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Widersprüchliche Werbekampagne der Bundeswehr
Ein kritischer Blick auf die Bundeswehr-Serie "Die Rekrutinnen“
vonEnde letzten Jahres erschien auf dem Youtube-Kanal „Bundeswehr Exclusive" die mittlerweile achte Serie der Bundeswehr. Hierbei besinnt sich der Kanal, nach den eher kriegerisch angelegten Serien „Mali", „KSK" und „Survival" sowie Kurzserien für ein eher kleines Zielpublikum, wieder auf seine Anfänge („Die Rekruten"). Rund 7 Mio. Euro hat die Bundeswehr in „Die Rekrutinnen" investiert, um nun insbesondere den weiblichen Teil der Bevölkerung anzusprechen. Schon in den vergangen Staffeln wurden Frauen als Akteurinnen gezeigt (abgesehen von „KSK" und „Die Springer"), doch schien das als Werbemaßnahme nicht zu genügen. „Die Rekrutinnen" soll „Vorurteile abbauen und junge Frauen ermuntern, zu uns zu kommen", wie Christina Routsi, Sprecherin des Verteidigungsministeriums, erklärte. Wie undurchdacht diese Idee war, zeigt nicht nur der unkreative Titel, sondern auch die Serie selbst.
Schon die erste Hürde, ausreichend Frauen zu finden, die als Werbebotschafterinnen zu Verfügung stehen, konnte nicht genommen werden. So ist im Trailer von sieben jungen Frauen die Rede, die die Zuschauer*innen in der Serie begleiten werden.
Die Serie selbst zeigt allerdings eine gemischte Ausbildungsgruppe mit vier Frauen und drei Männern. Die vier Rekrutinnen werden zu Beginn der Serie in „Homestories" vorgestellt. Darin erzählen die zwischen 18 und 20 Jahre alten Frauen von ihrer Motivation, zur Bundeswehr zu gehen und sind dabei gleichzeitig direktes Sprachrohr für die Werbeslogans der Bundeswehr. Melanie will an ihre Grenzen kommen, Enny sieht die Bundeswehr als Chance, die Welt zu entdecken und Lea möchte zur Bundeswehr, um sich selbst kennenzulernen.
Truppengefühl statt Konzepte für weibliche Soldaten
In der Serie selbst wird schnell klar, dass die Bundeswehr als große Gemeinschaft dargestellt werden soll. So erklärt Protagonistin Leah: „Ich persönlich halte nicht so viel von dem Gender-Wahnsinn, der gerade abgeht, wir sind halt EINE Truppe." Auch die Darstellungen der Offizier*innen sollen das Gefühl einer großen Gemeinschaft erzeugen. Zwar wird einerseits gezeigt, wie die Rekrutinnen von den Offizier*innen angebrüllt werden. Gleichzeitig werden genau jene Offizier*innen auch immer als nahbare Personen dargestellt, die im privaten Gespräch vor der Kamera ihr Mitgefühl mit den Rekrut*innen zeigen, während sie ihr autoritäres und abwertendes Verhalten als normal beschreiben.
Inhaltlich wird in den 50 Folgen kaum auf Themen eingegangen, die in besonderem Maße Frauen ansprechen könnten. So sieht man in Folge 5 (6:41 min) zwar kurz, dass im Ausbildungsunterricht die „militärische Gleichstellung und militärische Gleichberechtigung sowie der Umgang mit Sexualität" als Thema behandelt wird. Eine Sekunde später werden dann müde Gesichter gezeigt, es geht um die Wahl der Vertrauensperson der Rekrutinnen und der Rekrut Kenneth beschreibt den Input als „anspruchsvoll“. Ähnliches lässt sich in Folge 9 beobachten, wo in gerade einmal 57 Sekunden der insgesamt über 15 Minuten langen Folge von einem weiblichen Oberleutnant „Tipps von Frau zu Frau“ gegeben werden. Der einzige Tipp, den die Zuschauer*innen dabei mitbekommen, ist, sich bei einer Stationierung rechtzeitig einen Gynäkologen in der Nähe zu suchen.
