Europäische Union-China

Die China-Politik der EU zwischen Kooperation und Konfrontation

von Dr. Andreas Seifert
Schwerpunkt
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Die Europäische Union tut sich schwer mit China – und China tut sich schwer mit der EU. Gleichsam einem Jojo schwanken Aktion und Stimmung zwischen kooperativem Hochgefühl und verwundertem Fremdeln. Die europäischen Staaten haben sich lange darauf beschränkt, in China einen großen Markt für ihre Produkte und eine Quelle billiger Konsumwaren zu sehen – die, in Europa kreiert, sich nirgendwo billiger als in Ostasien fertigen lassen. China hatte sich lange gern als Ziel europäischer Investitionen begriffen – die Exportwirtschaft brachte Geld und Technologie frei Haus. Doch diese Zeiten sind vorbei und China und die europäischen Länder suchen Wege, sich neu zu orientieren.

Das Abkommen zum Investitionsschutz, das noch unter deutscher Ratspräsidentschaft Ende 2020 nach sieben Jahren Verhandlungen zum Abschluss gebracht wurde, wie auch die aktive Beteiligung an der chinesischen Seidenstraßen-Initiative (BRI) durch verschiedene europäische Staaten zeigten eine Zeitenwende an. Und auch das Freihandelsabkommen, das China mit südostasiatischen Staaten, Japan, Süd-Korea, Australien und Neuseeland, das einen der größten zusammenhängen Freihandelsräume der Welt schafft, wurde in Europa interessiert zur Kenntnis genommen und als positives Signal eines in die Zukunft gerichteten Verhältnisses interpretiert. Die nun geäußerten Vorbehalte gegen das Investitionsschutzabkommen auf der Ebene der EU und die jüngst erfolgte Suspendierung von Gesprächen auf Regierungsebene zwischen China und Australien lassen erneut Zweifel an der Stabilität dieser Entwicklungen aufkommen. Die Sanktionierung von EU-Politiker*innen durch das chinesische Außenministerium im Gefolge der durch das EU-Parlament geäußerten Kritik am Vorgehen chinesischer Sicherheitsbehörden in Xinjiang und Hongkong, die Androhung von Sanktionen seitens der EU wegen den neuen Sicherheitsgesetzen und der Unterdrückung oppositioneller Kräfte in Hongkong offenbaren dabei mehr als nur ein „belastetes Verhältnis“ – sie zeigen vor allem und ausdrücklich, dass es die EU selbst ist, der eine klare Position gegenüber dem aufstrebenden China fehlt.

Die Interessen der Wirtschaft der großen Industriestaaten im Westen Europas an einem guten Verhältnis zur Volksrepublik waren lange Zeit ausschlaggebend für die Politik, die die EU-Kommission vertrat. Prägnant geäußert von den deutschen und französischen Vertreter*innen konnten sie als Leitlinie europäischer Intentionen wahrgenommen werden. Es sind beispielsweise die Interessen von großen Autobauern oder der Luftfahrtindustrie, die in einer zunehmenden Verregelung des Verhältnisses eine Absicherung ihrer Interessen sehen. Es sind auch die Interessen vieler kleinerer, erfolgreich auf Export ausgerichtete Unternehmen, die sich im Schutz von EU-Qualitätsrichtlinien entwickeln wollten. Die seit Trumps Amtsantritt auf Eis gelegte Transatlantischen Handels und Investitionspartnerschaft (TTIP) sollte letztlich auch ein Instrument sein, sich gegen die kommende wirtschaftliche Macht Chinas und Indiens zu stemmen und diese zu beeinflussen. Diese Position lässt sich zusammenfassen als: Ja, wir wollen ein gutes Verhältnis zur VR, aber es muss vor allem unserer (Export-)Wirtschaft nützen.

