Was bedeutet djihad - der "Heilige Krieg"?

Gegen den Strom

Saddam Hussein behauptet, daß der Irak sich im einem "Heiligen Krieg" befände. Bei einem Teil der Bevölkerungen in anderen arabischen Län­dern findet er damit Gehör, obwohl islamische Gelehrte ihm ausdrück­lich die Berechtigung abgesprochen gaben, diesen Angriff als Legitima­tion für seine Aggressionen zu benutzen. Hier im Westen ist vom Kon­zept des "djihad" kaum etwas bekannt; bestenfalls geistert es als Schreckgespenst durch die Köpfe. Deshalb drucken wir nachfolgend ei­nen Artikel, der sich differenziert mit dem "Heiligen Krieg" auseinandersetzt und der erstmalig unter dem Titel "Der gewaltfreie Halbmond" in der Zeitschrift "Versöhnung..../90" abgedruckt wurde.

 

Eine neue Betrachtungsweise ist erfor­derlich, um kreativ über die Gewaltfrei­heit und dem Islam nachzudenken. Nicht, wie stark der Islam die Gewalt legitimiert, muß gefragt werden, son­dern, wie deutlich sich seine Tradition für Gewaltfreiheit ausspricht. (...)

Der wesentliche Grund dafür, daß der Islam zur Rechtfertigung von Gewalt benutzt werden kann, liegt darin, daß er aktionsorientiert ist. Er hält die Gläubi­gen dazu an, aktiv gegen Ungerechtig­keiten anzugehen. Um besser zu verste­hen, was dies heißt, muß eines der kon­troversesten islamischen Konzepte un­ter­sucht werden: das Konzept der dji­had.

Allgemein als "Heiliger Krieg" um­schrieben, wird der djihad von einigen Muslims als die sechste Säule des Islam angesehen. Unter den muslimischen Rechtsschulen benutzen Kharijites (ab­trünnige Separatisten) den djihad, um ihre Glaubensrichtung der restlichen muslimischen Gemeinschaft im Namen eines transzendenten Idealismus auf­zuzwängen. Sie bestanden darauf, daß der islamische Staat für den Krieg orga­nisiert werden müsse, da der Prophet selbst die meiste Zeit seines Lebens im Krieg verbracht hatte, und sie traten da­für ein, daß Häretiker entweder ge­zwungen würden überzutreten oder das sie durch das Schwert umkommen müs­sten. Der Heilige Koran jedoch sagt da­gegen: "Es soll in der Religion keinen Zwang geben" (II: 256). Tatsächlich wa­ren auch die großen arabischen Erobe­rungen im Wesentlichen politisch und ideologisch begründet. Durch die Be­reitschaft, pluralistische Gesellschaften zu tolerieren, bot der Islam vielen Men­schen im siebten und achten Jahrhundert ein freieres, sichereres und friedlicheres Leben.

Was ist die Bedeutung des djihads? Der Koran sagt: "Bekämpfe für die Sache Gottes jene, die sich bekämpfen. Aber überschreite keine Grenzen; denn Gott liebt nicht die Übertreiber". (II: 190) "Und jene weiter, bis es keine Unruhe oder Unterdrückung mehr gibt und bis Gerechtigkeit und der Glaube an Gott vorherrschen" (II: 193). Der Kampf für die Sache Gottes steht also synonym für den Kampf für Gerechtigkeit.

Djihad also ist das Aufstehen gegen Unterdrückung. Despotismus und Unge­rechtigkeit, wo immer diese vorkom­men, und es wird für die Unterdrückung geleistet, wer immer sie auch sein mögen. Ganz allgemein gesprochen ist dji­had ein "Streben" nach Gerechtigkeit und Wahrheit. Ibn Taymiya legt dar, das der djihad manchmal durch das Herz, manchmal durch die Zunge und manch­mal durch die Hand erreicht wird. Der djihad des Herzens, oder besser der Kampf gegen seine eigene Schwäche und Schuld, wird oft als der "große dji­had" bezeichnet, während der "kleine djihad" gegen äußere Feinde geführt wird. Ibn Taymiya deutet daraufhin, daß es zwei Regeln der djihad "der Zunge und der Hand" gibt: Verständnis und Geduld.

Djihad kann unterschieden werden je nach der Richtung - innen oder außen - oder nach der Methode - mit oder ohne Gewalt. Der innere djihad wird in seiner engsten Auslegung im innern ausgetra­gen. In seiner weiteren Bedeutung kann es ein Streit sein, um das Böse in der ummah (Gemeinschaft) zu beseitigen, oder auch das Bestreben, jenen Teil der Menschheit zu reinigen, der eine spiri­tuelle Führung anerkennt. Kurz: Der dji­had ist das Gebot des Allmächtigen Al­lah und der Traditionen des Propheten Mohammed, das die ständige in dem Sinne verlangt, wie wir Tyrannei und Unterdrückung bekämpfen können, und die Mittel reguliert, die zu Frieden füh­ren und die moralische Verantwortlich­keit aufnehmen.

