Erfahrungsbericht betreffs Ausreiseverbot anlässlich der Demonstrationen zum G8-Gipfel in Genua

"Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!"

von Marcus Hawel
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Im Vorfeld der Proteste in Genua war die Atmosphäre schon gehörig angeheizt durch Meldungen und Berichte, die durch die Presse gingen und das Schlimmste befürchten ließen. Eine Strategie der Einschüchterung: Da war die Rede von Kühlhäusern, die zu Leichenhallen umfunktioniert wurden, von Briefbombenanschlägen, Hausdurchsuchungen und Festnahmen von italienischen Aktivisten. Parallel konnte man im Fernsehen verfolgen, wie der italienische Staat seine Sicherheitskräfte zum G8-Gipfel in Genua militärisch hochrüstete und die genuesische Innenstadt in eine uneinnehmbare Festung verwandelte. Die vorsätzlich einschüchternde Botschaft an alle anreisenden Demonstranten war mehr als eindeutig: Bleibt lieber zu Hause! Die Organisatoren der Busfahrt nach Genua wurden vom Staatsschutz aufgesucht und nach potentiellen Gewalttätern im Bus befragt, für die sich die Organisatoren verantwortlich zeichnen müssten.

Jeder, der sich entschlossen hatte, zu den Protesten nach Genua zu fahren, ahnte worauf er sich einlassen würde und fühlte sich a priori kriminalisiert. Wir prognostizierten bereits Tage zuvor, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Gefahren in Genua kommen könnte. Angesichts der stufenweise eskalierenden Konfrontation zwischen Polizeikräften und den Globalisierungskritikern, ausgehend von den Straßenschlachten in Prag und den anschließenden schon an Folter erinnernden Methoden der tschechischen Polizei bis zu dem damals zwischenzeitigen Höhepunkt der Gewaltspirale: den Schüssen in Göteborg, war es auch nicht sonderlich kühn, solche Prognosen anzustellen. Das semifaschistische Gebaren der Carabinieri in Genua, welches mit der Hinrichtung des Carlo G. seinen absoluten traurigen Höhepunkt fand, war für uns jedenfalls nicht ganz so überraschend, wie für die liberale Öffentlichkeit.

Mit mulmigem Gefühl reiste ich in einem der organisierten Politbusse an. Das Schengener Abkommen war außer Kraft gesetzt. An den Grenzen, so befürchteten wir zu Recht, könnten langwierige Kontrollen über uns ergehen. Für den Fall, dass uns oder einigen aus dem Bus ein Ausreise- oder Einreiseverbot erteilt werden würde, hatten wir uns eine Strategie überlegt. Es war geplant, die Grenzpassagen mit fünf weiteren Politbussen, die aus anderen norddeutschen Großstädten anreisten, gemeinsam vorzunehmen, um bei etwaigen Komplikationen an den Grenzübergängen schlagkräftig protestieren zu können. Gleichwohl gab es den berechtigten Einwand, dass man etwa dem BGS keine zusätzlichen Gründe für Ausreiseverweigerungen geben sollte.
 

Bereits einige Kilometer vor dem deutsch-schweizerischen Grenzübergang wurden wir vom BGS patroulliert. An der Grenze wurden wir dann gründlich in Augenschein genommen. Zunächst wurden unsere Pässe eingesammelt, um die Personalien mit den gespeicherten Daten der sogenannten "Gewalttäterdatei-links" abzugleichen. Den Bus durften wir während der Überprüfung nicht verlassen. Es mussten sogar die Türen geschlossen bleiben, was wegen der mittlerweile immer schlechter werdenden Luft, bereits für einigen Unmut sorgte. Es dauerte ungefähr eine Stunde, bis schließlich ein halbes Dutzend BGS-Beamte den Bus betraten, um eine Handgepäckkontrolle vorzunehmen. Parallel dazu wurde auch das Gepäck im Kofferraum durchsucht. Ich widersprach dem BGS in seiner Absicht, das Gepäck im Kofferraum durchsuchen zu wollen, ohne dass einer von uns die Möglichkeit habe, dabei zu sein, denn wir sollten alle im Bus bleiben. Dem wurde dann auch stattgegeben. Ironisierend wurde mir von einem BGS-Beamten entgegnet, in dieser Hinsicht könnten wir ihnen schon vertrauen. - Ich antwortete auf dieselben ironische Weise: "So wie Sie uns vertrauen? - Wie heißt es doch so schön, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser."

