Ein Volk, ein Reich, ein Joystick

von Joachim Graf

Neonazis haben die Computer als Propagandainstrument entdeckt. Rechtsradi­kale Gruppierungen wie "FAP" und "Nationale Front" benützen die Kommunika­tionskanäle jugendlicher Computerfreaks, um ausländerfeindliche Programme an die Schulen zu bringen.

"Heil dir im Hakenkreuz, Herrscher des Deutschen Reichs! Heil Führer Dir" steht auf Peters Monitor. Peter lädt ein anderes Programm in seinen Computer. Nun zeichnet Peters Ho­mecomputer Marke "Commodore 64" ein schwarzes Hakenkreuz im roten Kreis und spielt dazu das "Horst-Wes­sel-Lied", die Hymne der faschisti­schen SA.

Peter sichtet gerade Disketten mit den neuesten Raubkopien, die er von sei­nem Freund bekommen hat. Wie die meisten seiner Klassenkameraden hat Peter kein Geld, sich Computerpro­gramme im Laden zu kaufen. Er be­sorgt sie sich als illegale Schwarzko­pien. "Ich habe gute Connections" er­zählt der 15jährige. "Ich kriege hottest stuff direkt aus den Staaten." Die heu­tige Lieferung bestand nicht nur aus "hottest stuff", aus den neuesten Pro­grammen aus den USA. Neben dem Schachprogramm "Collossus Chess" und dem Abenteuerspiel "Weird Dre­ams" sind auf der Diskette "Hitler Diktator" und "KZ-Manager" gespei­chert - Naziprogramme.

Die "Connections", die Verbindung der Cracker und Raubkopierer untereinander, nutzen rechtsradikale Gruppie­rungen wie Michael Kühnens "Frei­heitliche Deutsche Arbeiter Partei" oder die "Nationale Front" für ihre Zwecke aus. Das Schneeballsystem, mit dem die Raubkopien an die Empfänger gelangen, ist schnell und anonym - ideal für die im Untergrund arbeitenden faschistischen Gruppen. Die Cracker entfernen den Kopierschutz von den Originalprogrammen und geben die gecrackten Programme mit eigenen Vorspannprogrammen versehen, in den ihr Pseudonym auf­taucht, an ein Handvoll guter Be­kannte weiter , von denen jeder wieder ein Dutzend Bekannte beliefert. Zwei Wochen später sind billige Raubkopien des teuren Originalprogrammes bundesweit überall erhältlich.

Die Fahnder der Computerkriminali­täts-Abteilungen der Polizei und der Staatsanwaltschaften sprechen vom "Omnibusprinzip", mit dem die neonazistischen Gruppen arbeiten: Auf Disketten  mit den aktuellsten Raubkopien werden Naziprogramme dazu kopiert und weitergegeben. Da der Weg der Raubkopie jeweils nur bis zum letzten Tauschpartner zurückverfolgbar ist, können die Nazisoft­ware-Vertreiber anonym bleiben. Sie sind, anders als Hersteller kommer­zieller Computerspiele, mit einem Verkaufsverbot ihres Spiels mittels ei­ner Indizierung von Seiten der Bun­desprüfstelle für jugendgefährdende Schriften nicht zu stoppen. Ganz im Gegenteil: Der Reiz des Verbotenen steigert den Marktwert.

