Iran-Irak

Irans Politik gegenüber dem Irak nach Saddam Hussein

von Ali Fathollah-Nejad

Obwohl Teheran lange Zeit eine von Schiiten dominierte Regierung im Irak unterstützt hat, ist es dennoch kurzsichtig, von einer schiitischen Außenpolitik zu reden.

Nach den US-geführten Invasionen in Afghanistan (2002) und im Irak (2003) fand sich Iran an seinen östlichen und westlichen Flanken umzingelt von US-Truppen und großen Militärbasen. Im Osten sah Iran die USA fest in Afghanistan etabliert mit drei großen Militärbasen, von denen sich eine bei Herat, nahe der iranischen Grenze befindet. Und im Westen hatten die USA rund 150.000 SoldatInnen im Irak stationiert. In Staaten am Persischen Golf wie Kuwait, Bahrain und Katar etablierten die USA mit Basen und ihrer Fünften Flotte Kontrolle über den Persischen Golf und das Arabische Meer. Zudem hat Washington enge militärische Beziehungen zu – und in einigen Fällen Basen in – einer Reihe von Ländern im Norden und Osten Irans aufgebaut.

Diese massive US-Militärpräsenz verschärfte Irans Sicherheitsproblem, wenn man bedenkt, dass es schon vor dem 11. September 2001 US-Militärbasen v.a. in verschiedenen Ländern des Persischen Golfs gab. Als die israelische Rhetorik gegenüber Iran schärfer wurde, begann für Iran eine Ära eines bislang nicht gekannten Sicherheitsdilemmas, das eine „Belagerungsmentalität“ in Teheran schuf.

Irans Doppelstrategie gegenüber dem besetzten Irak
Es kann behauptet werden, dass in der iranischen Außenpolitik ein modus operandi gefunden wurde, der versucht, das potenzielle Handicap einer Vielzahl ideologischer Quellen (vor allem Islamismus, Nationalismus, aber auch Tiers-Mondismus) in eine Chance zu verwandeln, eine möglichst effektive Außenpolitik zu betreiben. Iran hat dies getan, indem er das Prinzip der Betonung bestimmter ideologischer Elemente anwandte, um seinen außenpolitischen Zielen gerecht zu werden. So benutzt Iran jede dieser dominanten Ideologien in bestimmten Gebieten seiner Außenpolitik. Zum Beispiel ist die Politik Irans gegenüber seinen unmittelbaren Nachbarn in Westasien, besonders dem Irak, aber auch in Zentralasien und Afghanistan, pragmatisch ausgerichtet. Dabei liegt die Betonung auf territorialer Integrität, nationaler Souveränität und ökonomischer Entwicklung. (1)

Irans Interesse am Nachbarland Irak muss im Lichte seiner eigenen regionalen Ambitionen wie auch im Kontext des Konflikts mit den USA gesehen werden, die den Irak im März 2003 besetzten und dort eine feste Militärpräsenz etablierten. Neben dem oben erwähnten ‚Sicherheitsdilemma‘ hat der Sturz des Regimes von Saddam Hussein auch Hoffnungen in Teheran geweckt, weil die Bedrohung durch konventionelle und Massenvernichtungswaffen beseitigt wurde. Das Interesse Irans war, sicherzustellen, dass es nie wieder zu einer solchen Bedrohung durch den Irak kommen könnte, weder durch irakische noch durch US-Streitkräfte. „Der Iran möchte den Irak relativ schwach und in einer abhängigen Beziehung halten. Der Irak will seine Beziehungen mit Teheran mit seiner Partnerschaft mit den USA austarieren und gleichzeitig maximale Autonomie von beiden erreichen.“ (2)

In jüngerer Zeit wurde der Irak zum Schlachtfeld für die regionale Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien.