Ich erwähne diesen Wortlaut, weil ich vermute, dass er mit ein Grund gewesen ist, weshalb es bei mir zu einem Ausreiseverbot gekommen ist. In einem Gespräch mit dem ZEIT-Journalisten Jochen Bittner, das ich einige Tage danach geführt habe, erzählte dieser mir eines seiner Rechercheergebnisse, das etwas über das psychologische Menschenbild der Polizei verrät: Wenn so ein Bus mit politischen Demonstranten an der Grenze kontrolliert wird, dann gibt es unter den BGS-Beamten eine Person, die nichts anderes machen soll, als das Verhalten der Businsassen zu beobachten. Absichtlich werden kleinere, provozierende Restriktionen ausgesprochen - etwa ein Verbot, den Bus zu verlassen und bei Gepäckdurchsuchungen nicht dabei sein zu dürfen. Selbstbewusste Personen, die ihre Rechte kennen und vor der Staatsgewalt nicht davor zurückscheuen, diese auch einzufordern, können sich zu einem unbotmäßigen Verhalten gegenüber der Staatsgewalt veranlasst fühlen, und darauf komme es den BGS-Beamten an. Die Schlussfolgerung, dass sich ein politischer Gewalttäter in solchen Situationen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu einem unbotmäßigen Verhalten veranlasst sieht, wird hier einfach umgekehrt: jemand, der bei kleineren Sticheleien zu einem unbotmäßigen Verhalten gegenüber der Staatsgewalt neigt, ist gemäß des psychologischen Menschenbildes der Polizei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ein potentieller Gewalttäter. Wenn dann auch noch etwas gegen diese Person vorliegt, dann wird ein Ausreiseverbot auf der rechtlichen Grundlage einer Gefahrenprognose ausgesprochen.

Wenn man das weiß, kann man sich dazu taktisch verhalten. Doch wo ist die Grenze der Zumutbarkeit? Der BGS-Beamte wühlte in meiner Tasche und fand einige Informationsmaterialien: Stadtpläne von Genua, Demorouten, Adressen von Sammelplätzen, Infopoints und Unterbringungsmöglichkeiten sowie etwas theoretisches Material zur Globalisierung und eine Institutionengeschichte über Weltbank, IWF und G8. Es waren alles Informationen, die jeder zu seiner Vorbereitung für die Demonstration in seinem Rucksack verstaut hatte - nichts, was aus politischer Sicht nicht in die Hände der Polizei hätte kommen dürfen - alles war übers Internet und auf traditionellem Wege öffentlich zugänglich gemacht worden. Der BGS-Beamte befand aber, es müsse sich bei meinen Materialien um wichtige Dokumente handeln, wie er sagte, die der Polizei Aufschluss geben könne über den beabsichtigten Verlauf der geplanten Demonstrationen. Er wollte das Material beschlagnahmen. Ich konnte das nicht einsehen und weigerte mich, es komplett auszuhändigen. Gerne könne er es sich anschauen, immerhin sei es ja zur Aufklärung da, aber dann müsse er es mir wiedergeben.

Ich möchte noch anfügen, dass ich im Besitz eines Presseausweises bin, diesen auch während der Kontrolle vorgezeigt habe, und aus diesem Grund in besonderem Maße erstaunt war, dass ausgerechnet bei mir der BGS-Beamte sich auf die Idee versteifte, unwichtiges Informationsmaterial zu geheimen Dokumenten hochzustilisieren, weil er unbedingt etwas beschlagnahmen wollte.

Nach den intensiven Kontrollen und Durchsuchungen wurde verkündet, dass alle bis auf einen ausreisen dürften. Mir wurde ein Ausreiseverbot erteilt. Eine Begründung für das Ausreiseverbot sollte mir zunächst nicht mitgeteilt werden. Als aber die Atmosphäre immer hitziger wurde und sich bereits Journalisten für unseren Bus zu interessieren begannen, hieß es ganz lapidar, ich sei in der Datei für Landfriedensbruch verzeichnet; etwas Genaueres könne man mir nicht mitteilen. Nun wurde ich etwas lauter und forderte mein Recht auf Information ein. Schließlich wurde ich in einen BGS-Bus gebeten, weil man mir nicht in der Öffentlichkeit die Gründe mitteilen dürfe. In diesem Bus wurden mir die Aktenzeichen zum Mitschreiben mitgeteilt, für den Fall, dass ich gegen das erteilte Ausreiseverbot Widerspruch einlegen wolle. Dafür müsse ich freilich einen Anwalt aufsuchen, und das Verwaltungsgericht, welches darüber zu entscheiden habe, befinde sich in Freiburg - knapp 50 Kilometer von der Grenze entfernt. Der Reisepass wurde zunächst eingezogen und sollte mir an meine Adresse mit der Post zugestellt werden, wenn der das Ausreiseverbot betreffende Zeitraum abgelaufen sei.

