanzen im Eilverfahren bestätigten die Ablehnung der Räume, am Mittwochabend waren Veranstalter und Unterstützer ohne Räume für den Freitagabend beginnenden Kongreß. Erst Freitagnachmittag war es klar: Wir haben Räume - aber nicht in der Uni. Aber was ist mit der Eröffnungsveranstaltung? Es war nicht möglich, irgendjemanden umzudirigieren. So versammelten wir uns zum angesetzten Termin vor der Uni. Die Tore des Universitätshauptgebäudes standen offen, alle Hörsäle bis auf einen waren versperrt. Was die wenigsten Anwesenden mitbekamen: Die Einsatzleitung der Polizei hatte es sich bereits im ersten Stock beim Kanzler bequem gemacht!
Die anwesenden Referenten und Referentinnen und die Verantwortlichen der Foren entschieden sich nach einer komplizierten Debatte am Platz für eine spontane Protestdemonstration zur evangelischen St. Lukas Kirche. Dieser Zug erreichte friedlich sein Ziel, obwohl die sehr zahlreichen "Sicherheitskräfte" ihn wiederholt zu trennen versuchten.
Die Eröffnungsveranstaltung in der Kirche war von der Nervosität der vergangenen Stunden mitbestimmt - hätte man sich nicht doch die Universität als Ort erkämpfen können? Die Debatten darüber mischten sich mit den Einführungsvorträgen zum Kongreß. Ein ungewöhnliches Erlebnis: Die prachtvolle, große Kirche, im Nu dekoriert mit Transparenten, während sich der Eingangsbereich mit Infoständen aller Art füllte!
Eine Nacht in der Kirche
Als am späten Abend immer noch viele ohne Quartier waren, bot die Kirche auch noch Bleibe für die Nacht. Sogar der Kreisdekan von München und Oberbayern, Dr. Martion Bogdahn, hat abwechselnd mit einem anderen Dekan die Nacht in der Kirche verbracht.
Für das Eröffnungsplenum stand eine ganze Kirche zur Verfügung, für die Foren gab es - jetzt allerdings über die ganze Stadt verteilt - vor allem evangelische oder katholische Gemeinderäume, aber auch Räume der GEW oder in der Seidlvilla, einem Stadtteilzentrum - mehr Orte, als es Foren gab. Es ist kaum zu beschreiben, welche Ohrfeige es für den bayrischen Repressionsapparat bedeutet, daß beim Gipfel, mit dem Riesenpolizeiaufgebot und all den anderen Provokationen, ausgerechnet die Kirchen (aber nicht nur sie) in einer unvergleichlichen Blitzaktion praktisch über Nacht die Räume zur Verfügung stellten.
An der Großdemonstration am Samstagnachmittag beteiligten sich mindestens 15.000 Menschen, es war gelungen, das ganze Spektrum der WWG-Kritik zu mobilisieren. Das war umso wichtiger, als viele aufgrund der Panikmache im Vorfeld wirklich verunsichert waren ("Schläger kommen nach München", so eine Zeitung; wer war da gemeint?). Die Demonstrierenden versuchten weitgehend, sich von dem massiven Polizeiaufgebot nicht provozieren zu lassen. Personen wurden willkürlich aus dem Zug gegriffen, es gab Festnahmen, der Zug ließ sich nicht durcheinanderbringen. Die Panikpropaganda von vorher war ein weiteres Mal widerlegt. In der Presseerklärung des Sprecherrats vom Sonntag hieß es: "Die Gewalt ging in allen Fällen präzise allein von den staatlichen Stellen aus. Das gilt für den Kongreß, für die Demonstration und ist auch für die folgenden Aktionstage zu erwarten" (Auf die Bestätigung dieses prophetischen Satzes hätten wir gerne verzichtet).
Der Kessel von München
Nach dem Wochenende waren Aktionstage angesagt. Das "offizielle Programm" sah für die Begrüßung der "G7-Gäste" auch Publikum vor, was für viele GipfelkritikerInnen eine willkommene Einladung war. Das Ergebnis ist bekannt: Sprechchöre und Pfeifen ließen den Polizeichef zuschlagen - fast 500 Verhaftete beim "Kessel von München". Was sie sich nicht träumen ließen: Einer der griffigsten Sprechchöre, der unsere Haltung zu den "G7" wohl am knappsten erklärt, wurde so erst recht in den Medien zitiert: "Für die Macht der Reichen gehn sie über Leichen".
Angesichts der Massenverhaftungen, die offensichtlich von höchster Stelle gedeckt waren, folgte nach dem "Raumwunder" vom Kongreß eine weitere Sternstunde: Der diensttuende Amtsrichter erteilte eine deutliche Lektion in Demokratie und Recht: Buhrufe sind ebensowenig ein Straftatsbestand wie Jubel (siehe Kasten).
Amtsgericht München.
Der Richter erlässt folgenden
Beschluß:
1.) Die Freiheitsentziehung ist unzulässig
2.) Die Festgehaltenen sind unverzüglich zu entlassen.
Gründe: (Auszug)
Die Voraussetzungen für die Anordnung eines Sicherheits-(Präventiv- bzw. Unterbindungs)gewahrsams gemäß Art. 17 Abs.I Nr. Polizeiaufgabengesetz (PAG) liegen/lagen nicht vor.
Die von der Polizei Festgehaltenen störten die Begrüßungszeremonie der Teilnehmer des Weltwirtschaftsgipfels am Max-Joseph-Platz in München. Sie begrüßten die Staatsgäste mit einem gellenden Pfeifkonzert und lautstark skandierten Parolen. Gewalttätigkeiten, die aus der Menge begangen wurden, waren nicht feststellbar. Keiner der nachher Festgenommenen trug Waffen, Wurfgegenstände o.ä. mit sich.
Entgegen der Auffassung der Polizei erfüllt dieses Verhalten der Störer keine strafrechtlichen Normen.
a) Drohende (oder bereits versuchte) Nötigung zum Abbruch des Staatsaktes:
Worin die Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel zu sehen ist, ist nicht nachvollziehbar. Lärm ist sicher keine Gewalt im Sinne des _ 240 Strafgesetzbuch (StGB). Wie sich schon daraus ergibt, daß ohrenbetäubender Jubel nicht als solche subsumiert worden wäre.
Verwerflich im Sinn von _ 240 Abs. II StGB war das Tun der Störer jedenfalls nicht. Kritik in der Öffentlichkeit gehört zum Grundbestand der Meinungsäußerung in einer Demokratie, im Gegensatz zum befohlenen Jubel der Massenaufzüge vergangener Zeiten.
.... Puszkajler
Richter am Amtsgericht
Trotzdem dauerte es bis spät in die Nacht, bis die letzten freikamen. Die Freilassungen reichen natürlich nicht, wir fordern:
- Rücktritt von Innenminister Stoiber, Polizeipräsident Koller und der anderen Verantwortlichen,
- volle Entschädigung für alle Eingesperrten vom Montag,
- Bestrafung der Übergriffe der Polizei,
- absolute Löschung der aufgenommenen Daten!
- und eine offizielle Entschuldigung.
Die Gegenaktionen waren auf eine Art öffentlich geworden, wie wir es kaum erwartet hatten. Diese öffentliche Aufmerksamkeit blieb über die Aktionstage erhalten. Im Nachhinein hat der für alle Gutwilligen erkennbare Kontrast zwischen Provokation einerseits und der gegen alle Diffamierungen stabile Protest andererseits die Angst der Mächtigen vor der Kritik unübersehbar gemacht.