Gelöbnis und Demokratie

von Manfred Messerschmidt

Der Soldateneid erhielt im 19. Jahrhundert neben seiner Funktion zur Überhöhung der militärischen Dienstpflichten einen zunehmend innenpolitischen Charakter, einmal aufgrund der Erfahrungen mit den französischen Revolutionen von 1789 und 1830, der Revolution in Deutschland 1848/49 und schließlich im konstitutionellen System, weil im preußisch-deutschen Militärstaat befürchtet wurde, das Parlament könne sich zwischen König/Kaiser und Armee stellen. Aus diesem Grund hat der preußische König Friedrich Wilhelm W. sein Versprechen gebrochen, die Armee auf die Verfassung zu vereidigen. Aus diesem Grund auch ist das Wahlrecht im Norddeutschen Bund und im Deutschen Reich so gestaltet worden, dass der preußische Wehrpflichtige seit 1859, und seit den Einigungskriegen 1866/70/71 alle deutschen Soldaten vom Wahlrecht ausgeschlossen blieben. Entsprechend leistete der Soldat auch keinen Eid auf die Verfassung. Im Jahre 1847 hat in Preußen eine Generalkommission für die Beratung eines neuen Dienstreglements formuliert:

"Zur Treue gegen seine Majestät den König ist der Soldat schon als verpflichtet; durch den bei seinem Eintritt in den Militärdienst geleisteten Diensteid aber wird sie für ihn zur heiligsten Gewissenssache gesteigert. Er muss ihr willig Blut und Leben opfern". In der mit kriegsministerieller Autorisation erfolgten Zusammenfassung der Dienstvorschriften der preußischen Armee durch Karl v. Helldorff ist in der 3. Auflage (1873) zu lesen: "Das erste Erfordernis eines jeden Soldaten unserer Armee ist: religiöse Liebe und Anhänglichkeit an den König und Heilighaltung des geleisteten Eides der Treue".

Die Armee der allgemeinen Wehrpflicht durfte nicht auf die Verfassung vereidigt werden, weil sie die Armee des Königs geblieben war. Bis 1918 galt, was Kriegsminister v. Strotha dazu 1849im Abgeordnetenhaus ausgeführt hatte: die Vereidigung sei "gefährlich für das Land, weil diese Handlung zum unsichern Gehorsam und zur Berathung führen, so die militärische Disziplin untergraben und politischen Umtrieben freie Bahn öffnen würde, die das Heer zum Treuebruch führen".

Verfassung und Parlament gingen die Soldaten nichts an. Im Offizierskorps war dies Tradition. Es galt. den Wehrpflichtigen immun zu machen gegen die innenpolitischen Entwicklungen, gegen Liberalismus und Sozialismus, gegen Infragestellung des Dreiklassenwahlrechts und andere Anliegen fortschrittlicher Kräfte. Für dieses Ziel einer unpolitischen Armee eignete sich der Diensteid vorzüglich. Die Eidformel von 1808, die mit unwesentlichen Veränderungen 1831 versehen wurde, galt bis 1918, auch in den nicht-preußischen Kontingenten seit der Einigung, hier allerdings mit Modifikationen, die sich aus der föderalen Struktur ergaben. Bayrische, sächsische und württembergische Soldaten leisteten jeweils ihrem König den Diensteid. Dieser bezog sich primär auf die Kriegsartikel. Die Formel von 1808 lautete:

Ich N.N. schwöre zu Gott dem Allwissenden und Allmächtigen einen leiblichen Eid, dass S.M. dem Könige von Preußen Friedrich Wilhelm III., meinem allergnädigsten Landesherrn, ich in allen und jeden Vorfällen zu Lande und zu Wasser, zu Kriegs- und Friedenszeiten getreu und redlich zu dienen entschlossen bin. Ich will die mir vorgelesenen Kriegsartikel überall befolgen und mich in Ausübung meiner sämtlichen Pflichten jederzeit so betragen, wie es einem ehrliebenden und unverzagten Soldaten eignet und gebühret. So wahr mir Gott helfe. Offiziere leisteten diesen Eid nicht auf die Kriegsartikel, sondern auf die "Kriegs- und Dienstgesetze".

