Rotgrüner Angriff auf den sozialen Frieden

von Bodo Zeuner
Hintergrund
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(ms) Nicht nur außenpolitisch, auch innenpolitisch wird unter rotgrün kräftig zugelangt. Eine bundesweit verbreitete Anzeigenkampagne der Urenkel von Adenauer (Rosenzüchter) soll mit der Bildsymbolik von Rose und Rosenschere verdeutlichen: "Gezielte Schnitte fördern das Wachstum". Leider fehlen in der Anzeige die zerstückelten Renter und Arbeitslosen. Mit dem Rosenduft will rotgrün uns umnebeln. Widerstand gegen eine solche Politik des permanenten Sozialabbaus - verschönernd mal Modernisierung mal Umbau genannt - ist angesagt, etwa wie bei den Euromärschen in Köln. Das Schröder-Blair-Papier hat dem ganzen noch eins drauf gesetzt. Nach dem Motto: Raus aus dem sozialen Netz; hinauf auf das Sprungbrett der Eigeninitiative. Da auch Friedensbewegten die sozialen Zustände in unserem Lande nicht egal sein dürfen, geben wir nachstehend einen Kommentar von Bodo Zeuner zum Schröder-Blair-Papier wider (aus: FR v. 17.6.99), der einem längeren Vortrag entnommen ist.

Der Bruch der Sozialdemokraten mit der Arbeiterbewegung

Ich zögere, das Papier "programmatisch" zu nennen, denn dazu fehlt es meist an Konkretion und immer an begründender Argumentation. Es ist eher eine Anhäufung von suggestiv-plakativen Setzungen, mit denen Definitionsmacht beansprucht wird, mit fließenden Übergängen im Peinlich-Banalen, etwa: "Moderne Sozialdemokraten lösen Probleme, wo sie sich am besten lösen lassen."

Dennoch ist die Richtung eindeutig: Gesetzt wird auf fast alle Dogmen von Neoliberalismus, ökonomischer Angebotstheorie, Marktabsolutismus und Konkurrenzverschärfung - einschließlich der sozialdarwinistischen Implikationen. Dieses Papier verdammt in unfreiwilliger Komik "ideologische Vorbedingungen", obwohl es einen ideologischen Glaubenssatz auf den anderen türmt. Das Vertrauen in "Unternehmensgeist", "Wettbewerb", "einwandfreies Spiel der Marktkräfte", "Bildung von Sparkapital" (zur Bildungsfinanzierung) ist grenzenlos; folglich gilt die Senkung von Unternehmenssteuern als Königsweg zur Senkung der Arbeitslosigkeit.
 

In ihrem Misstrauen gegenüber dem Staat dagegen sind Blair und Schröder bemüht, hinter ihren Vorgängern Thatcher und Kohl/Rexroth keineswegs zurückzubleiben. Zwar wird zuweilen vom "aktiven" Staat, der "steuern" soll, gesprochen, aber bei näherem Hinsehen heißt das nur Abbau eines gemeinwohlorientierten Interventionsstaates: Nicht nur die "Steuerbelastung von harter (sic!) Arbeit und Unternehmertum" wird als zu hoch definiert, es wird auch eine ebenfalls zu reduzierende "Regulierungslast" entdeckt. Und beim Thema öffentlicher Dienst verfallen die "modernen Sozialdemokraten" sogar in das Vokabular des Unmenschen: Es geht ihnen darum, "die Qualität öffentlicher Dienste rigoros zu überwachen und schlechte Leistungen auszumerzen". Befehlston auch, wenn es um die Arbeitsbeziehungen geht: Blair und Schröder sind sicher, "dass die traditionellen Konflikte am Arbeitsplatz überwunden werden müssen". Gesellschaftlich wird mehr Ungleichheit nicht nur in Kauf genommen, sondern angestrebt: "Soziale Gerechtigkeit" sei etwas anderes als "Gleichheit", "Diversität und herausragender Leistung" gebühre mehr Belohnung, den Verlierern des Modernisierungsprozesses wird dagegen angeboten, genauer, dass "moderne Sozialdemokraten ... das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln" wollen. Ein Niedriglohnsektor gilt als erwünscht, um Arbeitslosigkeit zu mindern. Zusammengefasst: "Moderne Sozialdemokraten" fordern und fördern eine Gesellschaft, in der alle Menschen als "Kapital"-Besitzer zueinander in Konkurrenz gesetzt werden und die Verlierer noch mehr verlieren und die Gewinner noch mehr gewinnen. Die schon eingetretene und sich weiter verschärfende Gesellschaftsspaltung ist für sie kein Problem. Sie zielen auf eine "neue Mitte" und meinen damit dasselbe, was einst ein FDP-Generalsekretär meinte, als er seine Partei als "Partei der Besserverdienenden" anzupreisen versuchte. Es ist deshalb ideologisch konsequent, wenn die FDP-Fraktion des Bundestages das Blair-Schröder-Papier als ihren Entscheidungsantrag in den Bundestag einbringt.
 

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Bodo Zeuner ist Politikwissenschaftler in Berlin