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Rechtsextreme bei der Bundeswehr: Keine Einzelfälle!
Wie der Staat mit rechten Soldat*innen und ihren Netzwerken umgeht
vonEnde Oktober 2022 besuchte die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht das kleine Städtchen Calw im Nordschwarzwald. Dort ist das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr stationiert. Waren die Besuche von Politiker*innen und Generälen in Calw in den letzten Jahren eher durch Skandale, Problemvermessungen und die Verkündung von Reformvorhaben geprägt, schlägt Lambrecht bei ihrem Antrittsbesuch einen anderen Ton an: „Ich kann den Frauen und Männern beim KSK mein vollstes Vertrauen aussprechen.“
Fünfeinhalb Jahre nach dem Auffliegen des rechtsradikalen Bundeswehrsoldaten Franco Albrecht und seinen Terrorplänen, vier Jahre nach den ersten Berichten über das Hannibal-Netzwerk und knapp zweieinhalb Jahre, nachdem die Zerschlagung des KSK aufgrund gehäufter rechte Vorfälle diskutiert wurde, zieht die Verteidigungsministerin damit einen Schlussstrich.
Keine zwei Monate später, im Dezember 2022 fliegt erneut ein rechtes Netzwerk aus dem Reichsbürger-Milieu auf, das einen Staatsstreich plante. Beteiligt waren unter anderem aktive und ehemalige KSK-Soldaten. Das Netzwerk plante einen Staatsstreich und die Ermordung politischer Gegner*innen. Es gliedert sich in einen Teil, der nach dem Putsch die Regierungsgeschäfte führen sollte und einen militärischen Arm. Chef des militärischen Arms war Rüdiger von P., der von 1993 bis 1996 Kommandeur des Fallschirmjägerbataillons 251 in Calw war, der Vorgängereinheit des KSK. Teil des Führungsstabs war außerdem Maximilian E., Oberst a.D. und Gründungsmitglied des KSK. Ab 1999 führte er als Kommandeur die deutschen Soldat*innen der KFOR-Truppe im Kosovo. Mit Marco van H. und Peter W. waren zwei weitere ehemalige KSK-Soldaten Teil des militärischen Arms des Netzwerks. Peter W. war bereits zuvor aufgefallen, da er Kontakt zu der Gruppe „Vereinte Patrioten“ hatte, die Anfang 2022 mit dem Plan aufgeflogen war, Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu entführen. Mit Andreas M. war auch ein aktiver KSK-Soldat, der im Bereich Logistik tätig war, Teil des militärischen Arms des Netzwerks.
Für die Bundesregierung war dies jedoch kein Grund, noch einmal über eine Auflösung des KSK nachzudenken. Denn das KSK wird, wie die gesamte Bundeswehr, für die von Kanzler Olaf Scholz Ende Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende gebraucht. Skandale um rechte Soldat*innen und Fragen nach nötigen Reformen, gar einer grundlegenden Demokratisierung der Bundeswehr, kommen da äußerst ungelegen. Deshalb steht das alte Narrativ der Einzelfälle weiterhin im Zentrum der politischen Kommunikation.
Das Hannibal-Netzwerk
Bereits in den letzten Jahren ließ sich dieses Narrativ der Einzelfälle bereits bei der juristischen (Nicht-)Aufarbeitung des rechtsradikalen Hannibal-Netzwerks beobachten. Das Netzwerk war über verschiedene Chatgruppen und den Verein Uniter organisiert. Mehrere Personen des Netzwerks legten Feindeslisten und Waffendepots an, planten die Ermordung politischer Gegner*innen und organisierten paramilitärische Trainings. Einige der handelnden Personen gehörten der Polizei und der Bundeswehr, häufig dem KSK, an.
Am 15.7.2022 ging der Prozess gegen Franco Albrecht, der ebenfalls Teil des Netzwerks war, mit der Verurteilung wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft zu Ende. Seitens der Justiz wird er trotz seiner zahlreichen Verbindungen zum Hannibal-Netzwerk als Einzeltäter dargestellt. Dementsprechend ist er auch die einzige Person des Hannibal-Netzwerks, die derzeit nicht auf freiem Fuß ist.
Sein mutmaßlicher Komplize Mathias F., bei dem er aus Angst vor einer Hausdurchsuchung mehr als 1.000 Schuss Bundeswehr-Munition deponierte, stand wegen dieser Munitionsfunde ebenfalls vor Gericht. Wegen dieses Verstoßes gegen das Waffengesetz wurde er zu einem Jahr Bewährungsstrafe verurteilt. Seine rechte Gesinnung und eine mögliche Beihilfe zu den Terrorplanungen spielten bei der Urteilsfindung keine Rolle.