Weiterhin existiert ein "Special"-Video zu "Frauen bei der Bundeswehr", in der in 10 Minuten die wichtigsten Fragen mit der militärischen Gleichstellungsbeauftragten der Bundeswehr und einem weiblichen Hauptfeldwebel behandelt werden sollen. Die erklärten Schwerpunkte liegen dabei auf „Beauty, Hygiene, Gleichstellung und Familie". Die weitere Gewichtung zeigt sich darin, dass sechs Minuten lang Antworten zum Thema „Beauty und Hygiene", zwei Minuten zu „Sexualität und Familie" und weitere zwei Minuten zu „Gleichstellung und Mobbing" gegeben werden.
Die durchaus spannende Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird, ohne nähere Informationen, als unproblematisch beschrieben und beinahe hektisch abgenickt. Ähnlich wirkt es bei der Frage nach Mobbing, welches laut der Gleichstellungsbeauftragten nicht öfter als „in anderen Unternehmen" vorkomme.
Dabei orientiert sich die Gleichstellungsbeauftragte weniger an der Realität und mehr an der Eigendarstellung der Bundeswehr. So ist auf der Seite „Bundeswehr entdecken" zu lesen, dass die Soldaten die Veränderung durch Frauen in der Truppe vor allem durch einen freundlicheren Ton bemerken würden. Dagegen berichtete Die Welt 2014 noch, dass rund 57 Prozent der Soldaten der Meinung sind, Soldatinnen würden die Lage der Bundeswehr verschlechtern. Zudem würde jede vierte Frau die Truppe gern vorzeitig verlassen. Ein Grund, von der damaligen Verteidigungsministerin von der Leyen auch medial groß inszeniert, war die Frage der Vereinbarung von Beruf und Familie. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten von 2019 zeigt allerdings, dass diese Thematik für die Bundeswehr als Arbeitgeber noch lange nicht abgeschlossen ist. So ist der Bau einer Kindertagesstätte in Nähe des Bundeswehrkrankenhauses seit Jahren angekündigt, kann aber wegen einer ausstehenden Baufeldfreimachung nicht umgesetzt werden. Ebenfalls nicht vollständig gelöst ist die Betreuung von Schulkindern während der Ferienzeiten.
Sexualisierte Gewalt ist ein strukturelles Problem
Weiterhin lässt der Artikel der Tageszeitung Die Welt darauf schließen, dass die Bundeswehr für Frauen generell ein unangenehmes Pflaster ist. So sind sowohl Soldaten als auch Soldatinnen vermehrt der Ansicht, dass sich die Bundeswehr durch einen höheren Frauenanteil zum Negativen verändere. Die Hälfte der Soldaten ist der Meinung, dass Frauen in der Bundeswehr zu positiv beurteilt würden. Gleichzeitig haben rund die Hälfte der Soldatinnen Erfahrung mit sexueller Belästigung gemacht, rund 25% durch das Zeigen von pornografischen Inhalten, 3% wurden Opfer sexualisierter Gewalt.
Auch der Jahresbericht des Wehrbeauftragten berichtet von Diskriminierung und insbesondere sexueller Belästigung. So wurden 2019 insgesamt 345 Fälle wegen des Verdachts auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemeldet. Der Bericht führt dabei mehrere Fälle an, bei denen die Bundeswehr mit Geldbußen oder vorzeitigen Entlassungen auf sexuelle Belästigungen reagiert hat. Gleichzeitig wird aber auch beschrieben, dass die Bundeswehr keinen einheitlichen Umgang zu Meldungen von Übergriffen hat, was „kaum ein Klima fördern [kann], in dem eine werteorientierte Grundhaltung selbstverständlich ist".
Während der Jahresbericht des Wehrbeauftragten und die Außendarstellung der Bundeswehr sich bezüglich der Gleichberechtigung innerhalb der Truppe fortschrittlich geben, wird auch der strukturelle Sexismus innerhalb der Truppe dargestellt. Dieser betrifft potenziell auch all jene Soldat*innen, die durch ihre Geschlechterzugehörigkeit oder sexuelle Orientierung aus dem heteronormativen Raster fallen. Zwar gibt es positive Medienberichte zu transgeschlechtlichen Offizier*innen, jedoch heißt es im Jahresbericht des Wehrbeauftragten auch, dass ein Offizier die „gefühlte Omnipräsenz von transgeschlechtlichen Menschen in der Bundeswehr“ beanstandete oder ein Soldat durch sexuelle Anspielungen in einem Whats-App-Gruppenchat gedemütigt wurde. Dass es sich hierbei nicht um Einzelfälle handelt, erkennt auch der Bericht. Zwar wird gefordert, dass „Loyalität und Kameradschaft“ in solchen Fällen den Betroffenen gelten müsse. Für konkrete Maßnahmen innerhalb der Truppe gibt es allerdings keine Vorschläge. Stattdessen feiert der Bericht die Teilnahme am deutschen Diversity-Tag und betont das Bekenntnis der Bundeswehr zur Einbindung aller Angehörigen.
