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Bundeswehr-Ost:
Probleme ehemaliger NVA-Soldaten vor Ort aufgespürt
vonDie frühere Nationale Volksarmee (NVA), vor allem aber ihr Offizierkorps haben im Verlauf der friedlich Revolution in der DDR in einem permanenten Spannungsfeld besonderer Art gestanden. Wurde auch im Nachhinein immer wieder versucht, die Rolle der NVA zu verklären, so mangelte es nicht an solchen Kräften auch innerhalb der Streitkräfte, die bis zuletzt einen Einsatz von NVA-Truppen gegen das Volk für gerechtfertigt hielten. Es mutet deshalb wie ein Hohn an, wenn Honecker noch heute behauptet, daß eine "chinesische Lösung" nie in Erwägung gezogen wurde. Sah doch die Wirklichkeit ganz anders aus.
Schon mit der Zunahme der Spannungen in der früheren DDR, Mitte des Jahres 1989, wurde durch die NVA-Führung der militärische Einsatz gegen die eigene Bevölkerung vorbereitet. Sogenannte Hundertschaften, in denen je ein Offizier für neun Mann verantwortlich war, standen in den Garnisonen im Umfeld der neuralgischen Städte in Bereitschaft. Noch am 11. November 1989, zwei Tage nach Öffnung der Mauer, lösten führende Vertreter des Straußberger Verteidigungsministeriums für die 1. motorisierte Schützendivision Potsdam Gefechtsbereitschaft aus, um die Regimenter mit schwerem Gerät nach Berlin zu schicken.
Bürden der Bundeswehr-Ost
Die in dieser Zeit entstandenen und sich in der Folge bis 3. Oktober 1990 noch verschärfenden moralischen Konflikte innerhalb des Offizierskorps der NVA sind nie endgültig bewältigt worden, und vieles davon wird heute zwangsläufig als Bürde mit in den Integrationsprozeß der beiden deutschen Armeen hineingenommen. Eine Ursache dafür findet sich darin, daß die gleich nach der Wende beginnenden Selbstreinigungsversuche des NVA-Offizierskorps von restaurativen Kräften vor allem in der NVA-Spitze in den ersten Ansätzen erstickt und teilweise in das Gegenteil umgekehrt wurde. Der bis nahezu zur letzten Stunde vor der Vereinigung in den alten Kommandostrukturen wirksame reaktionäre Kern der militärischen Führung hat mehr seine Überlebensstrategie verwirklicht, als in genügender Weise das Gros des Offizierskorps psychisch und moralisch auf die mit der Vereinigung verbundenen menschlichen Probleme vorzubereiten. Damit war eigentlich vorprogrammiert, daß sich die Integration in die Bundeswehr für den einzelnen Ex-NVA-Soldaten oftmals so schmerzlich vollzieht.
Um die aktuelle Situation kennenzulernen und Probleme zu hinterfragen, lag es nahe, nach Lehnitz zu gehen, wo am 11. November 1989 der von Ex-Verteidigungsminister Kealer bestrittene Einsatzbefehl für die Potsdamer Division unmittelbar ankam.
Kontinuität
Es war sicher der Feiertagsperiode geschuldet, daß die Kaserne des ehemaligen Artillerieregiments 1 von außen einen gespenstisch verlassenen Eindruck vermittelte. Die Wachsoldaten am Eingangstor, beide Bundeswehr-Ost, also ehemals NVA, vermittelten höflich an den Kommandeur. Auf die Frage, welche Erfahrungen sie als Wehrpflichtige seit dem Uniformwechsel gemacht haben, sagen beide übereinstimmend, es sei nahezu alles wie vorher, nur der Stress habe sich verringert.
Der Kommandeur war ohne zu zögern zu einem Gespräch bereit. Zu meiner Überraschung saß mir nicht ein Offizier der Bundeswehr-West gegenüber, sondern Oberstleutnant Dietmar Landmann, der seit 1987 diesen Dienstposten innehat. Der gleiche Kommandeur also, der im November 1989 den bestrittenen Einsatzbefehl für das Regiment auf dem Tisch hatte und in dessen Verantwortung die Vorbereitung des Personals sowie des schweren Geräts einschließlich seiner Aufmunitionierung lag. Dabei ist auch Hauptmann Thomas Schopf, derzeit für die Personalarbeit im Regiment verantwortlich. Schopf bestätigte, daß 1989 im Regiment drei Hundertschaften in Bereitschaft standen. Eine davon kam am 8. Oktober 1989 in Berlin unter Polizeikommando zum Einsatz, an dem er selbst teilnahm. Mit sehr beklommenen Gefühlen, wie er heute reflektiert.
Seit dem 3. Oktober 1990 gehört das ehemalige NVA-Artillerieregiment zur Bundeswehr. Mit Hilfe eines mehrköpfigen Unterstützungsteams aus Hannover wird nunmehr das Panzer-Artillerie-Bataillon 425 und eine Panzerjägerkompanie in Lehnitz formiert. Noch sind die künftigen Strukturen verschwommen und die praktischen Fragen sozialer Natur vordergründig und drängender.
32 Offiziere des ehemaligen NVA-Regimentes haben den Antrag auf freiwilligen Dienst in der Bundeswehr als Soldat auf Zeit gestellt. Einige davon sind bereits bestätigt, aber für viele, darunter auch Oberstleutnant Landmann, ist die Bestätigung noch offen. Wie geht es dann nach zwei Jahren weiter? Auch hierauf gibt es gegenwärtig noch keine Antwort.
Sicher ist jedoch, daß nahezu alle ehemaligen Zivilbeschäftigten des Regimentes eine Stelle als ziviler Bediensteter der Bundeswehr erhalten. Die angestrebte Bezahlung von 65 % der westlichen Gehälter liegt dann in vielen Füllen über der Besoldung der unteren Ränge der Zeitsoldaten. Darüber wird ernsthaft gesprochen. Noch dazu jeder Offizier der Ex-NVA Abgaben zu entrichten hat, die für Bundeswehroffiziere nicht üblich sind. Allein die Tatsache der gravierenden Besoldungsunterschiede vertieft bei vielen ehemaligen NVA-Offizieren das Gefühl, Soldaten zweiter Klasse zu sein.
Auf der einen Seite ergeben sich aus der zu geringen Transparenz des Eingliederungsprozesses der Ex-NVA in die Bundeswehr oftmals unnötige Spannungsfelder, und andererseits bereiten die Unmengen an militärischem Gerät, vor allen an Sprengstoff und Munition, Probleme, die nur in gemeinsamer Arbeit lösbar sind. Allein im Lehnitzer Objekt lagern 550 - 600 Tonnen Munition aller Art, die mit nur 16 Mann zu bewachen sind.
300.000 Tonnen Munition sind die Hinterlassenschaft der NVA insgesamt. Die Zahl von 1 Million Panzerminen spricht dabei ihre eigene Sprache. Ökonomisch und ökologisch verträgliche Abrüstung ist eine kreative Herausforderung, durch die das geistige Zusammenwachsen der Soldaten aus Ost und West einen ganz besonderen Schub erhalten könnte.