Black Lives Matter

Es ist Zeit, das rassistische Narrativ zu ändern!

von Tejan Lamboi
Hintergrund
Hintergrund

Die Bilder von George Floyd, der in Handschellen auf den Boden gefesselt ist und dem ein weißer Polizeibeamter fast acht Minuten lang auf seinem Nacken kniet, werden für immer in unserer Erinnerung bleiben.

Es war kein weiterer rassistischer Mord in silence! Die Welt wurde Zeuge, wie ein weiterer Schwarzer Mensch kaltblütig ermordet wurde. Er wurde von denen ermordet, die dafür bezahlt werden, ihn zu beschützen. Es war brutal, und so waren auch die Proteste, die darauf folgten, wütend und manchmal auch gewalttätig. Enorme Zerstörungen an Eigentum in den USA wurden angerichtet. Die Wut und der Groll waren weit verbreitet - George Floyd war kein einmaliger Vorfall. Er folgte einem Muster des systematischen Mordens an Schwarzen Menschen in den Vereinigten Staaten - Amadou Diallo, Ahmoud Arbery, Betty Jones, Cornelius Brown, Eric Garner, Trayvon Martin, die Liste geht weiter und weiter ...

Hier in Deutschland: die Ausschreitungen in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen, der Tod von Oury Jalloh in einer Polizeizelle, der Mord an neun Menschen  in einer Shisha-Bar in Hanau. Es geht auch weiter und weiter...

Rassismus gestern und heute
Rassismus und rassistische Gewalt sind eine Pandemie, die allerdings nicht alle gleichermaßen betrifft. Rassismus hat seit über 400 Jahren ein System von Gewalt und Ausbeutung geschaffen, von dem die Weißen enorm profitieren. Von der Versklavung bis zum Kolonialismus wurden ungleiche Machtstrukturen geschaffen und aufrechterhalten. Diese Strukturen geben Weißen Privilegien, die für Schwarze Menschen und People of Colour (PoCs) Nachteile produzieren - ungleicher Zugang zu Bildung, Gesundheit, Arbeitsplätzen usw. - aber eben auch Vernichtungsphantasien bis hin zum Mord.

„Seit über 401 Jahren konnten wir nie da sein, wo wir sein wollten und von dem wir träumten, weil sie uns die Knie auf den Hals gelegt haben", sagt der Bürgerrechtler Reverend Al Sharpton und weist auf die ungleichen Chancen hin, die der systemische Rassismus in USA (aber auch in Europa) ermöglicht.

Der Rassismus hat auch eine so genannte globalisierte Welt geschaffen, die es den Weißen ermöglicht, zu reisen und die Welt ungezwungen zu „erkunden". Migration vom globalen Norden in den Süden ist die Norm. Um die umgekehrten Bewegungen zu unterbinden, wurden Mauern gebaut, um die Migration aus dem Globalen Süden in den Norden einzuschränken. Migrant*innen werden illegalisiert, wenn sie versuchen, über diese Mauern zu springen und ihr Recht auf Migration einzufordern. Was ist mit den Hunderten von Menschen, die jedes Jahr bei dem Versuch sterben, über das Meer nach Europa zu gelangen und diese Mauern zu durchbrechen? Selbst diejenigen, die es schaffen, sehen sich mit einer brutalen Asylpolitik konfrontiert, die ihren Menschenrechten wenig Beachtung schenkt. Da nur sehr wenige Fluchtgründe anerkannt werden, also nur wenige Geflüchtete bleiben dürfen, steht die Mehrheit der Geflüchteten vor der Aussicht auf ein weiteres institutionalisiertes Gewaltsystem - die Abschiebung. Gefangene in Handschellen werden gewaltsam in ihre (vermeintlichen) Herkunftsländer zurückgeschickt. 1999 starb ein Sudanese, Amir Omar Mohamed Ahmad Ageeb, durch Polizeigewalt, während er sich der Abschiebung aus Deutschland widersetzte.

„Die Deportierten haben schweigend geweint, ich kann nicht atmen! Ich kriege keine Luft! Der Unterschied zum Fall George Floyd ist, dass sie niemand hört", sagt Abdulai Daramy, Leiter des Netzwerks ehemaliger Asylsuchender in Sierra Leone. Er erzählt, wie er unter polizeilicher Brutalität litt, als er mit einem Charterflug von Bayern nach Freetown abgeschoben wurde. „George Floyd repräsentiert unsere Erfahrungen mit einem rassistischen System der Ungleichheit und Ungerechtigkeit, das es möglich macht, die Rechte der Schwarzen in einer Welt der Weißen zu missachten. Es ist an der Zeit, diese rassistische Erzählung zu ändern", fügt Daramy hinzu.

Der enorm aufgeladene und publik gemachte Tod von George Floyd bietet definitiv diese Gelegenheit zur Veränderung. Die Chance, das zu dekonstruieren, was Tupoka Ogette in ihrem Buch Exit Racism als „Happyland" beschreibt - eine Gesellschaft, in der Weiße auf Kosten von People of Colour (PoCs) Privilegien genießen.

