Der Ukraine-Krieg und die Demokratie

Die Kriege der Herrscher und ihre Unterstützer

von Ulrich Hübner
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Nach den Überlieferungen versammelten sich vor ca. 4000 Jahren Männer in Athen und haben durch Hochhalten ihres Armes darüber abgestimmt, wie sie sich dem sich nähernden persischen Heer zur Wehr setzen können. Die Historiker*innen nannten dieses Verfahren Demokratie. Das Wort stammt aus dem Griechischen und heißt zu Deutsch Volks(Demo)-herrschaft(kratie).

Heute schmücken sich fast alle Staaten mit diesem Wort, obwohl Volksabstimmungen auf Staatsebene eher Seltenheitswert haben, vor allem dann, wenn es um Krieg oder Frieden, also um Tod oder Leben vieler Menschen geht. Anstelle von Volksabstimmungen entscheiden fast immer die Herrschenden (Kanzler*innen, Präsident*innen ...) über den Einsatz ihrer Streitkräfte für einen Überfall auf andere Länder oder die Verteidigung des eigenen Landes. Auch im Fall der Ukraine haben die Präsidenten Putin und Selenskyj ihre Völker nicht über den Kriegseintritt befragt.

Somit wissen wir auch nicht, wie sich das Volk entschieden hätte. Die Menschen der Provinzen, die sich schon vor dem Ukrainekrieg verselbstständigen wollten, hätten sicher nicht für den Krieg gestimmt. Anstelle einer Volksbefragung gibt es in beiden Ländern aber die Wehrpflicht, also den Zwang, in einem Krieg zu kämpfen (und meist auch zu sterben). Dennoch behaupten beide Präsidenten, in ihren Staaten herrsche Freiheit und Demokratie, die verteidigt werden müsse. In beiden Ländern werden aber Männer im wehrfähigen Alter an der Ausreise gehindert, also der Zwang zum Kriegsdienst auch ausgeübt. Folglich sind Kriege ein Werk der Herrscher und nicht ein Werk der Mehrheit der Bevölkerung.

Auch im Unterstützerland Deutschland ist das so. Hier gab es auch keine Volksabstimmung über die massiven Waffenlieferungen in das Kriegsgebiet Ukraine. Es gibt aber im Internet die Plattform „change.org“ und zwei Manifeste. Das eine für Waffenlieferungen in die Ukraine und das andere für Verhandlungen und gegen Waffenlieferungen. Stand 25. Juli 2023 hat fast eine Million Menschen die beiden Manifeste unterstützt. 136.603 stimmten für Waffenlieferungen und 845.016 gegen Waffenlieferungen. Das heißt, jeder* Unterstützer*in für Waffenlieferungen stehen 6,1 Unterstützer*innen gegen Waffenlieferungen gegenüber. Das ist eine überwältigende Mehrheit. Nun hat aber auch die deutsche Regierung, die nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant ist, „repräsentative“ Umfragen veröffentlicht, die genau das Gegenteil aussagen, nämlich eine große Mehrheit der Bevölkerung sei für Waffenlieferungen. Nun bleibt es den Lesenden überlassen, herauszufinden, wie es zu solchen gegensätzlichen Ergebnissen kommen konnte!

Jede*r Bürger*in, die*der einen Computer und eine e-Mail-Anschrift besitzt, hatte (und hat) die Möglichkeit, eines der beiden Manifeste zu unterstützen. Jede Unterstützung wird sofort auf dem Display des Computers angezeigt sowie auch die Gesamtzahl der Unterstützer*innen. Der Autor dieses Textes hat in der Zeit vom 1.4.2023 bis 25.7.2023 ein- bis zweimal wöchentlich, insgesamt 28 mal, die Anzahl der Unterstützer*innen beider Manifeste erfasst und das oben genannte Verhältnis ermittelt. Kleine Abweichungen gab es nur ab der 2. bis zur 7. Stelle hinter dem Komma. Das Verhältnis der Unterstützenden der beiden Manifeste ist vom 1.4.2023 bis 25.7.2023 stets konstant geblieben.

Nach dem geltenden Völkerrecht sind Angriffskriege verboten, aber weil sie trotzdem stattfinden, sind Verteidigungskriege erlaubt. Verteidigungskriege sind aber nicht weniger schrecklich, tödlich, zerstörerisch und Leid erzeugend als andere Kriege auch. Sie können auch verloren gehen und deshalb sollten bei einem Angriffskrieg außer einer militärischen Verteidigung auch alle anderen Möglichkeiten der Streitbeilegung erwogen werden. Im gegenwärtigen Ukrainekrieg war eine siegreiche Verteidigung eher unwahrscheinlich. Erst durch die sehr viele Milliarden schwere Unterstützung der Ukraine mit Kriegswaffen und Geld durch die USA und ihre NATO-Staaten ist ein ungefähres Gleichgewicht entstanden, wodurch der Krieg noch immer andauert. In der Geschichte der Kriege hat es wohl noch nie eine so massive Unterstützung eines kriegführenden Landes gegeben, weshalb auch von vielen Menschen befürchtet wird, dass die Unterstützer-Staaten von Herrn Putin als kriegsbeteiligt angesehen werden und er auch diese Länder angreift, was nicht nur zu einem neuen Weltkrieg, sondern sogar zu einem alles Leben vernichtenden Atomkrieg auf unserem Planeten führen kann. Auch in den Unterstützer-Staaten wurden die Völker nicht befragt, ob sie ihre Steuergelder dafür hergeben oder ob sie lieber die Krankenhäuser, Schulen und Straßen saniert haben oder ob sie das Kriegsrisiko eingehen wollen oder nicht. Ein angegriffener Staat sollte stets ernsthaft prüfen, ob eine gewaltlose Verteidigung und die Suche nach einem Kompromiss nicht besser sind als Hunderttausende oder gar Millionen Tote und Verwüstungen großer Territorien.

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Rubrik

Krisen und Kriege

Themen

Ulrich Hübner, nur durch glücklichen Zufall Überlebender des 2. Weltkrieges. (Eine der drei Sprengbomben, die das Mehrfamilienhaus trafen, war ein Blindgänger.)