Dialog allein genügt nicht

von Hagen Berndt
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Schafft Mediation Möglichkeiten, sozialen Beziehungen durch eine kon­struktive Bearbeitung von Konflikten eine realistischere Basis zu ge­ben? Oder ist Mediation bloß eine Sozialtechnik, um den reibungslose­ren Ablauf des status quo zu sichern? Im Spannungsfeld dieser Frage­stellung befinden sich Initiativen und Bewegungen, die sich mit gewalt­freien Mitteln gegen militärische oder ökologische Zerstörung und für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Mit gewaltfreier Aktion, die immer mehr als nur Abwehr oder Gegenwehr ist, eröffnen sie Perspektiven für eine humanere Gesellschaft durch radikales Handeln und das Akzeptieren von Strafen der ungerechten Ordnung. Versöhnung als Ziel der Kon­frontation liegt ihnen wie auch vielen BefürworterInnen der Mediation am Herzen.

Mediationsverfahren verfolgen pragma­tische Ziele, d.h. daß eine Einigung der Konfliktparteien nicht unbedingt das hervorbringt, was sich beide erträumt haben. Im Gegenteil, sie müssen oft Traumwelten zerstören und lebbare Lö­sungen oder Klärungen hervorbringen. Pragmatismus führt auch gewaltfreie Aktionsgruppen schon im Vorfeld eines Mediationsverfahrens zu der Frage, wie die einzelnen Konfliktparteien davon profitieren würden. Schärfer noch: sind die Werte, für die von gewaltfreien Ak­tionsgruppen gestritten wird, überhaupt verhandelbar?

Der Widerstand gegen die Atomanlagen in Gorleben und die Aktionen gegen Freisetzungsversuche gentechnisch ma­nipulierter Pflanzen in Südniedersach­sen waren Hintergrund für kritische Auseinandersetzungen in der Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie Aktion "KURVE Wustrow" mit Media­tion im Umweltbereich. Nach unserer Konfliktanalyse hätten Industrie und BetreiberInnen folgende Interessen an einem Mediationsverfahren: Zeitge­winn, Begrenzung des politischen und publizistischen Schadens, positives Me­dienecho, Schwächung des Widerstands, Hoffnung auf die mächtigere Position im Mediationsverfahren.

Auch der Widerstand könnte eventuell Vorteile für sich verbuchen. Ein Media­tionsverfahren würde Öffentlichkeit schaffen und hätte so ein breitenwirk­sames Element. Zum Thema Gentech­nologie gab es in den vergangenen Jah­ren noch kein so breites öffentliches Bewußtsein wie zur Atomindustrie. Deshalb hatten gewaltfreie Aktionen an und auf den Freisetzungsgeländen unter anderem auch die Schaffung einer öf­fentlichen Diskussion  zum Ziel. In die­ser Situation könnten sich an ein Me­diationsverfahren die Hoffnungen knüp­fen, mehr reale Veränderungen als mit gewaltfreien Aktionen durchzusetzen und Zeit zu gewinnen, um sich besser zu organisieren. Das setzt allerdings Rah­menbedingungen wie zum Beispiel ein Moratorium der umstrittenen Aktivitä­ten voraus, wozu die Industrie oft nicht bereit ist.

Die Probleme für den Widerstand sind jedoch groß. Ein Mediationsverfahren im Umweltbereich dauert oft sehr lange und muß von den AktivistInnen neben Beruf und Familie durchgeführt werden, während die Industrie hochbezahlte und geschulte RepräsentantInnen in die Ge­spräche schicken kann. Gewaltfreie Ak­tionsgruppen sind meistens auf das au­ßerordentliche Engagement einiger we­niger (neben der Unterstützung durch viele andere) angewiesen. Die Teil­nahme am Mediationsprozess bindet so einen Großteil der zur Verfügung ste­henden Kräfte. Sie können diesem Nachteil nur dadurch begegnen, daß sie sich rechtzeitig vor Beginn einer Me­diation geeigneter Beratung und der Fi­nanzierung ihrer Teilnahme am Media­tionsprozess versichern.

Die Industrie jedoch gibt ökonomische Argumente für den Weiterbau und -be­trieb von Atomanlagen oder die Fortset­zung von Experimenten mit Gentechno-Zombies an. Es soll alles weitergehen wie bisher; wenn nicht hier, dann an an­deren Standorten. Denn ultramoderne Industrien haben sich bereits internatio­nal vernetzt und setzen ihre lebensbe­drohlichen Aktivitäten gegebenenfalls außerhalb des Wirkungskreises des lo­kalen Widerstands fort. Gewaltfreie Aktion setzt da tiefer als ein die öffent­lichen Gemüter beruhigendes Mediati­onsverfahren an: sie zwingt dazu, Posi­tion zu beziehen, in der näheren Umge­bung wie auch in Öffentlichkeit und Politik überhaupt.

Auch gewaltfreie Aktion schließt die prinzipielle Aufrechterhaltung des Dia­logs ein, beugt jedoch dem Irrtum der Industrie vor, daß allein Dialog mit dem Widerstand schon genügt. Politisch ge­sehen schafft gewaltfreie Aktion dem Widerstand erst die Position, die Ge­spräche ohne ein zu großes Machtge­fälle möglich macht. Somit wäre Me­diation ohne gewaltfreie Aktion in vielen Fällen kaum  sinnvoll.

Konflikte im politischen Raum sind heute sehr komplex. Sie bestehen mei­stens zwischen einer Reihe verschiede­ner gesellschaftlicher Gruppen; nicht nur Widerstand und BetreiberInnen, sondern auch Gewerkschaften, Kirchen, Kommunen, etc. sind Teil davon. Einige von ihnen stehen dem Widerstand gegen lebens- und umweltzerstörende Groß­projekte noch ablehnend oder abwartend gegenüber, obwohl sie die Ziele der ge­waltfreien AktivistInnen unterstützen würden. Mediationsverfahren könnten dazu dienen, die öffentliche Basis für gewaltfreies Engagement für andere, ge­rechtere Strukturen zu verbreitern. In­teressen, wie z.B. der Erhalt des eigenen Arbeitsplatzes oder die Absicherung kommunaler Haushalte können in Wi­derstandskonzepte Eingang finden. Wenn jedoch unter der Bezeichnung Mediation Bemühungen stattfinden, die wie im Fahrwasser der sogenannten "Konsensgespräche" zur Atomenergie­politik versuchen, Positionen zu verei­nen, die aufgrund der ihnen zugrunde­liegenden Werten nicht vereinbar sind, kommt das einem Betrug des Wider­stands gleich. 

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Hagen Berndt ist Mitarbeiter der Bildungsstätte Kurve Wustrow.