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Dialog allein genügt nicht
vonSchafft Mediation Möglichkeiten, sozialen Beziehungen durch eine konstruktive Bearbeitung von Konflikten eine realistischere Basis zu geben? Oder ist Mediation bloß eine Sozialtechnik, um den reibungsloseren Ablauf des status quo zu sichern? Im Spannungsfeld dieser Fragestellung befinden sich Initiativen und Bewegungen, die sich mit gewaltfreien Mitteln gegen militärische oder ökologische Zerstörung und für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Mit gewaltfreier Aktion, die immer mehr als nur Abwehr oder Gegenwehr ist, eröffnen sie Perspektiven für eine humanere Gesellschaft durch radikales Handeln und das Akzeptieren von Strafen der ungerechten Ordnung. Versöhnung als Ziel der Konfrontation liegt ihnen wie auch vielen BefürworterInnen der Mediation am Herzen.
Mediationsverfahren verfolgen pragmatische Ziele, d.h. daß eine Einigung der Konfliktparteien nicht unbedingt das hervorbringt, was sich beide erträumt haben. Im Gegenteil, sie müssen oft Traumwelten zerstören und lebbare Lösungen oder Klärungen hervorbringen. Pragmatismus führt auch gewaltfreie Aktionsgruppen schon im Vorfeld eines Mediationsverfahrens zu der Frage, wie die einzelnen Konfliktparteien davon profitieren würden. Schärfer noch: sind die Werte, für die von gewaltfreien Aktionsgruppen gestritten wird, überhaupt verhandelbar?
Der Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben und die Aktionen gegen Freisetzungsversuche gentechnisch manipulierter Pflanzen in Südniedersachsen waren Hintergrund für kritische Auseinandersetzungen in der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion "KURVE Wustrow" mit Mediation im Umweltbereich. Nach unserer Konfliktanalyse hätten Industrie und BetreiberInnen folgende Interessen an einem Mediationsverfahren: Zeitgewinn, Begrenzung des politischen und publizistischen Schadens, positives Medienecho, Schwächung des Widerstands, Hoffnung auf die mächtigere Position im Mediationsverfahren.
Auch der Widerstand könnte eventuell Vorteile für sich verbuchen. Ein Mediationsverfahren würde Öffentlichkeit schaffen und hätte so ein breitenwirksames Element. Zum Thema Gentechnologie gab es in den vergangenen Jahren noch kein so breites öffentliches Bewußtsein wie zur Atomindustrie. Deshalb hatten gewaltfreie Aktionen an und auf den Freisetzungsgeländen unter anderem auch die Schaffung einer öffentlichen Diskussion zum Ziel. In dieser Situation könnten sich an ein Mediationsverfahren die Hoffnungen knüpfen, mehr reale Veränderungen als mit gewaltfreien Aktionen durchzusetzen und Zeit zu gewinnen, um sich besser zu organisieren. Das setzt allerdings Rahmenbedingungen wie zum Beispiel ein Moratorium der umstrittenen Aktivitäten voraus, wozu die Industrie oft nicht bereit ist.
Die Probleme für den Widerstand sind jedoch groß. Ein Mediationsverfahren im Umweltbereich dauert oft sehr lange und muß von den AktivistInnen neben Beruf und Familie durchgeführt werden, während die Industrie hochbezahlte und geschulte RepräsentantInnen in die Gespräche schicken kann. Gewaltfreie Aktionsgruppen sind meistens auf das außerordentliche Engagement einiger weniger (neben der Unterstützung durch viele andere) angewiesen. Die Teilnahme am Mediationsprozess bindet so einen Großteil der zur Verfügung stehenden Kräfte. Sie können diesem Nachteil nur dadurch begegnen, daß sie sich rechtzeitig vor Beginn einer Mediation geeigneter Beratung und der Finanzierung ihrer Teilnahme am Mediationsprozess versichern.
Die Industrie jedoch gibt ökonomische Argumente für den Weiterbau und -betrieb von Atomanlagen oder die Fortsetzung von Experimenten mit Gentechno-Zombies an. Es soll alles weitergehen wie bisher; wenn nicht hier, dann an anderen Standorten. Denn ultramoderne Industrien haben sich bereits international vernetzt und setzen ihre lebensbedrohlichen Aktivitäten gegebenenfalls außerhalb des Wirkungskreises des lokalen Widerstands fort. Gewaltfreie Aktion setzt da tiefer als ein die öffentlichen Gemüter beruhigendes Mediationsverfahren an: sie zwingt dazu, Position zu beziehen, in der näheren Umgebung wie auch in Öffentlichkeit und Politik überhaupt.
Auch gewaltfreie Aktion schließt die prinzipielle Aufrechterhaltung des Dialogs ein, beugt jedoch dem Irrtum der Industrie vor, daß allein Dialog mit dem Widerstand schon genügt. Politisch gesehen schafft gewaltfreie Aktion dem Widerstand erst die Position, die Gespräche ohne ein zu großes Machtgefälle möglich macht. Somit wäre Mediation ohne gewaltfreie Aktion in vielen Fällen kaum sinnvoll.
Konflikte im politischen Raum sind heute sehr komplex. Sie bestehen meistens zwischen einer Reihe verschiedener gesellschaftlicher Gruppen; nicht nur Widerstand und BetreiberInnen, sondern auch Gewerkschaften, Kirchen, Kommunen, etc. sind Teil davon. Einige von ihnen stehen dem Widerstand gegen lebens- und umweltzerstörende Großprojekte noch ablehnend oder abwartend gegenüber, obwohl sie die Ziele der gewaltfreien AktivistInnen unterstützen würden. Mediationsverfahren könnten dazu dienen, die öffentliche Basis für gewaltfreies Engagement für andere, gerechtere Strukturen zu verbreitern. Interessen, wie z.B. der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes oder die Absicherung kommunaler Haushalte können in Widerstandskonzepte Eingang finden. Wenn jedoch unter der Bezeichnung Mediation Bemühungen stattfinden, die wie im Fahrwasser der sogenannten "Konsensgespräche" zur Atomenergiepolitik versuchen, Positionen zu vereinen, die aufgrund der ihnen zugrundeliegenden Werten nicht vereinbar sind, kommt das einem Betrug des Widerstands gleich.