Militärjuristen vertraten die Auffassung, der Eid sei unerheblich für die Pflichten des Soldaten. Entscheidend war die Verlesung der Kriegsartikel. Sinn des Eides blieb mithin, dem Soldaten die Pflichten seines Standes "noch heiliger zu machen".

Dass überhaupt hinsichtlich der Wehrpflichtigen von Angehörigen eines "Standes" gesprochen werden konnte, hing mit der extrakonstitutionellen Position der Armee zusammen. Nach Auffassung der militärischen Führung und des Offizierskorps sollte der Soldat während der aktiven Dienstzeit aus den bürgerlichen Verhältnissen herausgelöst und immun gegen den Zeitgeist gemacht werden. Der Eid auf die Verfassung widersprach diesen Tendenzen. Er gefährdete in ihrer Sicht den "militärischen Geist".

In der Weimarer Republik war aufgrund der Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages ein Berufsheer an die Stelle des Wehrpflichtigenheeres getreten. Offiziere und der 12 Jahre dienende Soldat leisteten gemäß der Verordnung des Reichspräsidenten vom 14. August 1919 den Eid auf die Reichsverfassung. Die Formel lautete:

Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und gelobe, dass ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzten Gehorsam leisten will.

Tatsächlich blieb die Verfassungsloyalität der Reichswehr problematisch. Es ist treffend gesagt worden, Reichswehr und Beamtentum hätten sich primär der "permanenten Identität des Staates", nicht der Staatsform, also der demokratischen Republik, verpflichtet gefühlt. Generaloberst v. Seeckt, die zentrale Figur der Reichswehr, bis 1926 Chef der Heeresleitung, hat selbst erklärt die Verfassung sei für ihn kein "noli me tangere".

Mit Hindenburg, Feldmarschall des Weltkriegs und Chef der 3. Obersten Heeresleitung, stand seit 1925 eine militärische Symbolfigur als Reichspräsident an der Spitze des Reiches, der, beeinflusst von Reichswehrgenerälen - vor allem General v. Schleicher -, das parlamentarische System durch das sog. Präsidialsystem, der Regierung mit Notverordnungen, aushöhlte, trug er mit dazu bei, die NSDAP hoffähig zu machen und berief schließlich Hitler zum Reichskanzler.

Hindenburg, als Reichspräsident zugleich Oberster Befehlshaber der Reichswehr, schafft mit der Verordnung vom 2. Dezember 1933 den Verfassungseid ab: eine Verbeugung vor der neuen Realität:. Die Eidformel lautete nun:

Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich Volk und Vaterland allzeit treu und redlich diene und als tapferer und gehorsamer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.

Dazu passte die Formulierung der am 25. Mai 1934 erlassenen "Pflichten des deutschen Soldaten": Die Wehrmacht ist der Waffenträger des deutschen Volkes. Sie schützt das deutsche Reich und Vaterland, das im Nationalsozialismus geeinte Volk und seinen Lebensraum.

Hitler ließ in Erwartung des bevorstehenden Todes des Reichspräsidenten schon am 1. August 1934 durch das "Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches" das Amt des Reichspräsidenten mit dem Reichskanzleramt vereinigen. Es trat am 2. August in Kraft. Damit wurde Hitler zugleich "Oberster Befehlshaber der Wehrmacht". Eilfertig diente ihm die militärische Führung - Blomberg/Reichen - die neue Eidformel an:

Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.

Eine irgendwie erkennbare Bindung an ethische Normen sah diese Formel nicht vor. Richtschnur sollte allein der Wille des "Führers" sein. Was NS Verfassungstheoretiker zum Grundsatz erhoben, dass alle Vorschriften im NS-Führerstaat einen neuen Sinn erhielten, setzten die Generäle mit dieser Eidformel um. Zwar änderte der Eid wie schon in der Monarchie nichts an der Verpflichtung zum Dienst, aber erzeugte Bindungen, die den Charakter derselben erheblich tangierten. Nunmehr fehlten inhaltliche Konkretisierungen, an denen die Gehorsamspflicht bei allen - wie sich während des Krieges zeigen sollte -, auch bei verbrecherischen Befehlen.

