Rohstoffpolitik im Interesse der Industrie

Wie sich die deutsche Industrie um ihre menschenrechtliche Verantwortung drückt

von Michael Reckordt

Wir dürfen die Menschenrechte nicht privatisieren“, sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, am 3. Juli 2014 im Haus der deutschen Wirtschaft. Eigentlich sollte seine Eröffnungsrede zum 4. BDI-Rohstoffkongress unter dem Motto des Kongresses stehen: „Rohstoffversorgung verantwortungsvoll und nachhaltig sichern“. Doch der Beitrag von Grillo macht deutlich, dass Verantwortung und Nachhaltigkeit nicht im Zentrum des Interesses der deutschen Industrie stehen. Stattdessen geht es hauptsächlich um die eigene Versorgungssicherheit. Noch im Jahr 2010 hieß es beim BDI: „Der sichere Zugang auch zu nichtenergetischen Rohstoffen ist für die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und die Zukunftsfähigkeit des Industrielands Deutschland von grundlegender Bedeutung.“

Seit dem 1. BDI-Rohstoffkongress im Jahr 2005 hat die jeweilige Bundesregierung der Industrie ihre rohstoffpolitischen Wünsche weitgehend erfüllt. Die „Rohstoffstrategie der Bundesregierung“ (BMWi 2010) (1) – präsentiert auf dem 3. BDI-Rohstoffkongress 2010 – liest sich wie der Forderungskatalog des Industrieverbandes. In ihr werden weitere Freihandelsabkommen, eine kohärente Rohstoffdiplomatie und Streitschlichtungsklagen im Rahmen der WTO versprochen. Die Strategie sagt darüber hinaus eine stärkere Unterstützung der Industrie bei der Diversifizierung der Rohstoffquellen zu, etwa über staatliche Kredite und Investitionsgarantien, geologische Vorerkundungen und eine verbesserte Datenbereitstellung. Zur Beratung und als Dienstleister der Industrie wurde eigens die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) unter dem Dach der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) gegründet. Darüber hinaus wurden bilaterale Rohstoffpartnerschaften mit der Mongolei (Oktober 2011), Kasachstan (Februar 2012) und Peru (Juli 2014) unterzeichnet, in denen außen-, wirtschafts- und entwicklungspolitische Zielsetzungen miteinander verbunden werden (BMWi 2010), obwohl zivilgesellschaftliche Organisationen und Medien die möglichen Risiken solcher Abkommen ausführlich dokumentieren.(2)

Unternehmensverantwortung?
Die Verantwortung der Unternehmen, Menschenrechte zu achten – von Ulrich Grillo fälschlicherweise als Privatisierung wahrgenommen – wird weder in der deutschen Rohstoffstrategie noch in den Rohstoffpartnerschaften thematisiert. Die Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen beim Rohstoffabbau ist laut dem Verständnis der deutschen Industrieverbände Aufgabe der jeweiligen Staaten. Während also multinationale Unternehmen über Investitionsschutzabkommen zunehmend als völkerrechtliche Subjekte die Möglichkeit bekommen Staaten zu verklagen und somit für demokratische Entscheidungen entschädigt werden, sind ihre Pflichten weiterhin freiwilliger Natur.

Im Zuge des Rohstoffabbaus wurden Menschenrechtsverletzungen, Finanzierung von Bürgerkriegsgruppen und Zerstörung der Umwelt in vielen Staaten ausführlich dokumentiert. Dies führte dazu, dass sowohl die ‚UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte‘ als auch die ‚OECD-Leitlinien für Multinationale Unternehmen‘ eine Verantwortung der Unternehmen für die Auswirkungen ihrer unternehmerischen Tätigkeiten betonen. Von Konzernen, die im Bergbau tätig sind – sei es Erkundung, Abbau, Handel oder Finanzierung – sowie von der verarbeitenden Industrie wird verlangt, dass sie eine stärkere Verantwortung über ihre eigenen Aktivitäten undüber ihre Lieferketten wahrnehmen. Diese sogenannte „gebotene Sorgfaltspflicht“ beinhaltet laut den UN-Leitprinzipien, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln, um mit Blick auf ihre eigenen Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette „die Auswirkungen auf die Menschenrechte zu ermitteln, zu verhüten, und zu mildern sowie Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie diesen begegnen“ (UN-Leitprinzipien, Prinzip 15). Für den Bezug von Rohstoffen aus Konfliktgebieten fordert die OECD von Unternehmen die Implementierung eines mehrstufigen Systems, um Risiken in der Lieferkette zu identifizieren und ihnen wirksam zu begegnen. (3)

