RechtsRock-Szene

Gesänge für einen Führer Europas

von Jan Raabe
Schwerpunkt
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„Vereint im Kampfverband für ein freies Abendland. Europa lebt und wir alle sind die Wächter. Gemeinsam für den Sieg“ - singt die Mönchengladbacher Band ‚Division Germania‘. Die extreme Rechte wird zumeist mit der Ablehnung von Europa assoziiert. Betrachtet man die faschistisch/neonazistische Musikszene, auch RechtsRock-Szene genannt, so ist dies falsch. Europa ist hier ein wichtiger Bezugspunkt, sowohl ideologisch, als auch praktisch. Ideologisch ist es die Orientierung an der Europa-Konzeption der SS und dem Glauben an die „weiße Rasse“.

In den letzten Jahren ersetzt auch der vermeintliche Kampf des Abendlandes bzw. Europas gegen den angeblich aus dem Morgenland „anstürmenden“ Islam ältere Muster. Dieser positive Bezug auf Europa beinhaltet jedoch die Ablehnung der als „Fremdbestimmung“ oder auch als „jüdisch“ diffamierten Europäischen Union und ihrer Institutionen. Mit dem positiven ideologischen Bezug auf Europa geht eine transnationale Praxis der Akteure des RechtsRock aus ganz Europa einher und darüber hinaus. Regelmäßig treten deutsche Bands im Ausland und internationale Bands in Deutschland auf. Deutsche Label veröffentlichen Tonträger internationaler Bands, internationale Label vor allem strafrechtlich relevante CDs deutscher Bands. Im Hintergrund agieren oftmals die transnationalen Netzwerke von ‚Blood & Honour‘ und der ‚Hammerskins‘.  

Ehre und Treue für Europa - ideologische Standpunkte
„Deutschland war dabei neu zu erblühen, das Sterben abzuwenden, das ihm zugedacht.Es begehrte auf gegen die tausend Lügen eines zum Tode verurteilten Europas. Da kamen sie von den Fjorden, aus der Britannie, aus den Wäldern Finnlands, der Champagne und Okzidanien. Von den Bergen der Schweiz, Lichtenstein und den baltischen Ländern. Selbst aus Ungarn, dem Kaukasus, Irland und Großbritannien“ - singt der aus Thüringen stammende Liedermacher ‚Torstein‘, ein Pseudonym des NPD-Funktionärs Torsten Hering. Das es sich hier nicht um Völkerverständigung handelt, wird erst deutlich, wenn er singt: „Was sie verband, war der Glaube in ihren Herzen, die Ideale, Treue, Ehre und Tapferkeit. Die Sehnsucht nach der Freiheit und die Bereitschaft dafür zu sterben. Sie waren Europas Freiwillige“. „Unsere Ehre heißt Treue“ war der Wahlspruch der Freiwilligen- und Bekenntnis-Truppe SS. Das Lied ist eine Hommage an die Soldaten der Mordtruppen der sogenannten ‚germanischen Divisionen‘ der SS. Jenen Truppenteilen, wie der ‚Division Wiking‘, der ‚Standarte Nordland‘ oder der ‚Division Charlemagne‘, in denen Freiwillige aus diversen europäischen Ländern kämpften. Die in dem Lied präsentierte nationalsozialistisch geprägte ‚Nation Europa‘ ist bis heute Bezugspunkt großer Teile der RechtsRock-Szene. „Solange ich noch atme, bleibt mein Europa weiß“ sang die Bremer Band ‚Endlösung‘ im Lied „Mein Europa“. Die neonazistische Band sieht in ‚Europa‘ eine ‚rassisch‘ homogene Einheit, die dem „Morgenland“ entgegengesetzt wird. Wenn die Mönchengladbacher Band ‚Division Germania‘ angesichts des Kampfes der europäischen Länder gegeneinander im II. Weltkrieg singt, „Nie mehr Bruderkrieg“, so ist der Begriff „Bruderkrieg“ Ausdruck des Glaubens, das die „Völker Europas“ eigentlich zusammengehören und der I. und II. Weltkrieg Resultate jüdischer Hetze seien. In historischer Kontinuität werden jüdische Menschen aus dem Kollektiv „Europa“ ausgeschlossen. Großen Teilen des RechtsRock gilt Europa heute als Bollwerk gegen den Islam. Im Lied heißt es dazu: „Von der drohenden Islamisierung werden wir uns selbst befreien“. Das Feindbild Islam hat das des „Ausländers“ oder „Fremden“ abgelöst.

