Ein trauriger Geburtstag: 25 Jahre französische Atomtests im Pazifik

von Matthias Koeffler

Die Geschichte der französischen Atomtests im Pazifik ist eine Ge­schichte der Skandale und Pannen. Nuklear verseuchtes Meer, ver­seuchte Atolle und verstrahlte Menschen sind das Ergebnis einer fünfundzwanzigjährigen Testpolitik. Trotz Ende des Ost-West-Konflikts sol­len die Atombombentests fortgesetzt werden, um Frankreich das zwei­felhafte Image der Grande Nation zu sichern.

„Um Französisch-Polynesien für seine Anhänglichkeit an Frankreich zu dan­ken, habe ich beschlossen, dort das Kernwaffenversuchszentrum (CEP) ein­zurichten.“ Mit diesem zynischen Satz kündigte de Gaulle die Verlegung des französischen Atomtestgebietes auf die Inselgruppe Polynesien im Pazifik, die Frankreich als Kolonialgebiet bean­sprucht, an.

Am 2. Juli 1991 vor genau 25 Jahren wurde die erste Atombombe im neuen Testgebiet in der Lagune von Moruroa gezündet. Die Explosion, von einem Floß aus, entwickelte solch eine gewal­tige Sogwirkung, daß der ganze Inhalt der Lagune in die Luft geschleudert wurde. Er regnete auf die benachbarten Inseln ab. Das Ergebnis war, daß an den Stränden der benachbarten Atolle Un­mengen von verrottenden Fischen und Schalentieren herumlagen. Tonnen ver­seuchten Meerwassers gingen auf die BewohnerInnen nieder.

Vor dem 2. Juli 1966 hatte das französi­sche Militär im damals noch französi­schen Algerien Atombomben schon oberirdisch in der Sahara getestet und das Volk der BerberInnen massiv ver­seucht - nur 3 bis 4000 Kilometer von Frankfurt/Main entfernt. An den Tests in der Sahara hatte zum Teil auch der damalige deutsche Atomminister Franz Josef Strauß teilgenommen. Seine stille Hoffnung war, durch eine Atomkoope­ration innerhalb der deutsch-französi­schen Freundschaft Zugang zu Atom­waffen bekommen zu können. Als Alge­rien 1963 nach blutigsten Auseinander­setzungen und einer Million Toten un­abhängig wurde, suchte das Militär sich ein neues Testgebiet.

Von 1962 bis 1965 ließ de Gaulle das neue Atomtestgebiet aufbauen. Für den Bau setzte die dafür geschaffene Be­hör­de, das Centre d'Experimentation du Pa­cifique (CEP), 18000 Soldaten, davon 3000 Fremdenlegionäre, ein.

Atomexplosion auf Muroroa
1966, drei Jahre nachdem die anderen Atommöchte Großbritannien, USA und UdSSR schon einen Vertrag unterzeich­net hatten, der bestimmte, die Atomtests unter die Erde zu verlegen, fing de Gaulle erst an, mit oberirdischen Tests die PolynesierInnen im Dienste der Ab­schreckung zu verseuchen. Die Ver­suchsexplosion am 2. Juli 1966 war der Startschuß zu einem furchtbaren Atom­test-Terror.

Schon am 19. Juli wurde gleich der zweite Test nachgeschoben. Knapp hun­dert Kilometer südlich des Moruroa-Atolls wurde die Bombe aus 15000 Me­ter Höhe über dem Meer abgewor­fen. Am 10. September schließlich er­öffnete de Gaulle selbst das neue Atomtest­gebiet mit einer pompösen Zeremonie. Der Gipfel dieser Veranstal­tung war ein Atomtest 600 Meter über Moruroa. Während sich der Präsident von der Brücke eines Kriegsschiffes an dem Schauspiel ergötzte, regnete der Fall-Out über sechs bewohnte Nach­barinseln ab; nachgewiesen durch das New Zea­land National Radiation Labo­ratory.

Bis Giscard d'Estaing 1974 die oberirdi­schen Tests stoppte, wurde eine Testse­rie von 44 oberirdischen Atomtests durchgeführt; eine Serie, die mit Unfäl­len, gewaltsamer Unterdrückung von Opposition und kalkulierter Vernichtung menschlichen Lebens erkauft wurde. Als schon 1958 in der Vorphase der Einrichtung des Testgebietes der französisch-polynesische Innenminister Pou­vanaa a Opaa versuchte, den Bau des Testgebietes zu verhindern, wurde er in den Medien totgeschwiegen und nach einem gezinkten Prozeß acht Jahre in Isolationshaft gesteckt und 15 Jahre in die Verbannung geschickt.

Bereits im ersten Jahr der Tests er­eig­nete sich ein zweiter Unfall. 1967 explo­dierte bei einer Versuchsanord­nung von drei Atombomben eine zu früh. Dabei wurde die 126 Kilometer entfernt lie­gende Insel Tureia mit ihren 60 Einwoh­nern und zwei französischen Metereolo­gen verseucht. Jedoch nur die beiden noch dort stationierten Franzosen wur­den ausgeflogen.

In den folgenden Jahren riß die Zahl der Unfälle nicht ab, und die Verseuchung dehnte sich immer weiter aus. Das führ­te schließlich 1973 zu weltweiten Prote­sten, die ihren Ausgang von Neu­seeland und Australien nahmen. So machten sich hunderte von Privatjachten von Neuseeland und Australien in das fran­zösische Atomtestgebiet auf und ver­suchten, einzelne Tests zu verhin­dern. Die französische Regierung konnte 1974 mit der Verlegung der Tests unter die Erde schließlich die Protestbewe­gung brechen.

