London: Hunderttausende demonstrieren für Frieden

von James Cusick
Friedensbewegung international
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Am 28. September fand in London die größte Friedensdemonstration seit langem statt. Unter dem Motto "Don`t attack Iraq" (Greift Irak nicht an) füllten Hunderttausende die Straßen, die Zahlenangaben in den Medien schwanken zwischen 150.000 bei der staatlichen BBC und 500.000 im Irischen Rundfunk. Dieser Erfolg, noch größer als erwartet, ermutigt die britische Koalition gegen den Krieg zu weiteren Aktionen. Für den 31.10. hat sie nun im ganzen Land zu einem "Halloween des Protestes" aufgerufen, bei dem Bush und Blair das Fürchten lernen sollen. Einen Eindruck von der Stimmung und der Breite des Protests gibt der folgende Bericht von James Cusick.

Es machte alles klein, was man in den 1960ern in London gesehen hatte und konkurrierte mit jenen Massen, die sich am vorigen Wochenende zum "countryside protest" (Protest der Landbevölkerung, KV) versammelt hatten. Eine Viertelmillion Leute auf die Straße zu bringen ist schwer zu ignorieren. Organisatoren des Anti-Kriegs-Marsches, der mit einer der größten Massendemonstrationen in Europa die Straßen von London bevölkerte und den Hyde Park überflutete, konnten kaum glauben, welch großen Protest sie versammelt hatten.

In seinen ersten Abschnitten war die Polizei schlecht vorbereitet und musste den Marsch in zwei Routen teilen, um mit dem Umfang des Protests zurechtzukommen. (...) Transparente, Pfeifen, Megafone, Sprechchöre, sogar ein Pappmaschee-Panzer, komplett mit Raketen und Puppen von George W. Bush und Tony Blair, daneben erschöpfte "Soldaten", vollständig bis zum tropfenden Kunstblut, versuchten sicherzustellen, dass die Botschaft Anti-Krieg war und nicht einfach antiamerikanisch.

Andrew Burgin von der "Koalition Stoppt den Krieg", klagte Bush und Blair an, Behauptungen über Saddam Hussein und irakische Massenvernichtungswaffen als Deckmantel für einen Krieg zu benutzen, der in Wirklichkeit um Öl ginge. Organisatoren hatten in ihrem Hauptquartier in der Brick Lane eine Woche lang Plakate gemacht. Sie hätten sich nicht zu bemühen brauchen, denn jedermann, aus allen Ecken Britanniens, hatte eigene mitgebracht.

Kein Protestmarsch wäre vollständig ohne die Sozialistische Arbeiterpartei, und dieser bildete keine Ausnahme. Riesige Transparente schrieen "Kein Krieg für Öl" und "Stoppt die Kriegsmaschine".

Neben dem Thema des Krieges mit Irak, äußerten Viele auf dem Marsch Besorgnis über die Situation im Mittleren Osten und Israels fortgesetzte Aktionen gegen die Palästinenser. "Stoppt Staatsterrorismus, Stoppt Sharon, den Kindermörder", forderte Transparent um Transparent. Polizei- und Aufklärungshubschrauber kreisten über den Demonstranten, als sich der Marsch durch einige zentrale Hauptstraßen Londons schlängelte.

Im Umkreis von Meilen war alles abgesperrt und der Verkehr stand still. Gäste in einem plüschigen Fünf-Sterne-Hotel am Piccadilly konnten nicht mehr durch die Eingangshalle des Hotels kommen.

In der Nähe der Spitze der Demonstration sagte Mohammed Sarwar, Labour Abgeordneter für Glasgow Govan, durch den Lärm der Megafone, Trillerpfeifen und Sprechchöre: "Ich bin hier um mich mit den vielen zehntausend Menschen zusammenzutun, die hier sind um gegen diesen nicht zu rechtfertigenden Krieg zu protestieren. Er hat wenig zu tun mit Massenvernichtungswaffen. Bush will alleine handeln, und ich fürchte, dass Blair ihn bedingungslos unterstützt." Sarwar sagte, dass die breite Mehrheit der tragenden Labour-Aktiven an der Basis den Krieg nicht unterstützten. "Blair sollte auf das Volk hören, nicht auf George Bush", sagte er.

Transparent um Transparent zog an Polizisten und verwirrten Touristen vorbei. Protestierer kamen von Universitäten, Lehrervereinigungen und Gewerkschaften wie Unison (Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes, KV), Transport and General (Transportgewerkschaft) und anderen Gruppen wie der Vereinigung der Muslime Britanniens, der Sozialistischen Allianz und den Musikern gegen Atomkrieg. Einige japanische Mönche in buddhistischen Gewändern schlugen ihre Friedenstrommeln. (...)

Die Demonstrantinnen waren nicht alle aus Großbritannien. Krista van Velzen, eine 28-jährige Abgeordnete der Sozialistischen Partei aus Den Haag, trug ein Sandwich, auf dem zu lesen war: "Holländische Abgeordnete gegen den Krieg." Sie sagte: "Es ist großartig, dass hier so viele Leute mit unterschiedlichem Hintergrund unter einem Slogan vereinigt sind. Ich bin gekommen, um herauszufinden, wie die Leute diese Demonstration zusammengebracht haben, weil es der richtige Weg vorwärts ist. In meinem Land, genau wie hier, sind die meisten Leute gegen jeden Angriff auf Irak, aber die Leute, welche sie im Parlament repräsentieren, sind es nicht."

