Seelsorge an Soldaten statt Militärseelsorge

von Axel Noack

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik: In der täglichen Praxis hatte ich in all den vergangenen Jahren nie so wenig mit Soldaten und deren Problemen zu tun wie heute, und nie habe ich so viel über Militärseel­sorge und Kirchliche Arbeit in den Kasernen reden und schreiben müs­sen, wie ich es z.Z. tue. Die Erklärung dafür ist relativ einfach: Es gibt kaum noch Soldaten bei uns. Die wenigen Christen unter ihnen sind in der Regel in den Zivildienst übergegangen. Von den Offizieren durfte ohnehin keiner zur Kirche gehören.

Die Hilfe unserer Kirche, die vor der Wende von den Soldaten gern in An­spruch genommen worden war, war vor allem praktischer Art. Bei uns im Pfarr­haus waren immer Kartons mit den Zi­vilsachen von Soldaten gestapelt, die diese nicht in den Kasernen haben durften. Etliche kamen und sei es nur, um die Tagesschau sehen zu können. Im Pfarrhof parkten Autos von Reservisten, und öfter wurde ein Nachtquartier für Ehefrau oder Freundin gesucht. Das al­les ist nun weggefallen. Heimatnähe und Zivilerlaubnis sind dafür die Gründe. Auch waren immer einige der Soldaten in unseren Jugendkreis integriert. Zum Teil entstanden sehr feste Bindungen, und gar nicht so wenige bezeugen, daß ihnen gerade diese Bindung geholfen hat, ihre Armeezeit durchzustehen. Zu­gegeben: Es waren immer nur wenige und immer war es ganz unsicher, ob sie heute würden "raus" dürfen. Zum Got­tesdienst kamen sie ohnehin meist zu spät. Das waren die kleinen Schikanen der Vorgesetzten.

Ich erzähle das so ausführlich, weil in den alten Bundesländern oft der Ein­druck herrscht, wir in der DDR hätten uns um die Arbeit mit und unter Solda­ten gedrückt. Bei Pfarrern, die in der Nähe von Kasernen leben, wurden die Wohnung, die Zeit und der Kühlschrank vermutlich mindestens so sehr in An­spruch genommen wie bei bundesdeut­schen Militärpfarrern.

Trennung von Staat und Kirche

Die Nähe der Seelsorge an Soldaten zur normalen Kirchengemeinde war für uns eine gute, wichtige Erfahrung. Ohne Not wollen wir sie nicht aufgeben. Die Möglichkeiten, die der Militärseelsorgevertrag der kirchlichen Arbeit an den Soldaten eröffnet, sind ungeheuer ver­lockend. Besonders die finanzielle Aus­stattung der Militärseelsorge wird auch in den neuen Bundesländern ein Argu­ment sein, dem letztlich nur wenige wi­derstehen werden. Wer Geld hat, hat wohl auch in der Kirche Recht. Ich meine trotzdem: Auch wenn Kirche und Staat in der Bundesrepublik in vielerlei Hinsicht verflochten (besonders finanzi­ell verflochten!) sind (Sozialarbeit, Kin­derarbeit, Theol. Fakultäten usw.), kann m.E. daraus nicht die Berechtigung zur Annahme des Militärseelsorgevertrages abgeleitet werden. Gerade das sensible Thema "Kirche, Wehr und Waffen" zwingt zu einer völligen, auch nach au­ßen sichtbaren Trennung von Staat und Kirche. Da darf nicht der kleinste Ein­druck von institutioneller Verquickung und finanzieller Abhängigkeit entstehen. Daran darf auch der beste aller Militär­seelsorgeverträge nichts ändern. Auch um der Brüder und Schwestern im Mi­litärpfarramt willen muß diese Trennung deutlich bleiben. Die Strukturen predi­gen mit. Sie können sogar zur Gegen­predigt werden.

Für uns in den neuen Bundesländern kommt noch ein weiterer Umstand hinzu. Bisher hatten wir ausschließlich mit Soldaten zu tun, die sich danach sehnten, ihre Armeezeit (DDR-Jargon: "Asche") hinter sich zu haben. Es ist für uns eine völlig neue und ungewohnte Erfahrung, wenn wir jetzt Menschen begegnen, die ihren Beruf als Offizier oder länger dienender Soldat gern aus­üben. Gerade um diesen Menschen wirklich nahe kommen zu können, brauchen wir die Freiheit unserer Verkündigung und die strukturelle Unab­hängigkeit wie die Luft zum Atmen. Aus all diesen Gründen resultiert unser derzeitiger Beschluß zur Seelsorge an Soldaten:

"1. Die Seelsorge an den Soldaten ist eine Aufgabe der Kirchen. In den Gliedkirchen des Bundes der Evangeli­schen Kirchen wird diese Aufgabe in enger Bezogenheit zu den Ortskirchen­gemeinden wahrgenommen. Eine An­wendung des Militärseelsorgevertrages erfolgt nicht." (Konferenz der Evang. Kirchenleitungen, 12. Januar 1991)

Ganz praktisch wird da noch manche Regelung zu treffen sein. Auch die be­sondere oder auch hauptamtliche Be­auftragung von Pfarrern, Pastorinnen und Jugendmitarbeitern ist denkbar. Wichtig ist nur zweierlei:

  1. Beauftragung, Verantwortung und Bezahlung der kirchlichen Mitarbei­ter erfolgen allein durch die Kirche.
  2. In Verhandlungen mit dem Verteidi­gungsministerium werden wir unsere Wünsche und Bitten vortragen. Den uns zugestandenen Spielraum - der ja schon vom Grundgesetz eingeräumt ist - werden wir voll ausschöpfen. Die Zweideutigkeiten der Militär­seelsorge können so umgangen wer­den.

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Initiativen
Axel Noack ist Pfarrer in Wolfen und Greppin. Er ist in der Leitung des Bundes der Ev. Kirchen und in der Gemeinsamen Kommission von EKD und Bund.