Konflikte als Chance für gesellschaftliche Veränderungsprozesse erfahrbar machen

Kommunale Konfliktberatung

von Hauke Steg
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Im Bergviertel eskaliert ein Konflikt zwischen Jugendlichen und der Polizei regelmäßig und schaukelt sich immer wieder hoch. Die Polizei fühlt sich bei manchen Einsätzen sogar bedroht. Die Jugendlichen erleben wiederum die Polizei als Bedrohung und fühlen sich diskriminiert. Was hilft? Eine Stärkung der ordnungspolitischen Seite durch mehr Polizeipräsenz? Ein neuer Jugendtreff und Streetwork? Oder etwas ganz anderes?

Dieses Beispiel illustriert eine von vielen möglichen Ausgangssituationen, in denen eine externe Konfliktberatung angefragt werden kann. „Konflikte“ wirken auf viele Menschen einschüchternd und sie werden oft mit negativen Bildern wie etwa zunehmend gewaltförmigen Austragungsformen beschrieben. Doch muss das immer so sein? Meist wird nach einer „schnellen Konfliktlösung“ gesucht, die den Konflikt „wegmacht“. Die Erfahrung der Kommunalen Konfliktberatung zeigt hingegen, dass Konflikte nicht grundsätzlich problematisch sind und dass es für alle beteiligten Akteure gewinnbringend und nachhaltiger sein kann, wenn Konfliktbearbeitung intentional durch die beteiligten und Einfluss nehmenden lokalen Akteure erfolgt.

Denn: Konflikte entstehen aus gesellschaftlichen Veränderungen und können Motoren für eine bewusste Gestaltung gesellschaftlichen Wandels sein. Intentionale Konfliktbearbeitung kann es möglich machen, dass Diskussionen um notwendige Anpassungen entstehen, Betroffene sich mobilisieren und auf ihre Anliegen aufmerksam machen. So werden auch bisher verborgene Themen sichtbar und hierdurch besprechbar.

Vor Ort spielt die Musik – die lokale Ebene im Fokus
Für eine konstruktive intentionale Konfliktbearbeitung spielen Städte, Gemeinden und Landkreise eine besondere Rolle. (1) In den Sozialräumen und kommunalen Zusammenhängen treffen vielfältige Meinungen, Interessen und Bedürfnisse unmittelbar aufeinander. Personen, Gruppen und Organisationen, die auch im alltäglichen Zusammenleben miteinander verbunden sind, handeln hier Formen des sozialen Zusammenlebens aus: Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik gestalten im Zusammenspiel das kommunale Miteinander.

In diesem Gefüge bestehen zwischen unterschiedlichen Akteursgruppen zum Teil große Unterschiede hinsichtlich ihres Einflusses und ihres Zugangs zu Ressourcen. In dieser Situation konstruktiv mit Konflikten umzugehen, trägt zur Zukunftsfähigkeit von Kommunen und unserer Gesellschaft insgesamt bei. Unbearbeitete Konflikte können hingegen die Umsetzung aktueller gesellschaftlicher Transformationsaufgaben bremsen oder sogar zu Verhärtung, Polarisierung, Eskalation oder Radikalisierung führen.

Beratung von außen – Konfliktbearbeitung von innen
Kommunale Konfliktberatung unterstützt seit mehr als 13 Jahren bundesweit lokale Akteure aus Politik, Zivilgesellschaft und Verwaltung dabei, Konflikte besser zu verstehen und diese anzugehen. (2) Sie kommt dort zum Einsatz, wo ein externer Blick auf oft komplexe Konfliktlagen einen Mehrwert bieten kann und wenn die lokalen Akteure selbst zu befangen oder in ihrer eigenen Dynamik „gefangen“ sind. Die Vielfalt an Zielen, Werten, Bedürfnissen, Welt- und Selbstbildern ist Ausdruck unterschiedlicher Handlungslogiken. Beispielsweise erleben Bürger*innen in einem Stadtteil einer großen Stadt im direkten Zusammenleben Konflikte um Müll, Lärm und die Nutzung des öffentlichen Raumes, während Vertreter*innen der Stadtverwaltung möglicherweise vor allem städtebauliche Aspekte im Blick haben. Sich gegenseitig wahr und ernst zu nehmen ist für eine nachhaltige Bearbeitung von Konflikten unumgänglich.

