Tschechien

Der Populismus Andrej Babiš – wohin entwickelt sich Tschechien?

von Lea Pörtner
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In zahlreichen europäischen Ländern wird zurzeit protestiert – in Frankreich, Serbien, Ungarn oder auch in Großbritannien. Viele sind unzufrieden mit der Politik ihrer Regierung, so auch die BürgerInnen Tschechiens.

Ich erlebte die Proteste gegen Ministerpräsident Andrej Babiš im Herbst/Winter vergangenen Jahres im Zuge meines Auslandssemesters in Prag selbst mit. Tausende Menschen versammelten sich eine Zeit lang jedes Wochenende auf dem „Václavské náměstí“ in der Prager Neustadt. Bekannt ist der „Wenzelsplatz“ unter anderem für die Kundgebungen von Václav Havel und Alexander Dubček gegen das Regime der Sowjetunion während des Prager Frühlings oder die darauffolgende Selbstverbrennung der Studenten Jan Palach und Jan Zajíc, ebenfalls als Form des Protests gegen die UdSSR.

Wie kam es zu den Protesten?
Andrej Babiš wurde Ende 2017 Ministerpräsident Tschechiens. Seine ANO-Partei bildet allerdings nur eine Minderheitsregierung. ANO steht für zwei Bedeutungen: Es ist einerseits die Abkürzung für akce nespokojených občanů (Aktion unzufriedener BürgerInnen) und steht andererseits für das tschechische Wort für „ja“. Eine politische Richtung und Ideologie ist nicht wirklich auszumachen, die Aussagen stützen sich eher auf populistische Themen, wie beispielsweise die Korruptionsbekämpfung.

Gerade das Wahlkampfthema Korruptionsbekämpfung hat viele GegnerInnen Babiš‘ erzürnt: Ihm wird vorgeworfen, EU-Gelder veruntreut zu haben. Diese Gelder wurden für kleine und mittelständische Unternehmen genehmigt, um das Wellness-Center „Storchennest“ zu bauen. Hinter dem Bauvorhaben soll aber Babiš‘ Firma „Agrofert“ stehen. „Storchennest“ soll als Tochterfirma aus dem Konzern gelöst und an Verwandte übertragen worden sein, um sich auf diese Subventionen bewerben zu können.

Dies führte in der Vergangenheit schon zu Protesten im ganzen Land. Was die BürgerInnen Ende 2017 allerdings auf die Straße schickte, war eine Aussage seines Sohnes: Er warf seinem Vater vor, ihn gegen seinen Willen auf der annektierten Krim untergebracht zu haben, damit er in dem Vorfall nicht aussagen könnte. Der Ministerpräsident bestreitet die Vorwürfe mit der Aussage, dass sein Sohn psychisch krank sei und aus eigenen Stücken auf die Krim gereist sei.

Diese Vorwürfe, die Ermittlungen von der EU-Behörde OLAF und der Polizei bezüglich des Entführungsvorwurfes seines Sohnes führten zu der Dringlichkeit eines Misstrauensvotums, welches Babiš am 23. November 2017 überstand.

Daraufhin gingen wieder tausende Menschen auf die Straße, manche Quellen vermuten circa 20.000 DemonstrationsteilnehmerInnen.

Aus politischer Sicht hingegen hat Babiš viele Verbündete: Tschechiens Präsident Miloš Zeman sagte noch vor dem Misstrauensvotum, dass er seinem Ministerpräsidenten eine weitere Chance geben würde, auch wenn das Misstrauensvotum erfolgreich sein sollte. Er wird auch von anderen Parteien unterstützt, wie der SPD (Svoboda a přímá demokracie - Freiheit und direkte Demokratie). Sie ist eine EU/NATO kritische Partei und ideologisch weit rechts, teils rechtsextrem einzuordnen.

Beide Parteien haben in ihrem Wahlprogramm einige Berührungspunkte, wie beispielsweise den „Schutz der nationalen Identität“ Allerdings ist Babiš selbst nicht dem rechtspopulistischen Lager zuzuordnen. Er bedient sich an zahlreichen populistischen Themen, aber bleibt dabei liberal. Bei einer Zusammenarbeit beider Parteien könnte die politische Ausrichtung Tschechiens aber wesentlich rechtslastiger werden.

Vielfältige Proteste
In ganz Prag konnte ich im Spätsommer verschiedene Proteste, Versammlungen und Kundgebungen verfolgen, die verschiedene Themenschwerpunkte hatten. So gab es in mehreren Bezirken „Informationsveranstaltungen“ über die Terrorismusgefahr, die von  Flüchtenden muslimischen Glaubens und EinwanderInnen ausgehen würde. Teilweise wurde auch gegen die „Roma“-Bevölkerung und für ein christliches Tschechien protestiert. Solchen Veranstaltungen begegnete ich circa zwei bis fünf Mal die Woche.

Massenproteste fanden allerdings nur gegen Babiš statt. Einer der Kritikpunkte war, dass er seine eigene Prinzipien brechen würde: ANO entstand 2011 zunächst als BürgerInnen-Initiative und Protestbewegung gegen (korrupte) tschechische PolitikerInnen und steht in ihrer Parteiarbeit heute noch dafür, während ihr Vorsitzender selbst mit Vorwürfen von Taten konfrontiert wird, die er selbst verurteilt.

Auch seine Aussage gegenüber der Krim wurden in Plakaten aufgearbeitet: So sah man viele, auf denen der Ministerpräsident aufgefordert wurde, selbst (freiwillig) Urlaub auf der Krim zu machen.

Der geforderte Rücktritt Babiš` blieb aus und auch die Massenproteste endeten nach dem Misstrauensvotum. Festzuhalten ist, dass auch Jahrzehnte nach dem Prager Frühling und der Samtenen Revolution die tschechische Bevölkerung in der Lage ist, friedliche Massenproteste abzuhalten.

Es ist abzuwarten, wie sich die Situation in Tschechien entwickelt.

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Lea Pörtner ist Studentin für Integrierte Europastudien an der Universität Bremen.