Wie Briefmarken
Wie Peter versuchen viele Computer­freaks, möglichst große Programm­sammlungen anzulegen: "Die meisten Sachen schau ich mir nur einmal an, dann wandert die Disk in den Kasten", berichtet Peter. Vier vollgestopfte Diskettenkästen stehen im Regal ne­ben seinem Computer. Wieviel Pro­gramme er besitzt? Peter weiß es nicht genau. "So 3000 werden es schon sein." Peter ist kein Einzelfall. Günther Frei­herr von Gravenreuth, Rechtsanwalt des Spieleherstellers Ariolasoft, kennt Fälle, wo bei Hausdurchsuchungen Sammlungen mit 20.000 und 30.000 Programmen beschlagnahmt wurden: "Viele Jugendliche horten Programme wie eine moderne Art Briefmarken­sammlung." Da haben Naziprogramme den Stellenwert eines preußischen Dreiers ohne Zähnung. Was selten ist, wird besonders gerne gesammelt. Das haben inzwischen auch die illega­len Verkäufer von Raubkopien er­kannt.  Dem 38jährigen Berliner Ju­stizwachtmeister Heinz B.* wirft die Berliner Staatsanwaltschaft vor, kom­merzielle neben Raubkopien von Spielen und Anwenderprogrammen auch Nazi-Software vertrieben zu ha­ben. Mehrere Jahre soll der Ange­klagte, der von seinem Dienst in einem Berliner Gefängnis wegen Krankheit beurlaubt war, an interessierte Softwa­resammler eine Liste mit über 1600 Computerprogrammen verschickt ha­ben. Unter den Programmen, die er zum Stückpreis von drei Mark abgab, waren auch rund 50 Naziprogramme. Käufer fand Hein B. durch Kleinan­zeigen in Computerzeitschriften wie "Happy Computer" oder "64er". Doch Heinz B. "ist kein Nazi", wie aus der Berliner Staatsanwaltschaft zu hören ist. "Er gehorchte nur den Gesetzen des Marktes".

Elektronische Nebenöffentlichkeit
Auch in den bundesweit 500 Mailbo­xen tauchen immer öfter ausländerfeindliche und nazistische Propagan­datexte auf. Rechtsradikale Einzelgän­ger und Gruppen verwenden diese von jedermann telefonisch erreichbaren elektronischen Briefkästen als, wie die BPS feststellt, "elektronische Nebenöf­fentlichkeit" für ihr ausländerfeindli­ches Gedankengut. In der "Solinger Commodore Box (SCB)" waren von November 1988 bis Februar 1989 Sätze zu lesen wie "Türkenschweine und die Scheißasylanten machen nur unser Volk kaputt".

Mehr als 100 Computerspiele hat die BPS inzwischen auf ihren Index ge­setzt. Darunter auch neun der etwa 50 in der Bundesrepublik kursierenden Nazi-Spiele. Deren Zahl macht zwar nur einen Bruchteil aller gehandelten Computerspiele aus. Aber inzwischen finden sich Naziprogramme bereits in jeder zweiten Software-Sammlung. Neben bekannten Titeln wie "Anti-Türken-Test" (Testfrage "Warum hö­ren Türken so gerne Judenlieder?") und "Hitler Diktator" ("Soll Ihre SS eine Judenverfolgung durchführen Ja/Nein?") auch neuere Produktionen wie "The Nazi Part II" und "Clean Germany".
Tauchten die ersten faschistischen Programme überwiegend in Berlin auf, so sind inzwischen digital hochgerü­stete Nazigruppen auch in Nordrhein-Westfalen und Frankfurt aktiv. Eine Duisburger, der FAP nahestehende Gruppe, die sich "Men at Work" nennt, schrieb das von der Bundesprüfstelle inzwischen indizierte Programm "Clean Germany". Bei ihm ist größtes Augenmerk auch effektreiche Grafik- und Musikprogrammierung gelegt.

Brett "Antifaschismus"
Die Computerfreaks machen inzwi­schen selbst gegen Nazis mobil. In der "Netikette", der Gebrauchsanleitung für den bundesweiten "Zerberus-Mail­boxverbund" mit knapp 100 ange­schlossenen Systemen wird als Punkt 23 festgelegt, daß die Betreiber der einzelnen Mailboxen zu gewährleisten haben, daß "rassistische oder auslän­derfeindliche Mails" zu "unterbleiben" haben. Um im Mailboxverbund des "Sozialistischen Computerclubs" hat der Club seinen Mailboxen ("Linkes Internationales Netz- und Kommuni­kationssystem: Linkssystem") in Köln, München, Nürnberg und Saarlouis ein Brett "Antifaschismus" eingerichtet, in dem politisch engagierte Computer­freaks Informationen austauschen und Aktionen gegen Rechtsradikale koor­dinieren.

* Name geändert

Der Artikel wurde mit freundlicher Ge­nehmigung der Zeitung der IG Medien, "kontrapunkt", entnommen.

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