Der praktische Antifaschismus - praktisch wozu?

von Ulrich Günther

I. Es gibt eine sich als antifaschistisch definierende Haltung, die mir zutiefst suspekt ist: (Nur) wir haben die Erfahrungen des Faschismus verar­beitet, (nur) wir wollen, "daß sich das Grauen des Faschismus nicht wieder­holt, (nur) wir nehmen das Anwachsen von neofaschistischen Strömungen erst. Wir sind deswegen legitimiert zu bestimmen, welche Gruppierungen fa­schistisch zu nennen sind und wir er­kennen auch auf die Rechtsfolgen, die nur ein Verbot sein können". wird das Verbot nicht ausgesprochen, so erken­nen wir daran, daß der Staat lediglich ein taktisches Verhältnis zu Faschisten hat. Werden Versammlungen einer Organisation, die u. E. verboten wer­den müßte bzw. verboten sind, ge­schützt, so wird damit die Berechti­gung des Satzes: "Polizisten schützen Faschisten!" bewiesen. Diese, hier si­cherlich überzeichnete Haltung ist in ihrem Kern undemokratisch.

Freiheit ist die Freiheit des Anders­denkenden
Charakteristikum eines demokratisch verfaßten Staatswesens ist, daß das politische Spektrum nicht durch exe­kutive oder judikative Maßnahmen eingeschränkt wird. Bürger und Bür­gerinnen sind frei, die politischen Auffassungen zu haben und zu vertre­ten, die sie haben und vertreten. Die Verkürzung des politischen Spektrums auf der linken Seite unter Rekurs auf die freiheitliche demokratische Grundordnung und unter Anwendung von Berufsverboten ist ebenso wie die Verkürzung des politischen Spektrums auf der rechten Seite unter Rekurs auf den "antifaschistischen Charakter" des Grundgesetzes eine Verkürzung von Demokratie. Eine Verletzung der Grundsätze der freiheitlich-demokrati­schen Grundordnung läßt sich ebenso wenig wie eine Verletzung des anti­faschistischen Charakter des Grundge­setzes mit juristischen Erkenntnismit­teln (relativ) zweifelsfrei feststellen.

Beide Tatbestände setzten die Anwen­dung politischer Maßstäbe voraus. Es sind Instrumente innerstaatlicher Feind-Erklärungen. Verbote und Verbotsforderungen gegenüber politi­schen Organisationen mißtrauen letzt­lich Bürgern und Bürgerinnen. In ih­nen lebt eine vordemokratische Sicht­weise, eine bestimmte Gesinnungsge­meinschaft wisse eben doch besser als das Gros der Bürger und Bürgerinnen, was politisch richtig und was politisch falsch ist. Ein Verbot bzw. ein Verbot zu fordern heißt, sich selbst als Richter des demokratischen Prozesses aufzu­schwingen bzw. es zu versuchen.

Keine undemokratischen Mittel
II. Ich halte nichts von dem Satz, daß gegen Faschisten jedes Mittel recht ist und viel von dem Satz, daß auch der Teufel frei ist, solange er sich an die Gesetze hält. Gesetze in diesem Sinne sind solche, die Rechtsfolgen an äußeres Verhalten und nicht an die in­nere Gesinnung knüpfen. Deswegen halte ich nichts davon, Treffen der Republikaner zu blockieren, zu stören oder zu verhindern; ich empfinde sol­che Maßnahmen im Kern als undemo­kratisch.

Die Alternative zu einem um Demo­kratie verkürzten Antifaschismus liegt in der positiven Konturierung einer "linken", "grünen", "progressiven" Poli­tik. Tragende Elemente des Neofa­schismus - Frauenfeindlichkeit, Aus­länderfeindlichkeit, autoritäre Vor­stellungen - müssen programmatisch und vor allem praktisch denunziert werden. In dem Maße, in dem es uns gelingt, Gleichberechtigung und kul­turelle Vielfalt als Bereicherung zu erleben, in dem Maße schwindet die Attraktivität neofaschistischer Ideen. Ich verkenne nicht, daß das große Worte sind, deren Umsetzung in die Praxis ungeheuerer Anstrengung be­darf. Das Anwachsen neofaschistischer Strömungen ist insofern auch ein Indi­kator für die mangelnde Attraktivität "linker" Politiken; ist ein Indikator für das Fehlen einer politischen Kultur und einer gesellschaftlichen Atmo­sphäre, in der Argumente überzeugen können.

III. Ich weiß: Meine Haltung ist liber­tär (und damit nicht links), mein Be­griff von Demokratie formal (ich igno­riere damit, daß es in der kapitalisti­schen Gesellschaft Machtgefälle gibt), akademisch (weil ich auf die Kraft der Vernunft setze). Alles zugegeben. Aber alle Alternativen laufen auf die Verkürzung von Demokratie hinaus.

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Ulrich Günther ist Justitiar der Bun¬destagsfraktion der Grünen.