Interessen der kleineren EU-Staaten
Umgekehrt sind dies nicht unbedingt die Interessen der kleineren EU-Staaten, zum Beispiel in Ost- und Südosteuropa – sie sehen sich in der EU benachteiligt und in der Vertiefung des Verhältnisses zu China eine Chance, eigene Entwicklungen voranzubringen. Dabei kam ihnen in den letzten Jahren zupass, dass der chinesische Staat im Rahmen der BRI jede Menge Geld für Investitionen zur Verfügung stellt. Das 2012 ins Leben gerufene Format 16+1 (bzw. 17+1: 11 (12) EU Staaten + 5 Staaten vom Balkan + China) war bereits Ausdruck eines im Kern anderen Interesses an einem ökonomischen Austausch mit China. Die EU hat sich als Kommission immer schon recht skeptisch gegenüber diesen Verhandlungsrunden geäußert und sich als Mahner vor Fehlentwicklungen und Abhängigkeiten betätigt. Dies auch mit dem Hinweis, dass eine einheitliche Position vertreten durch die Kommission ggf. bessere Bedingungen erbringen würde, als in diesem letztlich doch wieder bilateralen Aushandlungs-Forum möglich. So zeichnen sich nun beispielsweise Probleme in der Verschuldung Montenegros ab, nachdem mit chinesischen Krediten eine Autobahn gebaut wurde, deren ökonomischer Nutzen in Frage steht.

Die EU pflegte bisher gern den Habitus einer moralisch überlegenen Macht, die in China viel Kritikwürdiges erblickt und immer wieder damit droht, chinesisches „Fehlverhalten“ zu sanktionieren – da war „man“ schnell mal öffentlich empört, prangerte Missstände an, trat für „Werte“ ein und lies die Kritik dann doch auch schnell wieder verschwinden, bevor noch ein (wirtschaftlicher) Schaden entstand.

Neue Entwicklungen in 2021
Auch dies steht nun 2021 zur Disposition. Die Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung berichtete Ende April über einen internen Bericht der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, wonach es nur wenig „Fortschritte“ im Verhältnis zu China gäbe und sich dies auch in absehbarer Zeit nicht ändern werde. Statt weiter die existierenden Unterschiede „unter den Teppich“ zu kehren und an einer „strategischen Partnerschaft“ festzuhalten, müsse man realistisch auf Chinas Entwicklung blicken. Die Kommissionsspitze empfiehlt nun, den Schulterschluss mit den USA zu suchen – eine Festlegung, die man bisher in den europäischen Staaten, der Kommission und im EU-Parlament mehrheitlich und deutlich versucht hat zu vermeiden. Die hieraus resultierende „Blockbildung“ hätte weitreichende Folgen.

Die von den USA unter Donald Trump angestoßene „Entkopplung“ von China ist im Kern der Versuch, die eigene Deutungsmacht und die wirtschaftliche Macht US-amerikanischer Konzerne zu erhalten. Die „Eindämmung“ findet seither nahezu auf allen Ebenen statt – und wird auch bei allen „Freunden“ der USA mit Nachdruck eingeklagt. Die Verbannung chinesischer Technologiekonzerne wie Huawei von den Telekommunikationsmärkten in Europa und den USA ist dabei auch ein Anzeichen für den Versuch, China technologisch zu isolieren – der Sinologe Sebastian Heilmann sprach jüngst vom Entstehen zweier „Technosphären“, die gleichsam Ausdruck eines kalten Krieges sind. All dies hat nur vordergründig mit Menschenrechten oder Demokratie zu tun – Chinas wirtschaftlicher Erfolg gefährdet vor allem das liebgewonnene kapitalistische Wirtschaftsmodell.

Die EU hat sich bisher vorsichtig gezeigt, diesem US Druck nachzugeben. China ist ein zu wichtiger Handelspartner und Produkte aus China, auch technologische Produkte, werden ebenso positiv aufgenommen, wie man gern auch Maschinen und hochwertige Konsumgüter dorthin exportiert. Ohne China, so weiß man in Brüssel, Paris, Berlin und anderswo, ist eine zukunftsfähige Klimapolitik nicht machbar. Wissenschaftler*innen wie Nadine Godehardt vom Think-Tank SWP in Berlin sprechen von einem Interregnum, in dem sich die Weltordnung befindet und plädieren dafür, dass Europa klarer eine eigene Position entwickelt und eigene Ideen einbringt, die letztlich helfen, sich nicht einer Seite zuschlagen zu müssen. Vielleicht, so sieht es beispielsweise Ingar Solty von der RLS-Stiftung, sollte man auch stärker Konzepte wie die friedliche Koexistenz ins Spiel bringen – die haben immerhin verhindert, dass man in direkten bewaffneten Konflikten landete. Gute Ansätze, die allerdings in der herrschenden Zerstrittenheit der EU erst noch ausgefochten sein wollen.

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