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Exklusives Uran für Frankreich und ein Kern-Partner der Migrationsbekämpfung stehen auf dem Spiel
Niger – die europäische Bastion im Sahel ist gefallen
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Die Warnungen vor einem Lauffeuer an Putschen im Sahel brachen nicht ab, selbst als es schon lange im Gang war. Doch dass dies tatsächlich in dem Land gewagt werden würde, das mit der größten US-amerikanischen Drohnenbasis und dem größten verbliebenen Anteil der französischen Barkhane Mission, neben anderen europäischen Kontingenten, über 2500 hochgerüstete westliche Soldat*innen beherbergt, wollte man nicht glauben.
Der Putsch im Niger am 26. Juli 2023 folgt ähnlichen Putschen, die seit 2020 in den beiden Nachbarländern Mali und Burkina Faso stattfanden. Wie Mali und Burkina Faso kämpft auch der Niger seit einigen Jahren gegen verschiedene dschihadistischen Gruppen, die entweder al-Qaida oder dem Islamischen Staat die Treue schworen. Alle drei Länder sind oder waren Mitglied in der G5-Sahel-Gruppe, die die Islamisten gemeinsam mit der französischen Barkhane Mission bekämpften. Die Putschisten in allen drei Ländern nannten als Grund für ihre Machtergreifung die Unfähigkeit der zivilen Regierungen, die Sicherheitssituation unter ihre Kontrolle zu bringen. Wie in den beiden anderen Ländern, wurde der Putsch von Demonstrationen begleitet, auf denen russische Flaggen wehten und französische brannten. Wie in Burkina Faso im Jahr 2022, griffen auch im Niger Protestierende die französische Botschaft an. Auch der Niger kündigte, wie Mali und Burkina Faso, die militärische Zusammenarbeit mit Frankreich auf, wenn auch etwas schneller.
Doch die Putschisten im Niger werden ungleich härter unter Druck gesetzt: Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (engl.: ECOWAS / frz.: CEDAO) verhängte nicht nur die typischen Sanktionen, wie gegenüber den anderen beiden Ländern. Die Regionalorganisation, der ebenfalls alle drei Länder angehören, drohte die verfassungsmäßige Ordnung notfalls mit militärischer Gewalt wieder herzustellen, sollte der abgesetzte Präsident Mohamed Bazoum nicht wieder binnen einer Woche eingesetzt werden. Um dem Ernst zu verleihen, erarbeiteten die Verteidigungsminister und Generäle der (nicht suspendierten) Mitgliedsländer sogleich eine Strategie für eine solche Intervention.
Trotzdem stellte sich die nigrische Junta stur. In einem, Berichten zufolge, mit 30.000 Menschen gefüllten Stadion zählten die Militärs die letzten Sekunden des verstreichenden Ultimatums zusammen mit der Menge herunter. Neben breiten Teilen der Bevölkerung solidarisierten sich auch die beiden Nachbarländer Mali und Burkina Faso mit dem Niger. Die Ankündigung, an der Seite des Nigers zu kämpfen, wurde bald in ein offizielles Verteidigungsbündnis der drei sich von Frankreich distanzierenden Militärregierungen umgesetzt.
Derweil hatten angeblich Freiwillige in den Grenzstädten zu Nigeria Freiwilligenbataillone organisiert, und dabei angeblich rund 50.000 Männer rekrutieren können. Außer den beiden suspendierten Nachbarländern grenzen aus der ECOWAS nur Nigeria und Benin an den Niger. Nigeria ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich wie militärisch stärkste Land des Blocks. Eine militärische Intervention wäre also nur mit seiner Beteiligung möglich. Und der vor kurzem eingeschworene Präsident, Bola Tinubu, gehört tatsächlich zu den größten Fürsprechern der Intervention.
Unterstützung für dies bekam die ECOWAS besonders aus Europa. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verkündete sogleich: „Die Europäische Union unterstützt alle Maßnahmen, die die ECOWAS als Reaktion auf den Staatsstreich ergriffen hat und wird sie rasch und entschlossen fördern.“ Auch Frankreich ließ verlautbaren, es unterstützte „alle regionalen Initiativen“, die darauf abzielten, „die verfassungsgemäße Ordnung wiederherzustellen“.
Ein weiterer Krieg für Bodenschätze?
Der französische Präsident, Emmanuel Macron, hatte schon zuvor erklärt, jegliche Angriffe auf französische Interessen würden eine „schnelle und kompromisslose Antwort“ auslösen. Interessen hat Frankreich reichlich im Niger.
Der französische Atomkonzern Orano (zuvor Areva) hat als einzige ausländische Firma Zugriff auf die nigrischen Uranreserven, die zu den größten der Welt gehören. Sie befeuerten in den letzten vier Jahren zwischen 35 und 20% der französischen Atomkraftwerke, Tendenz abnehmend. Frankreich bezieht bis zu 80% seines Stroms aus Nuklearenergie und ist mit Deutschland einer der größten Stromexporteure Europas. Dies ist auch wichtig, um den Status als Atommacht mit modernen Waffen zu erhalten.