Freiwilligkeit ist nicht ausreichend
Beide Konzepte scheitern aber an einem zentralen Punkt: sie sind freiwillig und nicht rechtlich bindend. Im Rohstoffsektor gibt es, trotz vieler negativen Erfahrungen auf allen Kontinenten, immer noch keine verbindliche Verantwortung der Unternehmen gegenüber der Einhaltung von Menschenrechten, mit einer Ausnahme: In den USA müssen an der Börse notierte Konzerne seit Mai 2014 verpflichtend berichten, ob sie sogenannte Konfliktrohstoffe (nach Definition: Gold, Tantal, Wolfram und Zinn) (4) verwenden und welche Maßnahmen sie unternehmen, um die gebotene Sorgfaltspflicht entlang ihrer Lieferkette umzusetzen. Das Gesetz – ‚Dodd Frank Act‘ genannt – ist zwar auf Rohstoffe aus der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und seinen neun Nachbarländern (5) begrenzt, doch über die Einbindung der Lieferketten sind auch Unternehmen aus Deutschland, China, etc. betroffen.

Studien belegen, dass durch den Abbau und Handel mit diesen Konfliktrohstoffen der Bürgerkrieg in der DRK wesentlich mitfinanziert worden ist. Bewaffnete Gruppen haben immer wieder durch Zölle oder Abgaben an den Rohstoffen verdienen können. (6) Doch nicht nur für die DRK lässt sich dies beobachten. Auch in anderen Ländern – und zum Teil bei anderen Rohstoffen – findet sich dieses Muster wieder. Die Zentralafrikanische Republik, Kolumbien oder Burma / Myanmar sind weitere Beispiele, in denen Rohstoffe bei der Finanzierung von Konfliktgruppen eine wichtige Rolle spielen. (7)

Der ‚Dodd Frank Act‘ in den USA hat dafür gesorgt, dass zum Beispiel Unternehmen aus der Elektronikindustrie versuchen, einen Imagewechsel zu vollziehen. Innerhalb kürzester Zeit hat es Apple geschafft, dass über die Hälfte seiner Schmelzen in der Zulieferkette als konfliktfrei zertifiziert gelten. (8) Die Zielmarke von 100 Prozent konfliktfrei soll in Kürze erreicht werden. Bei HP sind mittlerweile 60 von 201 Schmelzen zertifiziert und Intel präsentiert den ersten konfliktfreien Prozessor. Auch das niederländische Unternehmen Philips ist in der DRK aktiv und unterstützt konfliktfreie Beschaffung der vier im ‚Dodd Frank Act genannten Rohstoffe. Alle genannten Unternehmen berichten darüber hinaus umfangreich über ihre Bemühungen auf ihren Websites.

Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um erste Schritte, die weiterhin von politischen Maßnahmen flankiert werden müssen und dennoch: von dieser Transparenz und Kontrolle über die Lieferketten sind viele deutsche Unternehmen noch sehr weit entfernt. Keines der großen deutschen Unternehmen aus der Automobil- oder Elektronikindustrie hat sich bisher öffentlich in einem ähnlichen Umfang zu verbindlichen Verpflichtungen zur Transparenz und Sorgfaltspflicht bekannt. Im Gegenteil: eine dem ‚Dodd Frank Act ähnlich verbindliche Regulierung auf EU-Ebene wird mit Hilfe des BDI torpediert.

Im Januar 2013 kündigte EU-Handelskommissar Karel de Gucht eine dem US-Gesetz vergleichbare Verordnung in Europa an. Nachdem der BDI seine Lobbytätigkeiten intensivierte (9), wurde am 5. März 2014 ein sehr abgeschwächter Entwurf präsentiert, der eine Selbst-Zertifizierung von knapp 400 Händlern der vier genannten Mineralien empfiehlt. Die selbst-zertifizierten Berichte sollen an eine noch zu benennende nationale Behörde geschickt werden (10), die wiederum eine „weiße Liste“ erstellt, auf der alle „verantwortungsvollen Importeure, Schmelzen und Händler“ einsehbar wären. Dieses Verfahren ist nicht nur intransparent, sondern bleibt hinter bestehenden, freiwilligen Regelungen weit zurück (z.B. den OECD-Leitlinien oder den UN-Leitprinzipien). Weder wurde die verarbeitende Industrie noch deren Lieferanten eingebunden.