Nicht nur innerhalb der Bundeswehr erzeugt der Wunsch nach Gleichberechtigung und Diversität Widerstände, auch die AfD hat nun eine kleine Anfrage zur Gleichstellung von Frauen mit Männern in der Bundeswehr gestellt, in der moniert wird, dass „durch eine Überbetonung von Gesichtspunkten wie Gleichstellung, Antidiskriminierung oder Diversity [...] Probleme für die Leistungsfähigkeit der Streitkräfte geschaffen [werden], die im Ernstfall nicht gelöst werden könnten."
Dem Werben liegt ein Personalmangel zugrunde
Das Werben um einen höheren Frauenanteil begründet die Bundeswehr selbst mit der Gleichberechtigung von Frauen und der Überwindung von Diskriminierung in der Arbeitswelt. Hier muss allerdings angemerkt werden, dass es erst aufgrund einer Klage und dem entsprechenden Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2000 für Frauen möglich wurde, sich in Deutschland für alle militärischen Tätigkeiten zu bewerben. Daher ist es wahrscheinlicher, dass die Motivation der Bundeswehr schlicht ihr Personalmangel ist und sie sich bei ihren Rekrutierungsversuchen an anderen NATO-Partnern wie den USA, Kanada oder Frankreich orientiert. Diese haben bei ihren Soldaten einen Anteil von rund 15% Frauen - ebenjener Prozentsatz ist auch erklärtes Ziel der Bundeswehr. Bislang stieg seit dem Jahr 2000 der Anteil der Soldatinnen auf rund 12% (2019: 12,8 %), während die Zahl der Soldat*innen insgesamt abgenommen hat.
Fazit
Im Vergleich zu den Bundeswehr-Serien „Die Rekruten", „KSK" oder „Mali" war das Interesse für „Die Rekrutinnen" auf Youtube eher gering, immerhin aber höher als für die Kurzserien „Die Springer", „BIWAK" und „Unbesiegt", die allerdings in ihrer Konzeption auch für ein kleineres Zielpublikum bestimmt waren. Doch die Werbestrategie, die sich hier fortsetzt, ist gefährlich und muss, trotz mäßigem Erfolg, auch so benannt werden. Die Inszenierung ist, je nach Social-Media-Kanal, durchaus unterschiedlich. Für Konsument*innen verschwimmt, ob es sich vornehmlich um Information, Unterhaltung oder Anwerbung handelt, wodurch Letzteres - worum es der Bundeswehr ja geht - viel subtiler stattfindet. Die Bundeswehr hat hier eine feste Werbemöglichkeit für sich entdeckt, die - unabhängig von der Beachtung - viel Geld kostet.
Inhaltlich wirkt die Serie „Die Rekruten" 2.0 wie ein konzeptloses Bemühen, Frauen als derzeit noch unterrepräsentierte Gruppe anzuwerben. Auf die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die sich in unserer Gesellschaft überwiegend für Frauen stellt, kann die Bundeswehr keine attraktive Antwort geben. Auch für den Umgang mit sexualisierter Gewalt steckt die Bundeswehr höchstens in den Kinderschuhen. Doch eine diesbezügliche Reformierung des Militärs ist aufgrund ihres Charakters unmöglich. Denn das Überwinden patriarchaler Denkmuster steht diametral zur gewaltvollen und von Hierarchien geprägten Idee des Militärs.
Der Beitrag erschien als IMI-Analyse 2020/24 vom 5. Juni 2020, http://www.imi-online.de/2020/06/05/widerspruechliche-werbekampagne/ . Dort finden sich auch umfassende Quellenbelege, die wir hier aus Platzgründen weglassen mussten.