Das wichtigste ist jedoch, das der djihad Krieg und Gewalt in die Zuständigkeit der Moral verweist. Das Ziel ist es letz­tendlich die "strukturelle Gewalt" zu beenden. Aber die Mittel dazu sind nicht unabhängig, von der moralischen Prüfung. Die Gesetze, die auf der Grund­lage des Koran und der Sunnah entstan­den sind, verbieten Muslims Nicht-Kombattanten zu töten. Nach einem der Hadiths sagte der Prophet: "Töte nicht einen altersschwachen Mann oder ein kleines Kind oder eine Frau; sei nicht unehrenhaft bei der Kriegsbeute, son­dern nimm nur deinen Teil; tue Recht und handle gut, denn Gott liebt jene, die wohl tun!" Die Rede, die der erste Kalif, Abu Bakr, vor seinen Leuten hielt, als er sie zu einer Expedition an der syrischen Grenze schickte, ist sehr aufschlußreich: "Halte ein mein Volk, auf das ich euch zehn Regeln für euer Verhalten auf dem Schlachtfeld geben kann. Verübt keinen Verrat oder verlasst nicht den rechten Pfad. Verstümmelt nicht die Leichen. Tötet weder ein Kind noch eine Frau noch einen alten Mann. Vergreift euch nicht an den Bäumen und brennt sie nicht nieder, besonders jene nicht, die Frucht bringen. Schlachtet des Feindes Vieh nicht ab, sondern geht sorgsam mit euren Vorräten um. Si­cherlich werdet ihr Menschen begegnen, die ihr Leben dem klösterlichen Dienst geweiht ha­ben; laßt sie in Frieden". Bei anderen Gelegenheit schrieb er: "Gott reinigte den Islam und die Moslems von Unbe­sonnenheit und übermäßigen Zorn. Ihr wißt genau, daß jene Feinde in die Hand des Gesandten Allahs (Friede möge mit ihm sein) fielen, die ihn rück­sichtslos und grausam behandelt hatten; die ihn aus seinem Heim vertrieben; und die gegen ihn kämpften, doch deren Ver­stümmelung er nie erlaubte".

Djihad in der weniger wichtigen Be­deutung, im Sinn des Gebrauchs von physischer Gewalt gegen andere, ist durch den Koran und den Hadith einge­schränkt. Die ständige innere und be­deutsamere djihad wird die Art der äu­ßeren djihad bestimmen. Aber wie kann in diesem modernen Zeitalter, wo Kern­waffen vorherrschend sind, der djihad ausgeführt werden?

Inanullah Khan, Generalsekretär der Organisation der islamischen Konfe­renz, machte geltend, daß, obwohl der Islam das Kämpfen erlaubt, der Ge­brauch der Gewalt minimal sein muß. Desweiteren muß die muslimische Kriegsführung so human wie möglich sein. Ein muslimischer Soldat darf nicht wahllos töten. Daraus resultiert, daß Atomwaffen nicht erlaubt sind, denn sie sind Massenvernichtungswaffen und können nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten oder militäri­schen oder zivilen Zielen unterscheiden.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, daß diese Argumentation unvollständig ist. Bestimmte Waffen sind nicht erlaubt, weil sie mit der Art der islamischen Kriegsführung nicht in Einklang stehen. Kernwaffen sind nicht die einzigen, die nicht in der Lage sind zwischen Kom­battanten und Nichtkom­battanten zu unterscheiden. Das 20. Jahrhundert ist als das "Jahrhundert des totalen Krie­ges" charakterisiert worden. Im 1. Welt­krieg wurden 1 Millionen Zivili­sten di­rekt getötet und im 2. Weltkrieg star­ben nahezu 35 Millionen aufgrund der neuen Technologien wie Flächenbom­barde­ment und chemischer/biologischer Kriegsführung. Die Verbrei­tung des Terrorismus hat die Lage noch kompli­zierter gemacht... Die Ziele ihrer An­schläge sind vor allem wehrlose Op­fer.(...)

Wie können Nichtkom­battanten ge­schützt werden, wenn das Niveau der Gewalt so überwältigend ist, daß die Möglichkeit der Unter­schei­dung ver­schwindet?

Der Islam toleriert diesen wahllosen Gebrauch von Gewalt nicht, noch er­laubt er, daß Gottes Schöpfung zerstört wird. Napalm ist ebenso unannehmbar wie die Explosionen in Warenhäusern, die Entführung und das Töten von Gei­seln sowie das Bombardieren ziviler Ziele... Im Rahmen der moralischen Sphäre des Islam sind die modernen Waffen illegitime Mittel...(Die Mittel gewaltfreien Handelns, so der Aufsatz weiter, entsprechen dem, was der Islam heute fordert.)

Dieser Artikel erschien in "Recon­ciliation International", Februar 1988.

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