Dann wurde auf massive Weise versucht, mir den Kontakt zu Presse zu verbieten. Ein aberwitziger Versuch, der rechtliche Folgen für die betreffende Beamtin gehabt hätte, wenn ich einen Zeugen für diesen Einschüchterungsversuch hätte vorweisen können - insofern ist es wirklich ratsam, niemals alleine mit der Staatsgewalt in Situationen wie diesen zu sprechen.

Ich wandte mich natürlich an die Presse und gab einige Interviews für Zeitungen, Radio und Fernsehen. Danach fuhr ich mit meiner Freundin nach Freiburg, um eine Aufhebung des Ausreiseverbotes im Eilverfahren zu erwirken. Das Begehren wurde vom Verwaltungsgericht abgelehnt mit der Begründung, dass eine vom BGS zu erstellende Gefahrenprognose in der Eile, die bei einem Grenzübertritt geboten sei, nicht immer umfassend genug sein könne; jedenfalls sei ausschlaggebend, dass ich in der sogenannten "Gewalttäterdatei-links" aufgeführt sei, und in diesem Fall überwiegten die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber meinen individuellen. Es bestünden keine Zweifel an der vom BGS erhobenen Gefahrenprognose, dass ich als potentieller Gewalttäter einzustufen sei und das Ansehen Deutschlands im Ausland schädigen könnte.

Zwei Hinweise ergaben sich aufgrund der Ermittlungen meines Anwaltes, warum ich in der ominösen "Gewalttäterdatei verzeichnet bin: Ich war einmal vor einigen Jahren auf dem Weg zu einer Demonstration in Hannover gegen Gegner der Wehrmachtsaustellung in eine Polizeikontrolle geraten und hatte ein CS-Gas bei mir, um mich auf dem Nachhauseweg notfalls gegen Übergriffe von Neo-Nazis verteidigen zu können. Das CS-Gas wurde eingezogen; es gab Wochen später eine Vorladung bei der Polizei und eine sofortige Einstellung des Verfahrens, weil ich glaubhaft machen konnte, dass ich nicht im Sinn hatte, das CS-Gas als Waffe gegen die Polizei oder Gegendemonstranten einzusetzen. Bei Frauen wird übrigens das Mitführen von CS-Gas auf einer Demonstration nicht unbedingt als Straftatbestand bewertet.

Zwei Jahre später geriet ich auf einer Demonstration gegen die EXPO 2000 in Hannover in einen Polizeikessel und wurde ohne Straftatbestand zusammen mit 200 anderen Demonstranten für 16 Stunden in Gewahrsam genommen. Damals wurde mir und den anderen informell Landfriedensbruch vorgeworfen - es war nur ein fadenscheiniger Legitimationsvorwand für eine polizeiliche Repression gegen eine gewaltlose Demonstration; es gab kein Verfahren und - so hieß es damals seitens der Polizei nach der Freilassung - die Daten würden wieder gelöscht werden, man wisse sowieso nicht, warum es überhaupt zur Einkesselung gekommen sei.

Meine Daten hätten also überhaupt nicht in der ominösen Datei erfasst werden dürfen; ein mir erteiltes Ausreiseverbot entbehrt jeder rechtsstaatlichen Grundlage. Ich habe folglich meinen Anwalt damit beauftragt, ein Klageverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten. In diesem Verfahren wird es auch um die Feststellung gehen, inwieweit das Passgesetz, welches damals angesichts der Fußballkrawalle deutscher Hooligans in Frankreich verschärft wurde, in seiner Anwendung eine unrechtmäßige Ausweitung auf politische Demonstranten erfahren hat. Die Mühlen der Behörden mahlen bekanntlich langsam - mein Anwalt hat bis zum heutigen Tag keine vollständige Akteneinsicht gewährt bekommen und konnte demzufolge bisher nur eine vorläufige Klageschrift formulieren.

Rightnow - Verein zur Wahrung von politischen Rechten e.V. (www.sopos.org/rightnow/)

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Marcus Hawel ist Mitherausgeber der sopos (Sozialistische Positionen).