André S. hingegen, der unter dem Decknamen „Hannibal“ einzelne Chatgruppen des Netzwerks administrierte und bei Uniter die Fäden in der Hand hatte, stand zweimal vor Gericht. Allerdings nicht wegen seiner zentralen Rolle in dem Netzwerk, von dem Terrorplanungen ausgingen, sondern wegen harmloserer Tatvorwürfe: Im Februar 2020 wurde er wegen bei ihm gefundener Munition und Granaten aus Bundeswehrbeständen zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt. Im Januar 2022 wurde er zu weiteren 1500 Euro Strafe verurteilt, weil er ein nicht genehmigtes militärtaktisches Reaktionsschießen für Gleichgesinnte durchführte.
Der Administrator der Chatgruppe Nordkreuz, Marko G., saß hingegen in U-Haft, weil die Polizei bei ihm 55.000 Schuss Munition und zahlreiche Waffen fand. Im Dezember endete sein Gerichtsprozess dafür mit einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten. Damit kam er mit Ende des Prozesses frei. Die Frage, was er mit den Waffen und der Munition vorhatte, klammerte das Gericht aus.
Zahlreiche weitere Personen, die sich durchaus strafbar gemacht haben könnten, wurden trotz Ermittlungen nicht einmal angeklagt. Bei Jan-Hendrik H. und Maximilian T. wurde z. B. jeweils eine Todesliste gefunden. Auch Haik J. wurde nie angeklagt, obwohl er mutmaßlich Daten von Polizeicomputern zu einer der Todeslisten beisteuerte.
Nur vermeintliche Einzelfälle
Zentrales Problem der (Nicht-)Aufarbeitung ist, dass die Justiz das Netzwerk als eine Summe vermeintlicher Einzelfälle verhandelte. Auch die Bundesregierung hatte zuvor immer wieder von „Einzelfällen“ gesprochen. Dadurch ging es bei den Gerichtsprozessen, die stattfanden, immer wieder um Waffen- und Munitionsdepots, jedoch nie darum, welche gemeinsamen Pläne die jeweiligen Personen mit diesen Waffen hatten. Das Netzwerk bleibt deshalb leider weiterhin gefährlich.
Eine zentrale Rolle in rechten Netzwerken um die Bundeswehr spielt auch immer wieder die AfD. So haben beispielsweise die oben genannten Nordkreuz-Mitglieder Marko G. und Haik J. ein AfD-Parteibuch. Haik J. wurde sogar, noch während die Terrorermittlungen gegen ihn liefen und auch öffentlich bekannt waren, in den Arbeitskreis für Innere Sicherheit der AfD Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Auch dem engen Freund und mutmaßlichen Komplizen von Franco Albrecht, Maximilian T., bei dem eine Feindesliste gefunden wurde, kam seine AfD-Mitgliedschaft zugute: Ebenfalls noch während Terrorermittlungen gegen ihn geführt wurden, stellte ihn der AfD-Bundestagsabgeordnete Jan Nolte als wissenschaftlichen Mitarbeiter im Bundestag ein.
Im Ende 2022 aufgedeckten Reichsbürger-Netzwerk war sogar eine ehemalige AfD-Abgeordnete direkt beteiligt: Birgit Malsack-Winkemann. Für sie war die Rolle der Justizministerin in der Putschregierung vorgesehen.
Die Nähe der AfD zu diesen rechten Netzwerken ist kein Zufall, sondern Teil einer rechten Strategie. Der AfD-Politiker Björn Höcke betrachtet Teile von Militär, Polizei und Verwaltung als wichtigen Bestandteil in seinen rechten Revolutionsfantasien. In seinem Buch „Nie zweimal in denselben Fluß“ schreibt er: Neben den zwei „Fronten“ auf der Straße und der AfD im Parlament sei auch noch eine dritte ‚Front‘ wichtig, um das System zu stürzen. Diese bestehe aus „frustrierten Teilen des Staats- und Sicherheitsapparates“.
All die hier beschriebenen Fälle sind keine Einzelfälle. Sie sind in Netzwerke eingebettet, die der Bundeswehr als Nährboden entspringen.
Weitere Informationen und Quellen: https://www.imi-online.de/2022/12/08/keine-einzelfaelle/