Deutscher Seelenfrieden

Heers Kritik an der neuen Ausstellung zum Vernichtungskrieg

von Johannes Klotz

Verbrechen und Täter aus dem Blickfeld des öffentlichen Bewusstseins zu nehmen, geht nicht einfach so; dafür braucht man bestimmte Mittel: literarische, publizistische, politische. Was vor 1945 angeblich keiner wusste, sollte im Nach-Hitler-Deutschland bald nach den Nürnberger Prozessen verschwinden: die Verantwortlichen für Verbrechen, Krieg und Vernichtung zur Rechenschaft zu ziehen. "Jedermann" sehnte sich nach Entlastung, leugnete, verdrängte und vergaß. Sind wir heute wieder soweit?

Die Deutschen, die erst 50 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges begonnen hatten zu begreifen, dass mit den Begriffen Auschwitz und Treblinka das Ausmaß der Schuld nur unzureichend beschrieben war und sie in Zukunft die Torturen der Zwangsarbeiter, die Verfolgung der Juden in der Heimat, die Mordtaten der Polizeibataillone und die Verbrechen der Wehrmacht in ihr Geschichtsbild einbeziehen müssten, "verwandeln sich mit einem Mal in ein Volk von Opfern". Das ist der rote Faden von Hannes Heers Untersuchung. Ihm ist es gelungen, von 1945 bis zur Gegenwart eindrucksvolle literarische Beispiele zu liefern für ein "Verwischen der Spuren", über das "Schweigen des Hauptmanns Jünger" - im Zivilberuf hoch geehrter deutscher Schriftsteller - zur gefährlichen Metapher von der "Mitschuld der Juden", um am Ende Jörg Friedrichs unsägliches Buch "Der Brand" einzuordnen in eine "Strategie des Vergessens", die den Holocaust gleichsetzt mit dem Bombenkrieg der Alliierten.

Alle reden, so Hannes Heer, von der gezielten Auslöschung der deutschen Städte durch angloamerikanische Luftflotten, erregen sich über die unermesslichen Leiden der Vertriebenen und anonyme Berichte von Vergewaltigungen durch die Rote Armee. Nicht etwa, dass diese nicht als historische Realität anerkannt werden müssten. Doch ziele diese neue "Geschichtsbewegung" nicht einfach auf Recht und mindestens Wiedergutmachung. Hierin komme ein neues Selbstverständnis zum Tragen, das eigene Mitwirkung nicht mehr thematisiert. Damit aber verkehre sich die Perspektive, die mit den Klemperer-Tagebüchern, dem Buch von Daniel J. Goldhagen und der ersten Wehrmachtsausstellung ausgelöst worden sei.

Das Verdienstvolle und zugleich provozierende der Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" war es gewesen, den Einzelnen verantwortlich zu machen dafür, was er tat oder unterließ. Blicken wir auf das Jahr 1997 zurück: Damals sah Jan Philipp Reemtsma, der Leiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das beide Wehrmachtsausstellungen entwarf, die Bereitschaft vieler Deutscher zu akzeptieren, was zu Vernichtungskrieg und zu Wehrmachtsverbrechen letztlich führte, nämlich die Einsicht, dass während der NS-Zeit "die Obsession, die jüdische Bevölkerung Europas als ein Problem zu sehen, das gelöst werden müsste, äußerst verbreitet gewesen ist (...) und dass der Kreis derjenigen, die zur Mittäterschaft bereit waren, weit größer war, als zuvor angenommen". Reemtsma hatte den Tatbestand des Missbrauchs von Auschwitz zur Auslöschung der Erinnerung an den Judenmord im Vernichtungskrieg als "eine Unsichtbarmachung durch Beleuchtung des Extrems" bezeichnet. Deshalb hatte die erste Ausstellung die "potenziellen Verbrechen des Jedermann, Verbrechen von jedermanns Mann, Vater, Bruder, Onkel, Großvater" thematisiert.

Diese Aussagen und die Aussagefähigkeit der Bilder der ersten Wehrmachtausstellung sieht Heer in der neu konzipierten zurückgenommen; im medialen Konsens vermutet der Autor die Absicht zu revidieren, was unter seiner Leitung in den Mittelpunkt gerückt war: die Verantwortung des einfachen Landsers für die Mordtaten und die unterschiedlichsten Formen ihrer Beihilfe. Nebenbei bemerkt: Es ist suspekt, wenn - wie in der jüngsten Ausgabe des Mittelweg 36, der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung - behauptet wird, die erste Ausstellung sei (eher) einem politischen Anliegen verpflichtet gewesen und die zweite stärker dem "wissenschaftlichen Diskurs".

Zu hinterfragen ist alleine die Behauptung des Autors, ob die neue Ausstellung die Darstellung der historischen Realität "völlig entschärft" hat, "Taten ohne Täter" zeige, dass der Vernichtungskrieg zwar stattfand aber niemand dabei gewesen sei. Dem Autor ist es jedenfalls gelungen, die unscheinbaren Verschiebungen des geistigen Klimas in Deutschland in einen Kontext zu stellen, der einen erschauern lässt. Denn wir haben es mit Revisionen zu tun, die entsprechende Richtungsänderungen in Erinnerung an die NS-Zeit anzeigen

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.200/ Seite 9, 30.08.2004

Hannes Heer: Vom Verschwinden der Täter. Der Vernichtungskrieg fand statt, aber keiner war dabei. Aufbau-Verlag, Berlin 2004. 395 Seiten, 22.90 Euro.

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