Bis heute hat das französische Militär offiziell zusätzliche 130 unterirdische Tests durchgeführt, eine Dunkelziffer noch nicht mit eingerechnet. Die fortge­setzte Verseuchung ist inzwischen über­haupt nicht mehr aufzuhalten, und ein zum Teil schmutziger Krieg gegen Ak­tionen des Widerstandes ging weiter. Die politische Repression gegen jegli­chen Widerstand fand 1985 ihren Höhe­punkt, als das Greenpeace-Schiff Rain­bow Warrier vom französischen Ge­heimdienst im neuseeländischen Hafen Auckland versenkt worden war. Dabei konnte ein portugiesischer Fotograf sich nicht mehr rechtzeitig aus dem Inneren des Schiffes befreien und ertrank.

Die Folgen der Tests
Eine Folge der Tests bis heute ist unter anderem, daß das einst blühende Atoll Moruroa inzwischen von vier Rissen durchzogen wird. Allgemein wird be­fürchtet, das nur aus Kalkstein und Ko­rallen bestehende Atoll Moruroa könnte demnächst ganz auseinanderbrechen und eine ständige Quelle für strahlendes Material, das in den Pazifik eingespeist wird, werden. Schon heute geschieht die Verseuchung des Pazifik fortgesetzt und unaufhaltsam.

Einem löchrigen Drucktopf gleich wird das nukleare Material durch die Pres­sion, den die in der Erde eingeschlosse­nen unterirdischen Gase erzeugen, aus dem Gestein in das Meer gedrückt. Eine Untersuchung des Amerikaners Norm Burske geht davon aus, daß bereits nach fünfeinhalb Jahren radioaktive Gifte aus den unterirdischen Bohrlöchern an die Umwelt dringen.

Das Atoll ist in vielfacher Hinsicht am Ende. Seit 1980 gibt es keinen Platz auf der Lagune für weitere Bohrlöcher, die die Insel im 500-Meter-Abstand unter­höhlen. Dennoch ließ sich das CEP un­geachtet schwerwiegender Bedenken von Experten nicht davon abbringen, mit den Tests in der Lagune von Moru­roa fortzufahren.

Die Auswirkungen der Strahlung
Über die Auswirkungen der Strahlung wird weiterhin strikte Geheimniskräme­rei betrieben. Mehrfach hat das CEP Untersuchungen geschönt, verfälscht oder verboten. Selbst eine Untersuchung des Meeresforschers Jacques Cousteau diente der Regierung als „Weißwäscher“ für ihre Politik, was ihn verbitterte.

Die CEP-Beamten haben ihre Informa­tionspolitik im Griff. Vier von fünf der Gesundheitsminister in den einzelnen polynesischen Regierungen sind Fran­zo­sen. Die Krankenhäuser auf den Atollen werden teilweise von französi­schen Mi­litärs geleitet.

Dennoch gelang es zwei neuseeländi­schen Forschern, eine Studie vorzule­gen. Nach ihr sollen die Krebsfälle sich in Polynesien um 50% erhöht haben, der Anteil der Todesfälle, die durch Krebs und Leukämie ausgelöst werden, lag 1974 bei mehr als 14%, während es vor Beginn der Tests nur 2% waren.

Komitee
Hinzu kommt noch die heimtückische und weitgehend unerforschte Ciagua­tera-Krankheit. Sie wird ausgelöst durch Veränderungen kleiner Meeresorganis­men an den Korallenriffen. U.a. auf­grund der radioaktiven Belastung pro­du­zieren sie Gifte, die über die Fische auch in die menschliche Nahrungskette hineinwirken. Ciaguatera-Vergiftungen führen bei Erwachsenen aber zu jah­re­langem Zittern, Erbrechen, Durchfall, Bauchschmerzen und Lähmungser­schei­nungen. Tritt sie aber während ei­ner Schwangerschaft auf, treten Fehlge­bur­ten auf, wird der Fötus vergiftet.

Die Polynesier werden nicht aufge­klärt
Während französische Militärs und Test-Experten die Gebiete nach Atom­explosionen nur in Schutzkleidung be­treten, müssen Einheimische mit bloßen Händen die Aufräumarbeiten erledigen. Sie bleiben ohne Strahlenschutz und Atemgeräte. Die verseuchte Schutzklei­dung wird in Öfen verbrannt, die aus­schließlich von PolynesierInnen bedient werden, ebenfalls ohne Schutzkleidung und Atemschutz vor den kleinen umher­fliegenden Aschepartikeln. Offensicht­lich verseuchte Arbeiter werden regel­mäßig nach Frankreich zu Untersuchun­gen geflogen, aber erhalten keine Be­handlung. Viele aber sterben in Frank­reichs Spezialkliniken einen un­nötigen, oft viel zu frühzeitigen Tod.

Die Tests gehen weiter
Obwohl der Ost-West-Konflikt offiziell längst beendet ist, soll weitergetestet werden. Schon jetzt ist unabsehbar, wie­viel Radioaktivität in den Ozean ge­lan­gen wird. Schon jetzt ist unklar, wie­ vie­le Tiere vom Schalentier bis zum Wal, die im Meer leben, und wie viele Men­schen, die sich von diesen Tieren ernäh­ren, daran sterben werden.

Schon jetzt ist fraglich, wie sich das ver­seuchte Meerwasser über die Erde ver­teilen wird. Und trotzdem wird an die­sen Relikten aus dem Kalten Krieg, den Atomwaffentests festgehalten.

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Matthias Koeffler ist Friedensarbeiter für die Friedens-Test-Kampagne in Heidelberg.