Die systemische Perspektive der Beratung geht davon aus, dass lineare Erklärungsmuster für Konflikte in Kommunen meist zu kurz greifen. Sie lenkt den Blick stattdessen auf Zusammenhänge und Dynamiken in einem komplexen sozialen System. Dies wird durch eine systemische Konfliktanalyse erreicht, die die Verbindung von Ursachen, Wirkungen und Wechselwirkungen darstellt. Im Fall der anfangs erwähnten Eskalationsdynamik zwischen Jugendlichen und der Polizei würde dementsprechend die Vermutung nahe liegen, dass vereinzelte oder einseitige Maßnahmen der Komplexität der Situation nicht gerecht werden.

Stattdessen werden die Beteiligten mit ihren jeweiligen Sichtweisen und Handlungslogiken bei der gemeinsamen Suche nach Lösungsansätzen unterstützt. Sie bleiben die Expert*innen für ihre eigene Situation und die Bearbeitung ihrer Konflikte. In einer Lenkungsrunde, die im Rahmen der Beratung regelmäßig zusammenkommt, wird der Prozess reflektiert und gemeinsame Entscheidungen für weitere wichtige Schritte werden getroffen. Handlungsideen und -optionen entstehen aus dem Prozess heraus und werden nicht vom Beratungsteam vorgegeben. Auf diese Weise erweitert sich auch die Kompetenz der lokalen Akteure im Umgang mit Konflikten.

Allparteilichkeit als Schlüssel
wDie Beratungsteams würdigen und wertschätzen die Sichtweisen, Interessen und Bedürfnisse aller Beteiligten. Schon indem eigene Perspektiven gehört und anerkannt werden, unter anderem durch vertiefte Einzelgespräche, können Beteiligte oft die Sichtweisen, Interessen und Bedürfnissen anderer Konfliktakteure mit mehr Offenheit wahrnehmen. Im Lauf des Prozesses kann auf diese Weise ein Raum entstehen, in welchem Vertrauen aufgebaut, Beziehungen neu gestaltet oder verhandelt werden. Dabei ist es auch wichtig, jenen Gruppen Teilhabe zu ermöglichen, die zur konstruktiven Konfliktbearbeitung beitragen können, jedoch bisher wenig Gehör fanden bzw. gesellschaftlich oder politisch marginalisiert sind.

Dabei gibt es auch Grenzen der Allparteilichkeit, unter anderem wenn in den kommunalen Beratungsprozessen unter den verschiedenen Perspektiven Personen oder Gruppen sichtbar werden, die gezielt Diskriminierung und Ausgrenzung legitimieren. Besonders deutlich werden die Grenzen des allparteilichen Arbeitens der Kommunalen Konfliktberatung überschritten, wenn extremistische Kräfte beabsichtigen, demokratische Prozesse zur Konfliktbearbeitung zu schädigen oder abzuschaffen.

Langfristiges Ziel: Eine positive Konfliktkultur
Die Kommunale Konfliktberatung unterstützt eine Kommune zu einem bestimmten Konflikt und Thema auch über mehrere Jahre. Im besten Fall werden dabei nachhaltige Veränderungen angestoßen. Neue Herausforderungen, unter anderem bedingt durch bundesweite und internationale Entwicklungen, wird es jedoch immer wieder geben.

Das langfristige und übergeordnete Ziel, zu dem die Kommunale Konfliktberatung einen Beitrag leisten will, ist deswegen, dass Kommunen sich grundsätzlich für die konstruktive Bearbeitung von Konflikten stärken und damit auch zunehmend gesellschaftliche Veränderungen im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens gestalten.

Anmerkungen
1 Dieser Artikel basiert auf der Publikation „Kommunale Konfliktberatung – Grundsätze und Praxis“ (2023), in welcher der Ansatz und die Grundsätze der Kommunalen Konfliktberatung ausführlich auch anhand praktischer Beispiele beschrieben ist. Abzurufen unter: https://www.forumzfd.de/de/publikation/kommunale-konfliktberatung-grunds...
2 Das Forum Ziviler Friedensdienst e.V. (https://www.forumzfd.de/de/kommuneundkonflikt) und das Kompetenzzentrum Kommunale Konfliktberatung (K3B) VFB Salzwedel e.V. (https://k3b-saw.de/) arbeiten gleichermaßen mit dem Ansatz der Kommunalen Konfliktberatung und kooperieren eng im Sinne der Qualitätssicherung des Ansatzes (https://www.kommunale-konfliktberatung.de/)

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Hauke Steg (Jahrgang 1979) arbeitet seit 2021 als Referent für Beratungsprozesse im Programm „Kommune & Konflikt“ des forumZFD. Zuvor war er unter anderem als Friedensfachkraft in Nepal aktiv. Er engagiert sich darüber hinaus seit fünf Jahren im Vorstand von EIRENE Internationaler Christlicher Friedensdienst e.V.