WINTEX-CIMEX-Manöver als Beispiel täglicher Kriegsplanung

Nicht nur zu Frühjahrzeit ...

von Christian Busold

2. März 1989: aus der Bundesrepublik starten Jagdbomber, Cruise Missiles und Pershing-Raketen gen Osten und lassen 17 Atomsprengköpfe von mehrfacher Hiroshima-Sprengkraft detonieren - drei in der DDR, je einen in der UdSSR und der Türkei (gegen Invasoren des Warschauer Pakts), den Rest in Polen, Ungarn und der CSSR.

 

Die Folgen - Millionen von Menschenopfern, riesige atomar verseuchte Areale - traten zum Glück nicht real, sondern nur auf dem Papier ein. Denn der Angriff war Bestandteil der letzten Übung WINTEX-CIMEX. Im Rahmen dieses Manövers üben die NATO-Staaten jedes zweite Frühjahr zivil-militärische Zusammenarbeit.

Flächendeckend spielen militärische Stellen und Zivilbehörden 14 Tage lang Krieg in Führungsbunkern oder Rathäusern, am Kartentisch mit Telefon und Computer. Kein Panzerrattern, kein Sirenengeheul stört den äußerlichen Frieden und weist die Bevölkerung auf dieses Treiben hin. Dabei geht das Planspiel, von der gewandelten Realität nahezu unbeeindruckt, seit jeher regelmäßig von einem kriegslüsternen Warschauer Pakt aus, gegen dessen Aggression sich die hiesigen Kriegsspieler in Schlips und Kragen zu verteidigen haben - und sei es mit derartigen eskalierenden Nuklear-Attacken. Das letztjährige Szenario etwa unterstellte der SU flächendeckenden  Einsatz chemischer Waffen auf Norddeutschland und Großbritannien, obwohl die real gerade weitreichende Vorschläge zu deren Abbau vorgelegt hatte.

Für den Aufgabenbereich der Zivilbehörden enthalten die WINTEX-Drehbücher eine "durchgehende Denunziation der Bevölkerung als Störfaktor und innerem Feind", wie eine Studie im Auftrag der Kieler Landesregierung zu WC 89 feststellte. Dabei werden Protestaktionen der Friedensbewegung bis zu Sabotage und Brunnenvergiftung unterstellt und Notstandsgesetze in ganzer Bandbreite durchgespielt - bis zum Einsperren der Bevölkerung, um die Aufmarschwege freizuhalten.

Im letzten Jahr erreichten die Proteste, mit denen die Friedensinitiativen diese Übungen seit jeher begleiten, eine besondere Breite: bundesweite Streikaktionen von Zivildienstleistenden, Demonstrationen, Blockaden und Go-Ins an den Kommandozentralen, kritische Debatten in Parlamenten aller Ebenen usw. Auch einige Bundesländer reduzierten ihre zivile Übungsbeteiligung.

Angesichts dieser öffentlichen Kritik stieg auch die Bundesregierung vorzeitig aus WC 89 aus; die im Szenario vorgesehenen weiteren 30 Atomwaffen-Starts fanden nicht mehr statt. Gleichwohl basteln Bonner Vertreter im NATO-Hauptquartier schon eifrig an den Details für die nächste Übung vom 22.2-7.3.1991. Zwar soll etwas mehr Krisenmanagement und konventioneller Krieg geübt und die Übung mit der simulierten Nuklearfreigabe beendet werden - grundsätzlich soll das Manöver jedoch in gewohnten Bahnen eines "orangenen" Angriffs ablaufen. Überlegungen, den angenommenen Kriegsursprung stärker in "die 3. Welt" (übergeschnappte Libyer o.ä.) zu verlegen, den fiktiven Charakter des Drehbuchs stärker herauszustellen oder den angeblichen Nutzen für den zivilen Katastrophenschutz noch mehr zu betonen (so besonders die SPD-Länder): solche kosmetischen Tricks·zielen allein auf Steigerung der öffentlichen Akzeptanz.

Daher ist die Friedensbewegung erneut aufgefordert, die Übung WC diesmal völlig zu verhindern. Ein erstes Koordinationstreffen hat bereits im Dezember stattgefunden, die Widerstands-Vorbereitungen laufen weiter. Im Wahljahr·1990 bietet sich in besonderem Maße die Gelegenheit, quasi als Wahlprüfstein den Ausstieg aus WC 91 einzufordern. Dabei sind besonders die (potentiellen) Landesregierungen anzusprechen, welche über Art und Umfang der zivilen (Nicht-) Beteiligung auch ihrer Kommunen in den nächsten Monaten in eigener Verantwortung entscheiden; die gern behauptete Teilnahmepflicht besteht nicht! Neben Anträgen in den Landtagen können auch Kommunen demonstrativ schon im Vorfeld die Teilnahme ablehnen und derartige Resolutionen (so bereits in Bayern) über die Städtetage bündeln. Entscheidend wird aber erfahrungsgemäß sein, den Widerstand auf der Straße zu organisieren.

Christian Busold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen.

 

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Christian Busold ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen.