Politische Einflussnahme und symbolische Inszenierung

Wieviel Macht hat die G8?

von Juliane Schumacher

Die Geschichte der G8 war von Anfang an auch eine Geschichte des Verlustes an Macht - und des Versuches, diese wiederzugewinnen. Ist das heutige Medienspektakel rund um die Gipfel ein Ausdruck von Machtgewinn? Oder kaschieren die Mitgliedsländer damit ihre internen Krisen?

Proteste gab es keine beim ersten »Weltwirtschaftsgipfel« - abgesehen von der aufgebrachten Intervention der italienischen Abgeordneten im Vorfeld. Italien war übergangen worden, als der französische Präsident Valéry Giscard d`Estaing die Staatschefs der wichtigsten Wirtschaftsnationen - USA, Japan, Großbritannien, Deutschland - im November 1975 zum »Kamingespräch unter Freunden« ins Schloss Rambouillet lud. Mitten im Sturm politischer und sozialer Unruhen, mit einer Inflationsrate von über 20 Prozent, schien Italien nicht gerade der geeignete Partner, um für mehr Ruhe und Stabilität im Weltwirtschaftssystem zu sorgen. Doch der italienische Ministerpräsident Aldo Moro beharrte auf einer Teilnahme. Ahnte er, dass sich der kleine Kreis am Kamin zu einem Gremium aufschwingen würde, das kaum feste Formen, aber umso höhere Ansprüche besitzt? Zu einem Zirkel der Macht, der sich drei Jahrzehnte später - so unausgesprochen wie offensichtlich - als Weltregierung versteht?

Aldo Moro war jedenfalls Erfolg beschieden. Da die US-amerikanische Regierung fürchtete, durch eine Zurückweisung die italienischen Kommunisten zu stärken, war Italien dabei, als die G6 zum ersten Mal zusammenkamen. Gänzlich unspektakulär verlief dieses Treffen: Die beschauliche Kleinstadt Rambouillet, 50 km von Paris in einem Waldgebiet gelegen, garantierte völlige Ruhe und Diskretion für die zweitägigen Gespräche. Zu Fuß ging es am Sonntagvormittag zur Messe, zu Fuß zur abschließenden Pressekonferenz im Rathaus. Das einzige Foto des Treffens zeigt die Sechs - Giscard d`Estaing, Helmut Schmidt, Harold Wilson, Gerald Ford, Aldo Moro und Takeo Miki - tatsächlich vor einem Kamin, mehr ihrem Gespräch zugewandt denn der Kamera.

Es blieb nicht bei diesem Treffen. Seit 1975 treffen sich die Staatschefs einmal jährlich zum Gipfel; Vorsitz und damit Gastgeberland wechseln jeweils zum 1. Januar. Bis heute gibt es kein Sekretariat. Die Zusammensetzung der Gruppe entsprach nie den »führenden Wirtschaftsnationen«, sondern war von Anfang an (auch) politisch motiviert. Nicht nur Italien wurde dank strategischer Überlegungen die Tür zum Gipfel geöffnet: Beim zweiten Gipfel 1976 vergrößerte Kanada den Club auf sieben Staaten, um die nordamerikanische Position gegenüber den Europäern zu stärken. Seit 1977 nimmt ein Vertreter der Europäischen Gemeinschaft an den Gesprächen teil. Um das neue Gleichgewicht nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu festigen - und wegen seines Reichtums an Rohstoffen - wohnte Russland ab 1994 dem Gipfel bei. Innerhalb von vier Jahren stieg es zum vollen Mitglied auf, aus G7 wurde G8.

Nichts als Spektakel?
Gleneagles, 2005. Die acht Staatschefs treffen sich in einem Golfhotel im schottischen Hochland. Ein Stab von 15.000 ÜbersetzerInnen, MitarbeiterInnen und BeraterInnen füllt die Hotels der Städte Glasgow und Edinburgh. Rund 3.000 JournalistInnen berichten vom Ort des Geschehens, über 10.000 PolizistInnen sind im Einsatz. Eine viertel Million Menschen geht im Rahmen der »Make Poverty History«-Kampagne auf die Straße, um die G8 willkommen zu heißen und um den angekündigten Schuldenerlass für afrikanische und südamerikanische Länder zu unterstützen. Mehrere Tausend DemonstrantInnen blockieren am ersten Gipfeltag aus Protest gegen den Gipfel die Straßen der Region.

Aus den einstigen zurückgezogenen Arbeits- und Koordinationstreffen der G7 sind gewaltige Medienspektakel geworden, flankiert von Protesten und Kampagnen. Doch zeigt sich darin ein Machtgewinn der G8? Sind die aufwendig inszenierten Gipfel der Position angemessen, zu der die Gruppe aufgestiegen ist? Geht man von den realen Einflussmöglichkeiten der acht Staaten aus, so trifft das Gegenteil zu. Denn die Geschichte der G8 war von Anfang an eine Geschichte des Verlustes an institutionalisierter Macht - und des Versuches, diese auf anderen Ebenen wiederzugewinnen.