Christliche Gruppen marschierten neben muslimischen Gruppen. Thomas Chitseko, 16, ein Schüler aus Harlow, trug ein Plakat "Quäker für den Frieden". Er sagte: "Die Quäker-Bewegung ist gegen Krieg; eine Menge Quäker waren während des Zweiten Weltkriegs Kriegsdienstverweigerer." (...)

Ken Fleet war von Nottingham nach London gereist, als Teil der Gruppe der Russel Peace Foundation. Zwölf weitere Busse mit Unterstützern seiner Organisation hatten Nottingham am frühen Morgen verlassen. Als Veteran der Proteste der 70er und 80er war Fleet stolz darauf, dass seine Gruppe von Lord Russel aufgebaut wurde, dem Gründer der CND (Kampagne für Atomare Abrüstung, KV) und einem Anführer des Aldermaston-Marsches gegen Atomwaffen in den Sechzigern. "Das Argument ist dasselbe," sagte Fleet, und sagte für den Fall eines Kriegs gegen den Irak große Antikriegsdemonstrationen in den europäischen Hauptstädten voraus.

Auch weniger erfahrene Demonstranten nahmen die Straßen ein. "Ich habe noch nie zuvor demonstriert", sagte der Schauspieler David Warner, "und das zeigt, für wie wichtig ich dieses Thema halte. Ich will nicht sehen, dass irakische Zivilisten getötet werden oder junge Leute dahin geschickt werden, um getötet zu werden."

Auch Regisseur Ken Loach war unter den Demonstranten. Er sagte: "Wir können uns nicht an diesem Krieg beteiligen; wir können nicht zustimmen, weitere 100 000 Irakis zu töten, einfach um Amerikas Interesse an Öl und ihre Dominanz in der Region zu verfolgen."

Auch wenn die Organisatoren die einigende Kraft einer reinen Antikriegs-Demo bevorzugt hätten, bedeutete die Vielfalt des Protestes, dass andere Themen - wie Palästina, Armut in der Welt und Antikapitalismus - in der großen Menge, die zum Hyde Park marschierte, um Raum und Aufmerksamkeit kämpften.

Khairi, 33, ein Student libanesischer Abstammung aus Süd-London und Mitglied der Muslim-Vereinigung Britanniens, sagte: "Es geht nicht nur um Krieg gegen Irak; auch Israel mordet unsere Brüder in Palästina. Wenn Großbritannien und Amerika einen Krieg gegen den Terror führen, warum stoppen sie dann nicht Sharon?"

Für die verschiedenen Gewerkschaftsmitglieder bei dem Marsch gab es eine einigende Botschaft. Jan Kowalczyk, 46, Psychatriepfleger aus Salford und Unison-Mitglied, trug ein Transparent für eine lokalen Zweig der Gesundheitsgewerkschaft. Er sagte: "Es gibt eine Tradition der Gewerkschaften, die Anti-Kriegs-Proteste zu unterstützen. Bei den Falklands und im Golfkrieg hatte unsere Gliederung auch eine Anti-Kriegs-Position. Wenn die Wirklichkeit des Krieges näher kommt, reden die Leute auch bei der Arbeit mehr darüber - sie arbeiten in einer Klinik und fragen sich nach den Zusammenhängen und warum wir ein anderes Land angreifen."

Optimismus und Hoffnung gibt es bei solchen Protesten üblicherweise ebenso, wie Adrenalin bei einem Sportereignis. Aber bei diesem Marsch ging Ärger einher mit der rauhen Wirklichkeit, dass Krieg unvermeidbar sein könnte. Mohammed Abdurrazag, 37, ein Arzt aus Libyen, der jetzt in Dewsbury in Yorkshire lebt, trug ein Plakat der grünen Partei mit der Aufschrift "Menschen vor Benzin". Er war pessimistisch, welchen Effekt der Marsch haben würde. Abdurrazag meinte, die Politiker würden alles ignorieren, sogar den eine viertel Million starken Marsch. Er sagte: "Es gibt eine Massenopposition gegen den Krieg in Großbritannien, aber ich glaube, die Entscheidung zum Krieg ist bereits gefällt worden. Die UN ist unter Kontrolle der Vereinigten Staaten, deshalb wird sie nicht die richtige Entscheidung treffen."

Im Hyde Park, wo die Marschierer endlich den Brennpunkt der Demonstration erreichten, etwa zwei Stunden nach dem, was die Organisatoren vorhergesagt hatten, waren unter denen, die zu der Menge sprachen, auch der frühere UN-Waffeninspektor Scott Ritter und Ken Livingstone. Der Bürgermeister von London sagte: "Die größte Demonstration seit 30 Jahren - größer als die ´countryside alliance` - wird einen elektrisierenden Effekt auf den Labour Parteitag haben und auf die Abgeordneten, die gegen den Krieg sind."

Der politische Veteran Tony Benn erklärte der Menge: "Niemand kann das britische Volk in einen Krieg führen, den es nicht will oder akzeptiert." Er fügte hinzu, es sei "gänzlich unmoralisch" von den USA und Großbritannien Irak anzugreifen. (...)

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James Cusick ist Journalist und arbeitet für den Sunday Herald.