Buchbesprechung

Für eine Kultur der Wahrnehmung und Wertschätzung

von Christoph Kuhn
Hintergrund
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Ohne Anerkennung schlafen die besten Kräfte ein, sagt der Volksmund. Sie kann zu den Grundbedürfnissen des Menschen gezählt werden. Doch zu viele Menschen vermissen Zuspruch und Ermutigung. Nicht nur verkannte und unverstandene geniale KünstlerInnen und PhilosophInnen in Einsiedeleien; alle redlichen Menschen verdienen Wertschätzung ihrer Lebensleistung. In dieser Erwartung begegnen sie einander.

Der Autor Stefan Seidel, Theologe, Psychologe und Leitender Redakteur der Wochenzeitung Der Sonntag entfaltet in seinem Buch „Für eine Kultur der Anerkennung“ Konzepte einer „Anerkennungstheorie“.

Sie gehen weit hinaus über die schlichte Wahrheit, dass Anerkennung Beziehungen – zu sich selbst und anderen – möglich macht und sozialen Zusammenhalt gelingen lässt.

Um mangelnde, verwehrte, Anerkennung geht es, um Liebesmangel, bereits im Kleinkindalter; und um das Gegenteil von Anerkennung (nicht mit Lob zu verwechseln): Ignoranz und Demütigung, wenn nicht gar „Verachtung und Beschämung“ – ein Gefühl, das oft abgewehrt werde, durch Verachtung und Beschämung anderer, schwächerer Menschen, und das manche Menschen mit „prekärer psychischer Verfasstheit“ umzuwandeln versuchten in „politisches Kapital“.

Zur Anerkennungsfähigkeit hingegen gehöre die Erfahrung der Fremdheit, die ja Bereicherung sei. Niemand könne existieren ohne andere; sie (Fremde zunächst) sind zu erkennen und anzuerkennen.

Bezüglich „Merkmalsträgergruppen“, hinter denen die individuelle Person verschwinde, kritisiert Seidel die „Sächsische Bekenntnis-Initiative“ zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft. Würden Menschen auf bestimmte Merkmale reduziert, bedeute das auch Abwertung. Schon in der Bibel fänden sich solche Aussagen.

In reifer, humaner Religion sieht der Autor einen Identitätsfaktor; sie stiftet ein „Vertrauenspotenzial, das den Selbstwert fördert und beziehungsfähig macht“. Sie leiste Beiträge zur Kultur der Anerkennung; umgekehrt könne Anerkennung eine religiöse Erfahrung sein: Gott verwirkliche sich in „gelingenden Anerkennungsverhältnissen“ und in „Beziehungen der Liebe“.

Da Glauben mit Vertrauen „in die konstruktive verändernde Kraft der Andersheit“ zu tun hat, müssen sich an diesem Diskurs auch die Religionen beteiligen, schreibt Seidel. Sie könne Anerkennungsverhältnisse unterstützen mit dem Bewusstsein, dass niemand „aus sich selbst heraus lebt“. Sie verfüge über „Sinnressourcen“ und stärke so moralische Ressourcen.

Stefan Seidel (2018): für eine Kultur der Anerkennung – Beiträge und Hemmnisse der Religion.
Verlag echter, 195 S., ISBN 978-3-429-04440-4, 16, 90 EURO.

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