Kultureller, sozialer und wirtschaftlicher Wiederaufbau

Die Folgen des Irak-Krieges: Forscher fordern Nachkriegsordnung unter UN-Führung

Nach dem Krieg kommt der Wiederaufbau. Gegen eine dominierende Rolle der USA, für eine Nachkriegsordnung unter Regie der Vereinten Nationen haben sich Wissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum, der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) und des Berghof Forschungszentrums für konstruktive Konfliktbearbeitung ausgesprochen. Sie fordern: Die Entwaffnung des Irak müsse wieder Aufgabe der UN sein; die EU müsse sich stärker in der Region engagieren, um Konflikte friedlich zu lösen; die deutsche Bundesregierung müsse europäische Initiativen anstoßen, um Miseren der weltweiten Rüstungskontrolle zu beseitigen; deutsche Universitäten müssten ihren Beitrag leisten, den im Nahen Osten drohenden Kampf der Kulturen zu verhindern. Und sie fordern die Bundesregierung in einer gemeinsamen Initiative auf, das Völkerrecht zu stärken: Durch ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes zu den aktuellen Rechtsfragen des Irak-Krieges und der Nachkriegsordnung.

Folge 1: Teurer Euro, teure Exporte
Wie viel USA braucht die arabisch-islamische Welt nach dem Krieg? Prof. Dr. Volker Nienhaus, Wirtschaftswissenschaftler der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht (IFHV) der RUB stellt die Größenordnung einer "US-Schutztruppe" am Golf in Frage. Die Stationierung amerikanischer Truppen werde sehr viele Araber und Muslime weiter anspornen, nach Möglichkeiten zu suchen, ihre starken Abhängigkeiten von den USA zu reduzieren. Das Spektrum der diskutierten wirtschaftlichen Maßnahmen reiche vom Boykott amerikanischer Fastfood-Lokale bis zur schrittweisen Abkehr vom US-Dollar als Transaktions- und Anlagewährung. Dies hätte sowohl positive wie negative Folgen für die europäische Wirtschaft: "Wenn z. B. arabische Anleger in großem Umfang aus amerikanischen Aktien aussteigen und in europäische Wertpapiere investieren, kann ein solch vergrößertes Kapitalangebot zwar das Zinsniveau in Euroland niedrig halten", so der Ökonom Nienhaus. "Aber mit der zusätzlichen Nachfrage wird der Kurs des Euro gegenüber dem US-Dollar steigen, was Exporte aus dem Euro- in den Dollarraum verteuert."

Folge 2: Entwicklung durch Bildung
Neben den wirtschaftlichen Folgen sieht der Ökonom auch eine intellektuelle Herausforderung in der Region: "Es gilt, den in der Nachkriegs(un)ordnung im Nahen Osten drohenden Kampf der Kulturen zu verhindern", sagt Nienhaus. Deutsche Universitätseinrichtungen könnten ihren Beitrag dazu leisten, z. B. indem sie sich nachhaltig in der humanitären Hilfe engagieren, die Beachtung von nationalem und internationalem Recht einfordern. Nienhaus fordert eine bildungsbezogene Entwicklungsarbeit und verstärkte Wissenschaftskooperationen. Die RUB könne in diesem Kontext auf eine breite Palette von Aktivitäten verweisen, z. B. durch das renommierte IFHV oder das interdisziplinäre Institut für Entwicklungsforschung und Entwicklungspolitik (IEE).

Folge 3: Rüstungskontrolle jetzt
Dr. Götz Neuneck ist PUGWASH-Beauftragter der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW), die PUGWASH-Bewegung hat 1995 den Friedensnobelpreis bekommen. Neuneck (IFSH, Hamburg) sagt, dass künftig verstärkt Kriege unter Berufung auf "Zwecke der Abrüstung" geführt würden, falls sich die Doktrin der gegenwärtigen US-Regierung durchsetze. Das beziehe sich sowohl auf bereits bekannte sowie verdeckt betriebene oder vermutete Atomwaffenprogramme, z. B. in Nordkorea, Iran, Indien oder Pakistan. Die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler fordert daher die Bundesregierung auf, sich verstärkt für eine Initiative auf europäischer Ebene einzusetzen, die konkrete Pläne erarbeitet, um eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen zu schaffen. Die Bundesregierung müsse eine hochrangige Arbeitsgruppe einsetzen, die Ansatzpunkte aufzeigt, die Misere der Rüstungskontrolle zu beenden, die vorhandenen Verträge wieder "mit Leben zu erfüllen" sowie entsprechende europäische Initiativen in die Wege zu leiten. Neben Rüstungskontrollpolitikern und Vertretern der zuständigen Ministerien bietet die VDW ihre Expertise und Mitarbeit an.

Folge 4: Starke EU muss Konflikte lösen
"Europa muss mit einer Stimme sprechen", fordert Dr. Martina Fischer, Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin. Die Entwaffnung des Irak müsse wieder an das Gremium zurückgegeben werden, das für Fragen der internationalen Friedensbedrohung und Abrüstung zuständig ist: an die Vereinten Nationen unter Beteiligung der EU-Staaten. Den Schlüssel zur Befriedung der gesamten Region Naher Osten sieht die Friedensforscherin im israelisch-palästinensischen Konflikt - und nicht im Irak. Wenn es gelingen würde, in diesem Konflikt für Ausgleich zu sorgen, so Fischer, wäre vielen terroristischen Führern auch in den angrenzenden Ländern ein zentraler ideologischer Bezugspunkt genommen. Der aktuelle Krieg hingegen löse den dauerhaften Konflikt in der Region nicht, er nütze lediglich den "Betonköpfen" und könne eine umfassende politische Stagnation in den Ländern der Region bewirken.

Folge 5: Stärkung des Völkerrechts
Unter dem Krieg leidet das Völkerrecht. Prof. Dr. Horst Fischer, Geschäftsführender Direktor des Bochumer IFHV an der Ruhr-Universität, fordert die Bundesregierung auf, aktiv gegen diese Tendenz vorzugehen. Die Frage, ob Waffengewalt eingesetzt werden dürfe, um Völkerrecht durchzusetzen, sei eine Grundsatzfrage der internationalen Beziehungen. Die Bedrohungen für einzelne Staaten und die Staatengemeinschaft, z. B. durch Terrorismus, Drogen- oder Menschenhandel, nehme zu - umso bedeutsamer sei es, die Definition geeignet Gegenmaßnahmen nicht den USA oder einer "kleinen Gruppe von ´Willigen` zu überlassen. Die deutsche Bundesregierung müsse die Initiative ergreifen: Im Verbund mit anderen Staaten solle Deutschland, gestützt von der Generalversammlung der UN, ein Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofes einholen, wie es Artikel 96 der UN-Charta vorsehe. Damit begegne die Staatengemeinschaft der aktuellen Herausforderung sowohl politisch als auch rechtlich.

Weitere Informationen
Prof. Dr. Horst Fischer, Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum, NA 02/43, Tel. 0234/32-23974, E-Mail: horst [dot] fischer [at] rub [dot] de

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