Noch größer ist die Bedeutung nigrischen Urans für Gesamteuropa. Insgesamt machten nigrische Importe laut der Europäischen Versorgungsagentur Euratom (ESA) im Jahr 2021 24% der Lieferungen an die EU aus. Der Niger ist damit der größte Importeur in die Region, vor Kasachstan.
Erste Berichte, die Putschisten hätten bekannt gegeben, die Uran- und Goldexporte nach Frankreich auszusetzen, wurden jedoch als Fake-News entlarvt. Orano hatte am 1. August 2023 angekündigt, ihre Operationen liefen weiter. Und das französische Außenministerium spielte die Bedeutung des Nigers herunter. Die Versorgung sei extrem diversifiziert.
So eine Ankündigung ist jedoch auch extrem unwahrscheinlich, wie Telepolis einen Spezialisten zitiert: „In den meisten Staatsstreichen, die Niger erlebt hat, wurde der Uransektor nie grundlegend infrage gestellt.“ Auch Burkina Faso und Mali, die sich militärisch von Frankreich und dem Westen abwendeten, hätten alle Wirtschaftsbeziehungen mit Frankreich und anderen Ländern aufrechterhalten.
Bei der Bevölkerung kommen Einnahmen aus dem Urangeschäft kaum an. Auf dem Human Development Index nimmt der Niger von 191 Ländern den 189. Platz ein. Über 40% der Bevölkerung lebt in Armut. Zum Abschöpfen der Profite kommt zudem auch die Auslagerung der Schäden durch den Bergbau auf die Bevölkerung. In der Uranregion Arlit leiden viele Menschen an Krankheiten durch den gelben Staub. Anders als europäische Minenarbeiter können sie jedoch keine Wiedergutmachung fordern.
Endziel Migrationsbekämpfung?
Zudem griffen die beiden letzten Präsidenten, Bazoum und sein Vorgänger und Parteikollege Mahamadou Issoufou, stets zu, als sich die Möglichkeit bot, Geldtransfers und Sicherheitstechnologie und -infrastruktur im Tausch gegen die Zusammenarbeit in der Migrationsbekämpfung zu bekommen. Wie im Sudan wurden dadurch alle möglichen Dienstleistungen gegenüber Migrant*innen kriminalisiert. In einem Wüstenland, in dem der Transport durch schwieriges Gebiet mit der dazugehörigen Gastwirtschaft traditionell eine wichtige Einkommensquelle ist, machte man sich dadurch wenig Freunde in der Bevölkerung.
Doch die EU bindet Entwicklungshilfezahlungen, Rüstungsexporte und andere Hilfen schon länger vorrangig an die Kooperation in der Migrationsbekämpfung und Rücknahmeabkommen – weit mehr als an Werte wie Demokratie und der Achtung der Menschenrechte. Der neuen Junta bleibt somit ein weiterer Bereich, in dem sie ihre Kooperationswilligkeit mit den westlichen Mächten beweisen können – solange sie dies mit den Interessen der antikolonialen Bewegung in der Bevölkerung balanciert bekommen.
Besser kein Krieg
Während die nigrischen Putschisten Macron kürzlich des Aufstachelns einer militärischen Lösung bezichtigten, weil er die anders gestimmten Staatschefs in der ECOWAS kritisierte, wird eine Intervention immer unwahrscheinlicher. Der nigerianische Senat, der laut Verfassung einem äußeren Militäreinsatz zustimmen muss, verweigert seine Unterstützung. Algerien, eine der größten Militärmächte des Kontinents, lehnte eine Militäraktion in der Nachbarschaft ab. Mit der Verlautbarung, es habe eine französische Anfrage nach Überflugrechten für eine Intervention abgelehnt, goss es noch einmal Öl ins antikoloniale Feuer. Zudem stellte sich nicht einmal der Tschad, dessen derzeitiger Herrscher die Macht entgegen verfassungsmäßiger Vorschriften von seinem Vater übernahm und dafür Unterstützung von Frankreich bekam, hinter die Intervention, sondern versuchte stattdessen zu vermitteln. Nachdem ein französischer Soldat dort kürzlich einen tschadischen Soldaten (wohl in Notwehr) erschoss, werden auch dort die Rufe nach dem Abzug des französischen Militärs lauter und hallen in höheren politischen Kreisen wider. Wird Frankreich den Sahel verloren geben können? Während den September über mehrfach tausende Protestierende vor der französischen Basis deren Abzug forderten, bezichtigte die Junta Frankreich am 10. September, Kräfte für die Intervention in den Nachbarländern zu stationieren.
Der Beitrag wurde Mitte September 2023 fertiggestellt.