Es gibt ein ermutigendes Signal - die Diskussionen über Rassismus in Deutschland werden seit dem Mord an George Floyd sehr intensiv geführt. Zum ersten Mal in meinen mehr als 12 Jahren, die ich hier lebe, habe ich den Eindruck, dass Rassismus anerkannt und ehrlich diskutiert wird.

Neue Blicke auf den deutschen Rassismus
Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen das Benennen von Rassismus, das sich nicht die Täter-Perspektiven zu eigen macht, indem es „Fremdenfeindlichkeit“ genannt wird; die Diskussion um die Abschaffung des Wortes „Rasse" aus dem Grundgesetz; die Forderung nach einer neutralen Beschwerdestelle für Rassismus innerhalb der Sicherheitskräfte; teilweise Selbstkritik an der Sprache in den Medien; Kritik an Talkshows über Rassismus ohne Schwarze und PoCs; und die großen Demonstrationen im ganzen Land mit einer klaren Botschaft: Genug ist genug!

Natürlich sind dies nur kleine Schritte. Der Kampf gegen den Rassismus erfordert den politischen Willen, jene Strukturen in den Systemen zu verändern, die ungleichen Zugang zu sozioökonomischen Ressourcen und Chancen für verschiedene Gruppen von Menschen schaffen. Es erfordert, dass die Mehrheitsgesellschaft nicht nur das Problem anerkennt, sondern aktive Schritte unternimmt, um die verschiedenen Formen des Rassismus kennen zu lernen und sich über sie zu informieren.

Der Kampf gegen Rassismus  verlangt von dieser Gesellschaft, die Kultur der Verleugnung zu durchbrechen und die Erfahrungen der Schwarzen und PoCs anzuhören und ernst zu nehmen. Es geht darum, zu verstehen, dass, wenn Schwarze Menschen und PoCs Weiße Menschen auf ihre rassistischen Äußerungen hinweisen, es nicht um den Vorwurf geht, aber um die rassistische Äußerung.

Noch wichtiger ist es, das diese Gesellschaft begreift, dass Rassismus nicht der Vergangenheit angehört; dass nicht nur AfD, Pegida, NSU-Komplex und sogenannte „Einzeltäter“ rassistisch sind; es erfordert die Akzeptanz, dass Rassismus alltäglich ist, überall! Es erfordert, dass Weiße ständig über ihr unbeabsichtigtes rassistisches Verhalten nachdenken, „selbst“ wenn sie mit Geflüchteten arbeiten oder mit einer Afrikanerin, einem Afrikaner verheiratet sind. Rassismus ist auch, wenn du deine Handtasche umklammerst, wenn du einem Schwarzen Mann begegnest; wenn du Begriffe wie „Schokobabys” benutzt; wenn du glaubst, dass alle Schwarzen Menschen, denen du begegnest, gut tanzen können…

Rassismus ist überall und sollte überall bekämpft werden! Überall! In unseren Häusern. An unseren Arbeitsplätzen. In Schulen. An Universitäten. Sportvereinen. Es erfordert, dass jede*r privilegierte Weiße sich darüber informiert, was er*sie selbst noch nicht erlebt hat, wo er*sie privilegiert ist und deshalb sich nicht damit auseinander setzen MUSS. Aber es ist ein MUSS, wenn wir unsere Gesellschaft lebens- und liebenswerter machen wollen. Ich empfehle jede*m Weißen, das Buch Was Weiße Menschen nicht über Rassismus Hören Wollen aber Wissen Sollten (Alice Hasters (2019) zu lesen. Ich verlange von allen Weißen, dass sie die einfachen Schritte in Tupoka Ogette's Exit RACISM. Rassismuskritisch denken lernen (2018) lesen und sich zu Herzen nehmen. Der Kampf gegen Rassismus erfordert Arbeit und Engagement.
Stark gegen Diskriminierung und Gewalt

Beim Bund für Soziale Verteidigung haben wir gerade in diesem Jahr ein neues Projekt Stark gegen Diskriminierung und Gewalt gestartet. Im Rahmen des Projekts geht es um eine Durchführung von Workshops zur Selbstermächtigung von Menschen, die sich nicht sicher fühlen, rassistisch diskriminiert werden oder aber mit direkter Gewalt konfrontiert sind. Inhalt der Workshops wird sein, die Teilnehmer*innen mit einer Analyse von Gefahrenlagen und Bedrohungen anzuleiten und konkrete gewaltfreie Handlungsmöglichkeiten vor Ort für die gegebenen Situationen zu entwickeln. Mehr zum Projekt: https://www.soziale-verteidigung.de/bereich/stark-gegen-diskriminierung-...

Abschließen möchte ich mit den Worten von Angela Davis, der US-amerikanischen Bürgerrechtlerin und Philosophin: „In a racist society, it is not enough to be non-racist. We must be Anti-racist.” – „ In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht aus, nicht rassistisch zu sein. Wir müssen antirassistisch sein.“

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Hintergrund
Tejan Lamboi ist Bildungsreferent beim Bund für Soziale Verteidigung. Der Beitrag erschien erstmalig im Rundbrief 3/2020 des BSV.