Und das nicht nur im neonazistischen Bereich des RechtsRock, sondern auch bei den Interpreten, welche der sog. „Neuen Rechten“ zugerechnet werden. Das musikalische Sprachrohr der „Identitären Bewegung“, der Rapper ‚Komplott‘ aka Patrick Bass, fordert in seinem Lied: „Europa weint, Europa schreit nach dem Ende der Wende. Es ist an der Zeit zum Verteidigen des Eigenen. Macht euch bereit und reicht euch die Hände in Einigkeit“. Europa sei bedroht, denn „unsere Gegner vernichten die ethnokulturelle Kontinuität“. „Ethnokulturell“ ersetzt dabei den stigmatisierten Begriff der ‚Rasse‘. Wer dieser imaginierte Gegner ist, der Europa bedroht, wird konkret nicht benannt, kann sich aber über die Textzeilen, „was Karl Martell und Prinz Eugen im blutigen Kampf zerschlugen, drängt heute aufs Neue darauf, unser liebes Land zu fluten“, erschlossen werden. Der Sieg Karl Martells bei Poitiers 732 über die Araber wird zum Sieg über die Projektion Islam, das neue zentrale Feindbild dieser Szene.

Der positive Bezug auf „Europa“ geht in dieser Szene mit einer strikten Ablehnung der Institutionen der Europäischen Union und des Europaparlaments einher. „Der Traum von Frieden und Einigkeit unter eine Fahne gebracht. Doch darauf die falschen Zeichen und dahinter die falsche Macht. Eine Macht, der das Geld gehört“, sang die aus dem Raum Stuttgart kommende Band ‚Carpe Diem‘ in ihrem Lied „Europa – Jugend – Revolution“. Mit dem Lied nahm die Band an der "European Revolution Tour“ teil, welche sie zusammen mit Bands aus den Niederlanden, Frankreich und Italien durch mehrere Länder führte. Dem ideologischen Bezug auf Europa folgt eine entsprechende Praxis.

Zwischen Volksmusik und Black-Metal - nationale Besonderheiten
Mindestens 650 neonazistisch/faschistische Konzerte und Liederabende haben die AktivistInnen des Bielefelder Vereins Argumente & Kultur gegen Rechts im Jahr 2018 in ganz Europa gezählt. Da viele dieser Veranstaltungen im Untergrund stattfinden und das Forschungsfeld unübersichtlich ist, dürfte die tatsächliche Zahl wesentlich höher sein. Die meisten der neofaschistischen Musikveranstaltungen fanden in Deutschland, sehr viele auch in Italien, Ungarn und auch Finnland, Polen und der Ukraine statt – deren Szenen jeweils bemerkenswerte nationale Besonderheiten aufweisen. Italien verfügt über eine lange faschistische Tradition gerade im kulturellen Bereich, das drückt sich heute in einer starken faschistischen Musikszene aus. Die ungarische Szene vermischt musikalische Elemente der Popularkultur mit Elementen  traditioneller Musik. In Finnland ist mit dem Black-Metal ein besonderer Musikstil wichtiger Träger extrem rechter Ideologie.

National existieren unterschiedliche Rahmenbedingungen für die Aktivitäten der RechtsRocker. Beispielsweise bezüglich der Gesetzgebung, der Gegenkräfte der Zivilgesellschaft und der Aufmerksamkeit der Behörden. Deutsche Bands lieben es, im Ausland aufzutreten. Auf Grund der unterschiedlichen Gesetzgebung und vor allem des oftmals geringeren Problembewusstseins können sie dort ungefährdet volksverhetzende Lieder singen und Hakenkreuzfahnen hissen. Vereinzelt wird das auch auf Konzerten in Deutschland gemacht, jedoch nicht in der Offenheit und in dem Umfang wie in vielen anderen Ländern. Manchmal sind es aber auch andere, gänzlich unpolitische Faktoren, die die RechtsRock-Szene zu  grenzüberschreitenden Aktivitäten motiviert. So waren es lange Jahre die niedrigen Bier- und Essenspreise, die deutsche RechtsRockerInnen in die benachbarte Tschechische Republik zogen.  

