Beispiel für lokale Aktivitäten

Kein Frieden ohne soziale Gerechtigkeit

Die Friedensgruppe Ober-Ramstadt hat im März als Reaktion auf die bundes­weite Postwurfsendung der "Deutschen Volksunion (DVU)" an alle Mitbürger und Mitbürgerinnen in ihrer Stadt folgenden offenen Brief geschickt:

"Mit einer zweiten aufwendigen Post­wurfsendung will die Deutsche Volksunion (DVU), eine jener neuen oder scheinbar neuen politischen Bewegun­gen am rechten  Rand unseres politi­schen Spektrums, über ihre Einschät­zungen zur gegenwärtigen Situation und ihre Vorschläge zur zukünftigen Veränderung informieren. Diejenigen unter Ihnen, die diese Schriften ge­nauer ansehen, finden in ihnen un­zweideutig ein Gedankengut wieder, das Abermillionen von Menschen Tod und leidvolle Erfahrungen gebracht hat, die auch heute, 50 Jahre nach Be­ginn des zweiten Weltkrieges, noch nicht überwunden sind. Dieses Gedan­kengut "lebt" von übersteigertem na­tionalen Egoismus, ja nationaler Überheblichkeit und von der Fiktion, Schuld an der Krisenhaftigkeit der globalen wie der nationalen Situation hätte Minderheiten in unserem Land wie Ausländer, die im beruflichen Alltag unsere Kolleginnen und Kolle­gen sind, oder die mit der Hoffnung auf Überleben, auf etwas mehr als das nackte Überleben bei uns Zuflucht su­chen.

Wie müssen eingestehen, jene erste ausländerfeindliche Postwurfsendung in falscher "Großzügigkeit" einfach in den Papierkorb geworfen und viel zu wenig Sensibilität dafür gehabt oder entwickelt zu haben, wie die darin ent­haltenen Aussagen insbesondere auf unsere ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger  wirken, die z. T. in unmittelbarer Nachbarschaft zu uns wohnen. Die Mauer des Schweigens und des Geschehenlassens, die weiter zu wachsen droht und von unseren Mitmenschen als zunehmend bedroh­lich empfunden werden muß, wollen wir mit unserem Brief versuchen zu durchbrechen:

  • Frieden, politischer Frieden, ist letzt­lich ohne soziale Gerechtigkeit nicht möglich. Verträgliches Zusammenle­ben der Menschen wie der Völker ist aber auf Unteilbarkeit angewiesen: Bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder ganze Völker auszugrenzen und ihnen Gerechtigkeit vorzuenthalten, kann nur dazu führen, daß die Aus­grenzenden ihre Privilegien sichern und mit Gewalt, letztlich mit militäri­scher Gewalt, verteidigen.
  • Wir bejahen die Anwesenheit unse­rer ausländischen Mitmenschen: Als sogenannte Gastarbeiter haben sie jahrelang, jahrzehntelang unseren ge­samten Wohlstand mit vermehrt, je­doch beschämenderweise nicht voll­gültig am politischen Leben teilneh­men können.
  • Wir bejahen die Anwesenheit unse­rer ausländischen Mitmenschen: Als Asylsuchende oder bei uns im Asyl Lebende sind sie nicht zu uns gekom­men, um ein schönes, sonniges Leben in ihrer Heimat gegen ein angeblich rosiges in unserem Land einzutau­schen.
  • So, wie sich ein jeder von uns soge­nannten Einheimischen sehr schwer täte, die Vertrautheit mit Menschen, Natur und Kultur für eine totale Ungewißheit aufzugeben, sind es meist bitterernste politisch-wirtschafliche Situationen, die Menschen in anderen Ländern zwingen, auszuwandern oder gar zu fliehen.
  • Eine gute Antwort auf die bei uns und in aller Welt drängenden Pro­bleme zu finden, wird unserem Land nicht gelingen, wenn wir uns nicht der ganzen Realität mit all unseren Sinnen stellen: Es kann nur dann einigen Leuten oder Völkern besser gehen als anderen, wenn es eben diesen anderen Leuten oder Völkern schlechter geht.
  • In vielfacher Hinsicht leben wir in unserem reichen Land auf Kosten an­derer - am deutlichsten kann das ein jeder an den z.T. "unglaublich" billigen Produkten erkennen: So billig können diese nur sein, weil entweder die menschliche Arbeit völlig ungerecht entlohnt wird (z.B. in der einheimi­schen Landwirtschaft, in den Planta­gen in Südamerika) oder die Pro­duktpreise - entgegen dem Verursa­cherprinzip - keine Anteil für die Ent­sorgung beinhalten (Entsorgungspro­blematik schwer abbaubarer Stoffe und Strahlungen):
  • Eine Mitschuld unseres Landes an der wirtschaftlich-politischen Situation zumindest einiger Länder, aus denen Gastarbeiter und Asylsuchende zu uns kommen, läßt sich nicht widerlegen, sie läßt sich höchstens leugnen und verdrängen. Mit der historischen Erfahrung, daß Deutsche vor rund 50 Jahren in vielen anderen Ländern Asyl erhalten haben, gibt es also ein zweites zwingendes Gebot, alle Möglichkeiten bei uns auszuschöpfen, Asyl zu gewäh­ren. Ein Mißbrauch des Asylrechts legitimiert zwar Verfahren der Über­prüfung, kann aber niemals eine Beschränkung elementarer Menschen­rechte rechtfertigen.
  • Notlagen führen dazu, daß Menschen aus anderen Ländern um Asyl bitten - die Not dieser Menschen zu lindern kann nur eine Notlösung sein, weil allein durch die Gewährung von Asyl die Ursachen für das Begehren nicht be­seitigt werden können. Vonnöten sind daher nicht nationale Lösungen - sie sind fragwürdig, können letztlich nicht "funktionieren" wegen der vielfachen weltweiten Verflechtungen-, sondern lokale Schritte nach Kriterien globaler Verträglichkeit.

Verträglichkeit menschlichen Han­delns - das bedeutet möglichst gutes Auskommen mit unserer gesamten und belebten und unbelebten Umwelt. Eine Verletzung dieses Gebots hat unweigerlich den Verlust der eigenen Bekömmlichkeit zur Folge. Die Zei­tungen sind täglich voll davon, daß verschobenen Probleme bestenfalls nur kurzfristig Erleichterung schaffen, weil sie in der Regel in vergrößertem Maß­stab auf uns zurückkommmen, auf uns oder unsere Kinder und Enkel. Wir haben nur die eine Erde, auf der wir leben können, und sie wird gewisser­maßen täglich "kleiner", weil die Be­deutung von Entfernungen ebenso ab­nimmt wie die Ausbreitung der Probleme zunimmt.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, eine Lösung für die aufgezeigte Pro­blematik haben wir nicht, schon gar nicht in dem Sinnen eines Verfahrens, das schnellstens mehrheitsfähig ist und umgesetzt wird. Aus Kenntnis unserer eigenen Verstrickung in unsere von der Dominanz des Ökonomischen ge­prägten Lebensweise fühlen wir uns verpflichtet, nach Wegen aus der Ge­fahr zu suchen und die uns möglichen Schritte zu gehen. Die Anwesenheit von Ausländern in Not ist für uns eine Chance, eine bewährte Verhaltens­weise wie die des Teilens neu zu ler­nen. Nur so werden wir am überfälli­gen Umbau mitwirken und die Skan­dale im eigenen Land beseitigen kön­nen."

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