Fragt man, welche Macht die G8 tatsächlich hat, versinkt man in ebenso blumigen wie abstrakten Umschreibungen. Die G8 sei »ein Knoten im Netzwerk globaler Hegemonie«, sagen KritikerInnen.(1) Ein »Gravitationszentrum des internationalen multilateralen Systems«, schreibt die Bundesregierung.(2) Aber was bedeutet das? Rein formell besitzt die G8 keine Macht. Sie kann weder Gesetze erlassen noch Urteile sprechen. Einfluss muss sie demnach über andere Kanäle nehmen: Konkret und sichtbar über die beteiligten Nationalstaaten und über internationale Organisationen; diffus, doch nicht weniger wirksam über die Inszenierung ihrer Treffen. Beide Ebenen sind wirksam und miteinander verknüpft, und doch hat letzteres in der Geschichte der G8 immer mehr Gewicht bekommen: Je mehr den acht Staaten ihre reale Entscheidungsgewalt verloren ging, desto mehr wurde der Gehalt der Gipfel auf die Ebene des Symbolischen verlagert.

Das erste Treffen der G8 fand vor dem Hintergrund einer schleichenden Verschiebung in den weltweiten Machtverhältnissen statt. »Bereits die bloße Existenz der G8 als nationalstaatliche Veranstaltung ist Ausdruck ihres Mangels an realer Macht«.(3) Mitte der 1970er standen die Regierungen der großen westlichen Staaten politisch wie wirtschaftlich unter Druck. Neue Akteure traten auf die globale Bühne: internationale Finanz- und Handelsorganisationen, multinationale Konzerne, wenig später auch NGOs und große Investmentfonds. Die großen Nationalstaaten begannen vor allem im Bereich der Wirtschaft an Einfluss zu verlieren.

In der Form der regelmäßigen, informellen Treffen gelang es ihnen für einen gewissen Zeitraum, ihren Machtbereich in den neu geordneten Verhältnissen zu verteidigen. In dem Maße, wie die internationalen (Finanz-) Institutionen an Gewicht gewannen, verstärkten die G7-Staaten durch Absprachen ihren Einfluss in diesen. Formell besitzen die acht Staaten zwar weder in Weltbank noch IWF eine Mehrheit - ihre Stimmanteile betragen dort 47 bzw. 48 Prozent. Doch auf den Frühjahrs- und Herbsttagungen der beiden Institutionen galten die Ergebnisse des am Rande stattfinden Treffens der G7-FinanzministerInnen lange Zeit als entscheidend. Zusammen erwirtschaften die G8 rund zwei Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts, sie stellen die Hälfte des globalen Handels. Diese geballte Wirtschaftsmacht setzte die Gruppe der Acht wiederholt ein, um gemeinsame Interessen durchzusetzen. Vor allem im Bereich Finanzen hatte sie damit durchaus Erfolg: 1985 führten die damals sieben Staaten durch eine konzertierte Aktion der Zentralbanken eine Abwertung des Dollars herbei; 1987 gelang es ihnen, eine solche abzubremsen.

Gemeinsam sind sie stärker
Um solche Aktionen durchführen zu können, ist eine Einigung nötig. Die Treffen der G8 dienen als Forum, in dem interne Konflikte bearbeitet werden. Die acht Mitgliedsstaaten nehmen in vielen Fragen unterschiedliche Positionen ein, wie beim Klimawandel oder Irak-Krieg. Eine Einigung wird erschwert durch die ungleiche Machtverteilung innerhalb der G8: Den USA kommt in wirtschaftlichen wie politischen Fragen ein ungleich größeres Gewicht zu als den anderen Staaten. Konflikte bearbeiten muss indes nicht heißen, einen Konsens herzustellen - ebenso kann es bedeuten, Themen auszusparen, wo eine Einigung nicht möglich erscheint. So macht sich die G8 weltweit für Demokratie stark, während die Menschenrechtssituation im Mitgliedsstaat Russland in allen Tagesordnungen stillschweigend übergangen wird. Um handlungsfähig zu sein, reicht es der G8, die gemeinsamen Interessen zu betonen und nach Außen geschlossen aufzutreten.

Ein eigenständiger Akteur ist die G8 nie gewesen. Die Themen und Kampagnen, die der Gruppe zugeschrieben werden, entspringen oft eher dem innenpolitischen Kalkül des jeweiligen Gastgeberlandes denn einer gemeinsamen Entscheidung. So machte Russland 2006 »Energie« zum Thema; und die große Afrika- und Entschuldungskampagne beim Gipfel 2005 war vor allem der Tatsache geschuldet, dass Tony Blair nach dem Debakel des Irak-Krieges sein Ansehen bei den WählerInnen aufbessern musste.

