Entschiedenere Opposition als der »Löwe von Münster«: Der nicht heilig gesprochene Bischof Johannes Baptista Sproll

Echtes Vorbild im Kampf gegen die Nazis

von Thomas Seiterich-Kreuzkamp

Im Oktober will der Papst Kardinal von Galen selig sprechen. In Münster wird Galen hoch verehrt. Zugleich ist er umstritten - weil er Militarist und Nationalist war.

Die katholische Oberkirche betreibt eine seltsame Geschichtspolitik. Wie einseitig und fragwürdig diese Erinnerungspolitik ist, zeigt sich beim heiklen Thema »Bischöfe und Hitlerfaschismus«.

Kardinal Karl Lehmann, der Chefintellektuelle unter den Oberhirten, und mit ihm die Deutsche Bischofskonferenz preisen una voce, im Chor stets den »Löwen von Münster«, Kardinal Clemens August Graf von Galen. Der war in seinen mutigen Widerstandspredigten gegen die so genannte »Ausrottung lebensunwerten Lebens« durch den Nazistaat gewiss großartig. Aber er war auch Antidemokrat, Nationalist und Militarist. Mit seinen Widerstandspredigten zog von Galen den Zorn, ja den mordbereiten Hass Hitlers sowie des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels auf sich. Er entging dem Naziterror wohl nur, weil der von Hitlerdeutschland angezettelte Weltkrieg bereits im Gang war. Dies verhinderte die Abstrafung oder gar den Justizmord am Bischof von Münster, der bei den Gläubigen in Westfalen enorm beliebt war.

Doch es werden Bischöfe übergangen, die weitaus überlegtere Gegner des Nazismus waren, wie der aus niederbayerischem Adel stammende, 1946 zum Kardinal erhobene Konrad Graf von Preysing, der Bischof von Berlin. Nahezu vollends verschwiegen wird ein echter Widerständler, der Zentrums-demokratische Hitlergegner und Bischof von Rottenburg, Johannes Baptista Sproll.

Was steckt hinter solch üblen GeschichtsFouls? Die Definitions- und Fördermacht in der Erinnerungspolitik konzentriert sich im Dunstkreis der katholischen Kommission für Zeitgeschichte. Seit je gelten die dort Ton angebenden Professoren als schwarz und konservativ. Linkskatholische Märtyrer und Widerständler haben generell nur wenig Lobby.

Über von Galen, der im Herbst 2005 heilig gesprochenen werden soll, gibt es vielerlei Bücher. Doch die Literatur über den Berliner Kardinal von Preysing ist seltsam dünn; es fehlt eine repräsentative Biografie. Dasselbe gilt in noch betrüblicherem Maße für den wegen seines unbeugsamen Widerstandes vorbildlichen Bischof Sproll. Ungeachtet der lesenswerten Sproll-Forschungen des langjährigen Vertreters der baden-württembergischen Bistümer bei der Stuttgarter Landesregierung, Paul Kopf.

Sproll hat, so sagt Kardinal Walter Kasper, »gegen den Mythos der Nazis von der germanischen Rasse und dem deutschen Gott wie kein anderer deutscher Bischof« den Glauben verteidigt, in zahllosen Reden, vor zigtausenden. Er war armer Leute Kind, stammte aus Schweinhausen bei Bieberach. Sproll stand auf Seiten der kleinen Leute. Er war, anders als viele im Oberklerus, Demokrat. 1918/19, nach der Abdankung des Königs von Württemberg, arbeitete er mit im demokratischen Verfassungskonvent.

Sproll war volkstümlich. Zu Fuß lief er von den Stuttgarter republikanischen Sitzungen heim nach Rottenburg, quer durch den Schönbuch. Unterwegs sprach und scherzte er mit den Leuten. Kardinal Kasper erklärt, Sproll habe »in klarer Erkenntnis des antichristlichen Charakters des Regimes sich so früh und so beharrlich wie kein anderer deutscher Bischof gegen die kirchenfeindliche Agitation« der Nazis gewehrt. Mit vielen Kundgebungen, auf denen er vor der Christentumsfeindlichkeit, dem Rassismus und Antisemitismus der Machthaber warnte, habe er »die Nazis bis aufs Blut gereizt«. Doch »weder die deutschen Bischöfe noch der Vatikan noch die Mitarbeiter im Domkapitel« hätten den Kurs des politisch erfahrenen Bischofs gestützt.

Als Sproll am 10. April 1938 die NS-Volksabstimmung »Stimmst du für den Anschluss Österreichs ... und damit für deinen Führer Adolf Hitler« demonstrativ boykottiert, überfällt ihn die Gestapo. Sein Bischofshaus wird verwüstet. Zunächst flieht Sproll zum Freiburger Amtsbruder, Erzbischof Conrad Groeber. Der nimmt den Flüchtling und »unklugen Querkopf« auf, doch der Militarist und Nationalist Groeber - ein staatsfrommer Geistesbruder von Galens - ist »förderndes Mitglied« der SS. Noch 1945.

Der Oberschwabe Sproll muss nach kurzem Asyl im südbadischen Freiburg weiter fliehen. Ihm droht Lynchmord durch die Nazis. Die Gestapo jagt ihn sechs Monate, über 30 Stationen. Das macht Sproll fertig. Am 24. August 1938 wird er vom Regime aus seinem geliebten Württemberg verbannt. Erst an Fronleichnam 1945 kehrt Sproll in seine Bischofsstadt zurück, im Schutz der französischen Befreier. Der einst vom NS-Regime zum »Volksfeind« Erklärte wird vom Kirchenvolk im Triumph empfangen. 15 000 Frauen und Männer stehen Spalier.

Doch der Heimkehrer kann nicht mehr gehen. Sproll ist gelähmt. Er leidet an MS. Bis zu seinem Tod am 4. März 1949 tragen die Württemberger Katholiken ihren Bischof.

Weshalb wird ausgerechnet von Galen und nicht der heiligmäßige, humorvolle Demokrat Sproll selig gesprochen? »Sproll wird erst seit den Endachtzigerjahren von Rom und von den Bischöfen erwähnt«, berichtet der Rottenburger Alt-Domkapitular Wolfgang Groß. Weshalb betreibt die Diözese in Rom keine Heiligsprechung Sprolls?

Am nötigen Großgeld für den Heiligsprechungsprozess und Vatikanjuristen mangelt es im Schwabenländle nicht. Prälat Groß sagt: »Es ist die Kirchenpolitik.« Zwei Mal sei der Hitler gegenüber allzu milde Päpstliche Nuntius Cesare Orsenigo aus Berlin zu dem verbannten Bischof Sproll ins Exil in Krumbad bei Memmingen gereist, um ihn zum Rücktritt zu überreden. Erfolglos. »I bleib` Bischof in Rottenburg«, entgegnete Sproll, der dickschädelige Bischof mit den Bauernhänden dem sorgsam und fein manikürten Gesandten Pius` XII.

Aus: Publik-Forum, Zeitung kritischer Christen, Oberursel, Ausgabe Nr. 4/2005

 

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