Jenseits des Nationalismus?
Angesichts der Orientierung an der Ideologie einer Überlegenheit einer vermeintlichen „weißen Rasse“ und/oder dem Nationalsozialismus ist ein transnationales Agieren der RechtsRock-Szene nicht verwunderlich. Internationale Bands freuen sich über Einladungen nach Deutschland, ist die Szene hier doch größer und die Konzerte sind ein intensiveres Erlebnis als Zuhause. Mindestens 35 Mal standen extrem rechte Bands oder LiedermacherInnen aus dem Ausland in 2018 in Deutschland auf der Bühne. Darunter angesagte Bands der europäischen RechtsRock-Szene wie die italienische NS-Hardcore-Band Green Arrows, die am 29.09.2018 ihre neue CD in Zittau präsentierte, der russische Liedermacher Russkiy Styag, der am 3.10.2018 im Rahmen eines Friedensfest der "Deutsch-russischen Friedensinitiative europäischen Geistes" gegen die US-Luftwaffenbasis in Ramstein unter dem Motto "Ami go home" auftrat, Feher Törveny aus Ungarn am 2.11.2018 beim Schild und Schwert-Festival im sächsischen Ostritz, Mistreat aus Finnland stand am 7.04.2018 im thüringischen Kirchheim auf der Bühne und die ukrainische Band Sokyra Peruna am 17.11.2018 im sächsischen Torgau. Die Liste könnte fortgesetzt werden.

Der transnationale Austausch beschränkt sich nicht auf Europa. Im Jahr 2018 gingen die japanischen Bands The Hawks und Aggroknuckle in Deutschland für mehrere Konzerte auf Tour, die australische Band Fortress trat am 25.08.2018 in Torgau auf und waren Headliner des verbotenen „Rock gegen Überfremdung III.“ am Tag darauf.

Hand in Hand über Grenzen hinweg
Ca. 5000 TeilnehmerInnen kamen am 15. Oktober 2016 im Schweizer Unterwasser zu einem konspirativ organisierten Konzert zusammen. An der Organisation und der Durchführung des Konzerts waren Neonazis aus einer Reihe von Ländern beteiligt: Arbeitsteilig mieteten sie die Räume, organisierten die Security, managten Bierausschank und die Betreuung der Technik. Solche Konzerte offenbaren, dass diese Szene nicht aus desorientierten Jugendlichen, sondern aus hochgradig transnational vernetzten AktivistInnen besteht. Diese Akteure haben sich vor allem in zwei Netzwerken organisiert, dem 1987 in England gegründeten ‚Blood & Honour‘ (B&H) und den der aus Texas kommenden ‚Hammerskins‘. Über Jahre organisierte vor allem B&H in Europa die großen und die transnationalen Konzerte. Das Netzwerk verfügt(e) über Strukturen in vielen Ländern, in einigen ist es verboten - in Deutschland seit 2000. Wie in anderen Ländern auch, endeten jedoch auch hier die Aktivitäten nicht mit dem Verbot, sondern setzen sich bis heute fort. Die Dimension und Stärke des B&H-Netzwerkes in Europa verdeutlichte eine im Dezember 2016 auf der Website von ‚Blood & Honour Hungary‘ veröffentlichte Liste mit 27 für das Jahr 2017 von den nationalen Divisionen des Netzwerkes geplanten Konzerten. Diese sollten in den Niederlanden, Großbritannien, Ungarn, Frankreich, Schweden, Slowenien, Italien, Portugal, Kroatien, Belgien, Bulgarien und auch Deutschland stattfinden. Und das oftmals trotz Verbot. Als der „bewaffnete Arm“ von B&H entstand, Combat 18, dessen zum Rechtsterrorismus aufrufende Strukturen sich inzwischen verselbstständigt haben und in einer Reihe von europäischen Ländern aktiv sind.

In den letzten Jahren nimmt, gerade in Deutschland, die Bedeutung des Netzwerks der ‚Hammerskins‘ zu. Dessen stark abgeschottete Struktur agiert streng hierarchisch als „Bruderschaft“. Noch schwerer als bei B&H ist deren Reichweite einzuschätzen. Auch dieses Netzwerk ist jedoch in der Lage, Konzerte mit weit über 1000 TeilnehmerInnen aus ganz Europa verdeckt zu organisieren.

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Jan Raabe ist Sozialpädagoge. Seit mehr als 25 Jahren analysiert er im Rahmen ehrenamtlichen Engagements für den Verein ‚Argumente und Kultur gegen Rechts‘ die Entwicklungen in der extremen Rechten: Sein besonderer Focus liegt auf Musik und Jugendkultur in der extremen Rechten.