Neue (Militär-)Strategien Kritik an US Kriegs- und Nachkriegskonzepten

von Frederick W. Kagan
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Außergewöhnlich scharf hat der US-amerikanische Militärhistoriker Frederick W. Kagan die Kriegs-und Nachkriegskonzepte der Bush-Regierung aus konservativer Sicht kritisiert. Im folgenden dokumentieren wir eine von der Redaktion sehr stark gekürzte Fassung eines Aufsatzes Kagans, der in der November-Ausgabe der "Blätter für deutsche und internationale Politik" erschien. (www.blaetter.de)

(...) Die Bush-Administration verwendet die Mittel für die Verteidigung entsprechend ihrer Vision des Zukunftskrieges. Alle wesentlichen Reformen in den Teilstreitkräften und bei den wichtigsten militärischen Systemen, die sich in der Erforschung, Entwicklung oder im Bau befinden, konzentrieren sich auf die Verbesserung der Fähigkeit, feindliche Ziele präzise, schnell und aus der Entfernung von Hunderten (oder Tausenden) von Meilen zu zerstören. Ein Vertreter der Air Force behauptete sogar, es sei möglich, "dass wir noch zu unseren Lebzeiten die Fähigkeit erlangen, einen Konflikt auszufechten, ohne dabei die Vereinigten Staaten jemals zu verlassen." (...)

Die Vorstellung, die USA sollten "einen Krieg führen können, ohne dabei die Vereinigten Staaten jemals zu verlassen", hat in den Plänen der Bush-Administration tiefe Wurzeln geschlagen. Rumsfeld versucht seit mehr als einem Jahr, den Umfang des Berufsheeres und der Reserveeinheiten um 20 Prozent zu reduzieren. Desgleichen unterstützt er eine Reihe von Vorschlägen, die auf den Rückzug amerikanischer Streitkräfte aus ihren europäischen Stützpunkten und aus Korea hinauslaufen. Die Rechtfertigung solcher Vorschläge besteht im Grundsatz darin, dass unsere Präzisionswaffen großer Reichweite eine solche vorgeschobene Truppenstationierung überflüssig machen. Tatsächlich haben Vertreter des Verteidigungsministeriums kürzlich behauptet, wenn wir die Nordkoreaner ganz einfach wissen ließen, dass wir militärisch in der Lage sind, ihre Führung im Konfliktfall zum Ziel des ersten Schlages zu machen, könnte dies genügen, sie abzuschrecken - und eine nennenswerte US-Militärpräsenz in Südkorea überflüssig machen.

So wie die Kriegsvorstellungen der gegenwärtigen Reformprogramme das Problem des Übergangs vom militärischen Sieg zur Realisierung politischer Ziele außer Acht lassen, so ignorieren diese Vorschläge einer drastischen Verringerung der Präsenz in Übersee die politischen Aspekte vorgeschobener Stationierung. In Übersee stationierte amerikanische Streitkräfte verkörpern eine nachdrückliche Verpflichtung der USA gegenüber der betreffenden Region. Sie verleihen den Vereinigten Staaten eine starke Stimme bei den Entwicklungen vor Ort und helfen ihnen dabei, den Rahmen politischer Diskussionen in lebenswichtigen Regionen zu definieren. Natürlich erleichtern sie gleichzeitig die rasche Verlegung von Streitkräften in potenzielle Kriegsgebiete.

Es geht also um die Frage: Werden die Vereinigten Staaten ihre Verpflichtungen einhalten? Die Präsenz amerikanischer Streitkräfte auf möglichen Kriegsschauplätzen hat es der amerikanischen Führung stets erheblich erleichtert, furchtsame Alliierte davon zu überzeugen, dass man sie verteidigen würde. Der Rückzug dieser Streitkräfte könnte, mit gleicher Deutlichkeit, die gegenteilige Botschaft vermitteln. Und die vorgeschlagene drastische Verkleinerung der Army könnte eben diese Botschaft noch nachdrücklicher aussenden.

Wenn die Vereinigten Staaten in der Lage sein sollen, Regimewechselkriege zu führen und zugleich ihre heutige entscheidende Stellung bei der Kontrolle und Leitung der internationalen Angelegenheiten aufrechtzuerhalten, müssen sie ihre Vorstellungen vom Krieg grundlegend verändern. Es reicht nicht aus, sich damit zu beschäftigen, wie man den Feind mit Abstandswaffen zur Unterwerfung bringt. Wer den Feind als bloßen Satz Ziele ansieht, begeht einen fundamentalen Fehler. Im Krieg ist der Feind eine Gruppe von Menschen. Einige von ihnen wird man töten müssen. Andere gefangen nehmen oder in die Flucht schlagen müssen. Doch die überwältigende Mehrzahl wird man überzeugen müssen. Und sie müssen nicht lediglich von der schockierenden Zerstörungskraft der amerikanischen Macht überzeugt werden, sondern auch davon, dass es für sie wünschenswert ist, sich politisch so zu verhalten, wie die USA es wünschen. Es darf nicht sein, dass ein von unseren Präzisionswaffen geschaffenes chaotisches und rechtloses Vakuum diese Mehrheit davon abschreckt, die von uns gewünschte Politik zu verfolgen. Die Durchführung eines Regimewechsels erfordert, dass die US-Streitkräfte das feindliche Territorium und seine Bevölkerung so schnell wie möglich unter ihre Kontrolle bringen können. Eine solche Kontrolle lässt sich nicht durch Maschinen erreichen, erst recht nicht durch Bomben. Das können nur Menschen, die mit anderen Menschen interagieren. Jene Fortsetzung der Politik, die der Krieg darstellt, kann künftig nur auf Erfolg hoffen, wenn es gelingt, dem gegenwärtigen Reformkonzept das menschliche Element wieder einzufügen.
 

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