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"Militärseelsorge ist der kirchliche Teil an der staatlichen Kriegführung"
vonIn Leipzig fand am 12./13.Juni der Kongreß der Gegner einer staatlich getragenen Militärseelsorge statt
Als im Herbst 1990 die BRD ihren Nachbarn im Osten, die Deutsche Demokratische Republik, verschluckte, war das Verhältnis von Staat und Kirche einer der gesellschaftlichen Bereiche, in denen gravierende Unterschiede vorlagen. Während in der DDR Thron und Altar weitgehend getrennt waren, verfügten die beiden christlichen Großkirchen in der BRD über weltweit einzigartige Privilegien. Mittlerweile sind nun auch die Menschen in den neuen Bundesländern mit Religionsunterricht, staatlichem Kirchensteuereinzug, dem kirchlichen Sonderarbeitsrecht und weiteren Attributen des Staatskirchenfilzes gesegnet. Lediglich die Übernahme des Militärseelsorgevertrages scheiterte am Widerstand der Synode der ostdeutschen evangelischen Kirchen, so daß das westdeutsche Modell der beamteten und vom Staat finanzierten Militärpfarrer in Frage gestellt ist.
Die Diskussion über eine Neuregelung der Militärseelsorge fand bisher jedoch weitgehend im theologischen Elfenbeinturm statt; und daran hat auch der Kongreß gegen eine staatlich getragene Militärseelsorge, den die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) zusammen mit Interessensverbänden der Konfessionslosen und der Humanistischen Union in Leipzig durchführte, wenig ändern können. Denn das Interesse der Friedensbewegung West war denkbar gering und die Friedensbewegung Ost steht in einer kirchlichen Tradition. Dementsprechend standen also ekklesiologische und staatskirchenrechtliche Fragen deutlich im Vordergrund der Diskussionen. Dabei zeigte sich, daß es für ostdeutsche Protestanten und (meist westdeutsche) konsequente Laizisten gar nicht so einfach war, zu einer gemeinsamen Diskussion zu kommen. Denn beide Gruppen stellten die real existierende Militärseelsorge zwar am gleichen Punkt, aber aus sehr unterschiedlicher Perspektive in Frage.
Erwin Fischer, ein Rechtsanwalt vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA), vertrat den Standpunkt, daß die Militärseelsorge in ihrer jetzigen Form verfassungswidrig sei, da sie die Wahrnehmung einer rein innerkirchlichen Angelegenheit durch den Staat darstelle. Die Argumentation der Kirchen, Bundeswehrsoldaten seien aufgrund der Kasernierung mit Strafgefangenen vergleichbar, weshalb der Staat sie in ihrer freien Religionsausübung, z.B. durch die Bereitstellung von Militärseelsorgern, unterstützen müsse, rief bei den Kongressteilnehmern Belustigung hervor. Franz Meyer, als Mitglied des Darmstädter Signals und Major a.D. ein zuverlässiger Informant über den Alltag bei der Bundeswehr, verwies darauf, daß sich durch Dienstzeitregelung und Wochenendurlaub die Situation der Soldaten in dieser Hinsicht oft günstiger gestalte als in manchem zivilen Beruf, von einer außergewöhnlichen Behinderung bei der Teilnahme am kirchlichen Leben könne nicht die Rede sein.
Weil er daran zweifelt, ob das Evangelium soviel Staat vertrage, tritt Axel Noack, Mitglied im Rat der EKD, gegen eine staatlich getragene Militärseelsorge ein. Gerade die eingehende Beschäftigung mit der herrschenden Praxis habe ihn in seiner Auffassung bestärkt, daß die evangelische Kirche die Militärseelsorge verändern sollte, meinte der Pfarrer aus Wolfen. Denn die eigentliche Seelsorge komme zu kurz, weil zuviel Zeit für den Lebenskundlichen Unterricht aufgewendet werden müsse. Der ist im Militärseelsorgevertrag zwar gar nicht vorgesehen, werde von der Bundeswehr aber immer wieder dazu benutzt, Erwartungen an die Kirche heranzutragen, etwa wenn es um die Vorbereitung der Rekruten auf das Gelöbnis geht. Deshalb sei eine von der Kirche selbst durchgeführte Soldatenseelsorge anzustreben. In einer abgespeckten Form, ließe sie sich auch problemlos aus den Kirchensteuern der Bundeswehrsoldaten finanzieren.
Während im Anschluss an Noacks Vortrag eine heftige Kontroverse entbrannte, ob Seelsorge an Soldaten nicht generell zur Gewissensberuhigung beitrage und damit der Armee diene, fand das Referat, das die Militärseelsorge von einer antimilitaristischen Position aus kritisierte, vergleichsweise wenig Resonanz. Franz Nadler von der Arbeitsgruppe KDV im Krieg berichtete über die Erfahrungen, die südafrikanische, jugoslawische oder US-amerikanische Kriegsdienstverweigerer mit ihren jeweiligen Militärgeistlichen machen mußten. Als Konsequenz daraus erteilt er allen Bemühungen um eine reformierte, "bessere" Militärseelsorge eine klare Absage: Militärseelsorge ist der kirchliche Teil an der staatlichen Kriegführung. Der Widerstand gegen Krieg hat von ihr nichts zu erwarten, er muß sich auch gegen sie richten.
Wenn die Kirchen sich in letzter Zeit zunehmend auch für Kriegsdienstverweigerer einsetzen, geschehe dies nicht zuletzt aus arbeitsmarktpolitischen Überlegungen, da die ihnen angeschlossenen karitativen Verbände etwa die Hälfte der Zivildienstleistenden beschäftigen. Das Verhältnis der Aufwendungen für Militärseelsorge, Zivildienst und KDV belege dies eindrucksvoll.
aus: MIZ 2/91