Gegenüber dem Irak nach der Invasion entwickelte Iran eine Doppelstrategie: Erstens, mit dem Ziel, die US-Kontrolle des Iraks zu erschweren, um Washington von einem Angriff auf Iran abzuhalten. Zweitens, einen ‚demokratischen‘ politischen Prozess im Irak zu unterstützen, der schließlich zu einem Teheran-freundlichen, von Schiiten dominierten Staat führen würde. Zu diesem Zweck forderte der Groß-Ayatollah Ali al-Sistani vom Obersten Rat für die Islamische Revolution im Irak (seit Mai 2007 umbenannt in Oberster Islamischer Rat für den Irak) seine schiitischen MitbürgerInnen auf, von Widerstand gegen die US-Besatzung abzusehen. Gleichzeitig erließ er eine Fatwa, die die Idee einer von US-VertreterInnen entworfenen neuen Verfassung ablehnte und sich für ein System ‚ein Mann, eine Stimme‘ aussprach, das zu einer von Irakern geschriebenen Verfassung führen sollte.

Der Sinn dieser neuen offensiven Haltung Irans – im Unterschied zu der defensiven nach der US-Invasion in Afghanistan – wurden von iranischen Strategen unterschiedlicher Couleurs geteilt. Die neue Denkrichtung gab vor, dass „Amerika gezwungen werden könnte, an den Verhandlungstisch zu kommen, nur wenn ihm bei Zuwiderhandlung Kosten aufgezwungen werden würden.“ (3)

Die neue Strategie wurde durch eine neue Doktrin gestützt, die Glaube, Hingabe, Volksmobilisierung und die Nutzung von Alliierten außerhalb der Grenzen Irans betonte. Sie wurde zur Blaupause für die iranische Verteidigungsstrategie in den benachbarten Ländern Afghanistan und dem Irak. So bekamen die Revolutionsgarden die Macht, die Grenzen zu sichern (was bis dato Aufgabe der regulären Streitkräfte war), und ihr ausländischer Arm, die Al-Quds-Brigade, wandte sich dem Irak zu.

Wie schon erwähnt, verfolgte Iran im von den USA besetzten Irak die delikate Strategie, sowohl die von Schiiten geführte und auch von Washington gestützte Regierung in Bagdad zu unterstützen, als auch den Widerstand schiitischer Gruppen gegen die Besatzung am Leben zu erhalten. Das forderte die US-Besatzungsmacht gleichzeitig heraus, aber nicht bis zu dem Punkt, dass das Überleben der Regierung in Bagdad gefährdet worden wäre. Zu diesem Zweck lieferte Iran politische, wirtschaftliche und finanzielle Unterstützung an die irakische Regierung, während er die mächtigste bewaffnete Widerstandsgruppe, die Mahdi-Armee – die von dem jungen schiitischen Kleriker Muqtada al-Sadr geführt wurde, dessen Clan ideologische Verbindungen zu Iran unterhält – unter politischer Kontrolle hielt. Während unmittelbar nach der Invasion der Kampf der Sadristen  gegen die Besatzungsmächte von Iran unterstützt wurde, musste gegen Mitte der 2000er, als die US-Besatzung immer mehr den Boden unter den Füßen verloren hatte, die wachsende Kraft des sadristischen Widerstands gezähmt werden, um das Überleben der befreundeten Bagdader Regierung nicht zu gefährden. Vor Ende des Jahrzehnts lösten sich diese Widersprüche auf, als die Sadristen sich schließlich dem politischen Prozess im Irak anschlossen.

Imperiales Teile-und-Herrsche
Trotz der unbestreitbaren Tatsache, dass in den 2000er Jahren eine historisch noch nie dagewesene Stärke politischer Macht von Seiten der Schiiten zum Vorschein kam, gibt es verschiedene Probleme und Widersprüche in der oftmals unwidersprochenen Behauptung einer zentralen Rolle einer iranischen auf dem Schiitentum beruhenden Geopolitik.