In der Bundesrepublik und in der Bundeswehr wird die Berufsarmee überwiegend abgelehnt. Immerhin war die Reichswehr auf Treue zur Verfassung verpflichtet. Dass ihre Führung Hitler entgegenkam, besagt nichts gegen die Lösung der Berufsarmee. Es waren gerade die Kräfte, die sie durch eine Wehrpflichtarmee .ersetzen wollten, die dann die Abschaffung des demokratischen Systems begrüßten. Sie legten keinen Wert auf eine demokratisch-parlamentarische Verfassung und einen hierauf bezogenen Soldateneid.

Eid des Bundeswehrsoldaten
In der "Wehrpflichtdebatte", an deren Ende das Wehrpflichtgesetz vom 21. Juli 1956 stand, spielte die Erinnerung an die Reichswehr als "Staat im Staate" eine wichtige Rolle. Dieser Rückblick war schief, weil mit ihm unterstellt wurde, eine Wehrpflichtarmee mit dem gegebenen Offizierskorps hätte eine andere Haltung gegenüber der demokratischen Republik eingenommen. Unzutreffend war auch Theodor Heuss` Ansicht, die Wehrpflicht sei das "legitime Kind der Demokratie". In Deutschland war das niemals der Fall.

Für den neuen Wehrpflichtigen waren rechtliche und ideelle Rahmenbedingungen zu schaffen. Theoretisch gelang dies mit dem am 1. April 1956 in Kraft getretenen Soldatengesetz (SG), der Wehrbeschwerdeordnung und weiteren Vorschriften. Das SG normierte den Grundsatz von "gegenseitiger Treue" von Staat und Soldat. Es beließ dem Soldaten die staatsbürgerlicher Rechte (eingeschränkt nur durch gesetzliche Ausnahmen). Der Soldat behielt das aktive und passive Wahlrecht. Er wurde nur dienstlichen Befehlen unterworfen, die die Regeln des Völkerrechts, Gesetze und Dienstvorschriften beachten. Sein Eid, bezogen auf seine Pflicht, "der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volk tapfer zu verteidigen" (§ 9 SG), bindet ihn nicht an Angriffskriegen oder ökonomisch motiviert militärischen Interventionen mitzuwirken. Die Verteidigungspflicht ist seit dem Beitritt der Bundesrepublik auf den Natobereich erweitert worden.

Auch dieser Eid sowie das für Wehrpflichtige vorgesehene feierliche Gelöbnis mit gleichem Inhalt stellen lediglich ein feierliches Bekenntnis dar. Nach den Erfahrungen mit dem Eid der Wehrmachtssoldaten war umstritten, ob wieder ein Eid vorgesehen werden sollte. Traditionalistische Vorstellungen setzten sich durch.

Wenn schon der Eid und das Gelöbnis keine neuen Pflichten begründen, sondern deklamatorischen Charakter haben, ist unverständlich, dass in dieser "feierlichen" Form der Verfassung kein Platz eingeräumt worden ist. Der "Staatsbürger in Uniform" wird also nicht feierlich auf Loyalität zur Verfassung eingestimmt. Das "Recht und die Freiheit des deutschen Volkes" sind im Vergleich dazu unbestimmte Begriffe, die weniger an Demokratie als an nationalen und emotionalen Stimmungslagen orientiert sind oder werden können.

Deshalb wohl hat die Bundeswehrführung immer wieder das Bedürfnis, Eidesleistung und Gelöbnis "feierlich" in der Öffentlichkeit zu zelebrieren.

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Prof. Manfred Messerschmidt - inzwischen emeritiert - war lange Leiter des militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Bundeswehr in Freiburg.