Forderungen der Zivilgesellschaft
Die im AK Rohstoffe zusammengeschlossenen deutschen NGOs fordern daher, dass die EU-Regulierung alle in der EU tätigen Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette verbindlich zur gebotenen Sorgfalt mit Blick auf Konflikte und Menschenrechtsverletzungen verpflichtet. Die OECD-Richtlinie und die UN-Leitprinzipien sollten dafür als Grundlage dienen. Im Gegensatz zu dem ‚Dodd Frank Act sollte die Sorgfaltspflicht nicht auf eine einzelne Region und bestimmte Rohstoffe beschränkt sein, sondern global und für alle metallischen und mineralischen Rohstoffe gelten. Zudem dürfen diese Regulierungen nicht – wie die deutsche Rohstoffstrategie – einseitig die Interessen der Industrie widerspiegeln. Daher sollten auf nationaler und lokaler Ebene neben den zuständigen Regierungsstellen auch zivilgesellschaftliche VertreterInnen sowie VertreterInnen aus dem artisanalen Bergbausektor frühzeitig in die Umsetzung der Regulierung integriert werden. Eine zukünftige EU-Regulierung zum Umgang mit Konfliktrohstoffen muss zudem in ein Bündel von Maßnahmen zur Förderung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, zur Friedenssicherung und zur Verbesserung der wirtschaftlich-sozialen Situation der lokalen Bevölkerungen eingebunden sein.

Durch eine verbindliche Verpflichtung der Industrieunternehmen zur gebotenen Sorgfaltspflicht entlang ihrer Wertschöpfungskette können in Zukunft Menschenrechtsverletzungen frühzeitig erkannt und verhindert werden. Die Politik muss diese Rahmenbedingungen setzen und die Industrie zum Handeln zwingen. Allerdings scheinen Regierung und Ministerien weiterhin auf freiwillige Aktivitäten der Industrie zu setzen und somit eine große Chance für eine global gerechtere Rohstoffpolitik zu verspielen.

 

Anmerkungen
1 BMWi (2010): Rohstoffstrategie der Bundesregierung - Sicherung einer nachhaltigen Rohstoffversorgung Deutschlands mit nicht-energetischen mineralischen Rohstoffen

2 AK Rohstoffe (2014): Damit aus Rohstoffpartnerschaften keine Leidensgemeinschaften werden – Forderungen an die Bundesregierung; online unter: http://alternative-rohstoffwoche.de/wp-content/uploads/2014/07/Rohstoffp...

3 AK Rohstoffe (2014): Für eine umfassende EU-Initiative zur Vermeidung von Konflikten beim Rohstoffabbau!; online unter: http://alternative-rohstoffwoche.de/wp-content/uploads/2014/03/Fuer_eine...
OECD (2013): Due Diligence Guidance for Responsible Supply Chains of Minerals from Conflict-Affected and High-Risk Areas

4 Das US-Gesetz orientiert sich stark an den Empfehlungen der UN-Mission in der DR Kongo, die diese vier Rohstoffe als Finanzierungsmittel für die Bürgerkriegsparteien identifiziert hat.

5 Namentlich: Angola, Burundi, Zentralafrikanische Republik, Republik Kongo, Ruanda, Südsudan, Tansania, Uganda und Sambia

6 Vgl.: Ken Matthysen & Andrés Zaragoza Montejano (2013): ‘Conflict Minerals’ initiatives in DR Congo: Perceptions of local mining communities; online: http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/20131112_HU.pdf

7 Vgl.: Global Witness et al (2013):  Breaking the links between natural resources and conflict: The case for EU regulation; online: http://www.globalwitness.org/sites/default/files/BreakingtheLinks%28ENG%...

8 Eine aktuelle Liste kann auf der Seite von Apple gefunden werden: http://www.apple.com/supplier-responsibility/pdf/Apple_Smelter_List.pdf

9 Report-München (2014): Wie die Wirtschaftslobby gegen Regelungen vorgeht; http://www.br.de/fernsehen/das-erste/sendungen/report-muenchen/videos-un...

10 Laut einer Antwort des Bundeswirtschaftsministerium vom 16. Dezember auf eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion ist dies in Deutschland die BGR: http://bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/P-R/Parlamentarische-Anfragen/18-3391,...

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