Die Selbstdarstellung der Islamischen Republik Iran als einer ‚schiitischen Macht‘ fand ihr Echo in der anti-iranischen Front, die das geopolitische Bild eines ‚schiitischen Halbmondes‘ von Beirut bis an den Persischen Golf zeichnete. Dieses Bild wurde zuerst von König Abdullah von Jordanien 2004 ins Feld geführt. Es wurde in das außenpolitische Denken der USA durch Vali Nasrs Buch The Shia Revival (2006) als einen die Region dominierenden Schlüsselkonflikt kraftvoll injiziert, während andere, noch alarmistischer, den Schemen eines drohenden „schiitischen Imperiums“ an die Wand malten. Gemeinsam haben alle diese Konzepte, dass sie den schiitischen Faktor als das zentrale Erklärungsmuster für Irans nachrevolutionäre Außenpolitik darstellen, bei der es um die Schaffung und Ausbeutung der Trennlinie zwischen Sunniten und Schiiten ginge, um die eigenen regionalen Hegemoniebestrebungen zu befördern. Diese Sichtweise hat mit dem Anwachsen des Konfessionalismus in der Region, die vor allem eine Folge der US-geführten Besatzung des Iraks seit 2003 war, an Gewicht gewonnen. Trotzdem ist diese Trennlinie eher ein Mythos, da religiöse Unterschiede politisiert wurden. Die Herrscher von Jordanien und Ägypten (der frühere Präsident Hosni Mubarak) haben solche Trennungen aktiv hervorgehoben, um mehr finanzielle Unterstützung von den USA für den Kampf gegen das angeblich ‚anti-amerikanische Schiitentum‘ zu erhalten. Diese Situation wird sich in absehbarer Zeit kaum ändern, da die Politik sich auf beiden Seiten der angeblichen Trennlinie sehr verfestigt hat. Diese eben genannte Lesart entspricht der dominanten in Teheran, die die Rivalität zwischen Sunniten und Schiiten eher im Rahmen größerer geopolitischer Konflikte sieht. Diese sind zuallererst charakterisiert durch ein imperiales „Teile-und-Herrsche“ seitens der USA, aber auch durch die Rivalität zwischen Iran und Saudi-Arabien nach 2003. So hat Teheran, in einer vorwiegend dem Realismus zuzurechnenden Denkweise, sich für einen vereinigten Irak ausgesprochen, der auf einer angemessenen Vertretung der verschiedenen Ethnien des Landes basieren sollte. Aber wie die Krise, die den Irak Mitte 2014 heimgesucht hat, zeigt, wurde dies nicht erreicht. Stattdessen versagte die Regierung Nouri al-Malikis dabei, die Sunniten in den politischen Prozess zu integrieren, was in vielen Teilen der irakischen Gesellschaft Unzufriedenheit hervorrief, was wiederum den Nährboden für die Unterstützung der Terrmiliz IS(IL) schuf

Darüber hinaus ist Irans ‚schiitischer geopolitischer‘ Arm im benachbarten Irak, wo Schiiten die Mehrheit stellen, beschränkt. Einer der Hauptprobleme hier hat mit dem Anspruch auf Führerschaft innerhalb des Schiitentums selbst zu tun. Als ein vorwiegend schiitisches Land, in dem die schiitische Geistlichkeit nach der Revolution von 1979 die Staatsmacht erlangte, sieht sich die Islamische Republik selbst als unangefochtenes Zentrum der schiitischen Welt. In dieser Welt nimmt der Irak – Heimstätte der einflussreichen schiitischen Theologie-Schulen von Najaf und Karbala – nur die Position einer Peripherie ein, vor allem weil die schiitische Geistlichkeit nicht über die Macht im Staate verfügt. Doch der iranische Anspruchwird von irakischen schiitischen Gelehrten auf dieser Basis nicht anerkannt.

 

Anmerkungen
1 Posch, Walter (2013) Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus: Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird, SWP-Studien, Nr. 2013/S 04 (März). Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin

2 Al-Khoei, Hayder (2013) Iraq and Iran. In: Spencer, Claire; Kinninmont, Jane & Sirri, Omar (Hrsg.) Iraq Ten Years On. Chatham House, London, S. 41

3 Parsi, Trita (2007) Treacherous Alliances: The Secret Dealings of Iran, Israel and the United States. Yale University Press, New Haven, S. 256

 

Der Artikel ist ein Auszug aus dem Beitrag „Iran’s Policy Towards Post-Saddam Iraq“, in: Orient. Deutsche Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und Kultur des Orients, Nr. IV/2014, S. 29-37. Siehe auch dort für einen umfassenden Apparat von Verweisen. Übersetzung: Christine Schweitzer

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