Die zentralen Entscheidungen gehen nicht von der G8 als Gruppe aus - aber die Tendenzen und Verhältnisse, die die gesamte Gesellschaft durchziehen, treffen in ihr zusammen und werden durch sie verstärkt. Deutlich zeigt sich dies am Umbau der Gruppe zu einer Verfechterin des Neoliberalismus in den 1980er Jahren. Denn die G7, gegründet mit dem Vorsatz, durch staatliche Interventionen wieder mehr Stabilität in die globale Wirtschaft zu bringen, zeigte sich über lange Zeit wenig beeinflusst von der neoliberalen Theorie, die seit dem Putsch in Chile 1973 auf dem Vormarsch war. Nachdem sie mit den Wahlsiegen von Margaret Thatcher 1979 in Großbritannien und 1981 Ronald Reagan in den USA zur vorherrschenden Wirtschaftstheorie wurde, zogen auch die G7 nach: Die öffentliche Kreditaufnahme müsse dringend verringert werden und die Rolle des Marktes im Staat akzeptiert werden, heißt es in ihrer Abschlusserklärung von 1981. Die neoliberale Theorie mit ihren Forderungen nach Geldwertstabilität und Rückzug des Staates fasste in der Gruppe Fuß.

Die 1980er Jahre bescherten der G7 einen ungeahnten Einfluss: Die Schuldenkrise 1982/1983 hatte die südlichen Länder in die Abhängigkeit der internationalen Finanzinstitutionen getrieben, auf deren Entscheidungen die G7 großen Einfluss hatte. Zunehmend Verfechterin liberalisierter Kapitalmärkte, konnte sie diese Politik über die Strukturanpassungsmaßnahmen von Weltbank und IWF in zahlreichen Ländern des Südens durchsetzen.

Der Zusammenbruch des Ostblocks Ende der 1980er Jahre bedeutete für die G7 einen Einschnitt. Die Jahre zuvor war die Agenda der Gipfeltreffen beständig ausgeweitet worden, neben wirtschaftlichen Themen standen Terrorismus und AIDS, Armut und Schulden, Klima und Entwicklung auf der Tagesordnung. Nicht nur die Gipfel, auch die Abschlusserklärungen waren ausschweifender (und nichtssagender) geworden. Mit dem Fall der Mauer 1989 wurden die Karten neu gemischt. Alles war nun global, betraf die ganze Welt, und im Boom der Gipfeltreffen gelang es den G7 rasch, sich neu zu positionieren. Die UNO war zu heterogen, zu zerrissen, um einen führenden Platz in der neuen Weltordnung einzunehmen. Die G7 hingegen konnte sich als effizient und kompetent geltendes Forum für globale Fragen etablieren.

Krise im Krisenstab?
Doch die Zelebrierung der Macht, die die Gipfel umgab, konnte nicht verhindern, dass nicht nur die Mitgliedsstaaten in den letzten Jahren an Einfluss verloren haben, sondern auch die G8 als eines ihrer Koordinierungsgremien. Das Netz, in das die Wirtschaften der Nationalstaaten eingebunden sind, ist zu komplex geworden, als dass sie noch jene Entscheidungsgewalt besitzen könnten, die sie nach außen vorgeben. Neue Akteure machen ihnen ihren Rang streitig: Transnationale Konzerne agieren über die Grenzen der Staaten und ihrer Einflussbereiche hinweg. Die aufstrebenden Schwellenländer fordern ihren Anteil an der Macht. Die internationalen Institutionen, an deren Aufbau die G8-Mitgliedsstaaten beteiligt waren, haben sich verselbstständigt. 2003 gelang es den G8-Staaten nicht mehr, im IWF ein von ihnen beschlossenes internationales Insolvenzrecht durchzusetzen.

In der WTO ist die G8 wegen des Handelsstreits zwischen der EU und den USA nicht handlungsfähig. Auf dem Gipfel in St. Petersburg im Juli 2006 rief die G8 zu »einer gemeinsamen Anstrengung« auf, die laufende Welthandelsrunde der WTO rasch zu einem Ende zu bringen - das Scheitern der Handelsrunde nur eine Woche nach dem Gipfel zeigt, dass die Gruppe ihre Macht in der WTO bereits an andere Akteure verloren hat.(4) Das internationale Gleichgewicht der Wirtschaftsmächte hat sich zu Ungunsten der G8 verschoben: China ist zweitgrößte Wirtschaftsmacht, Indien steht an vierter Stelle. Der Dollar droht abzustürzen, doch die G8 können seinen Wert nicht wie zuvor durch eine konzertierte Aktion regulieren. Dazu müssten sie China und andere ostasiatische Länder einbeziehen, die inzwischen die höchsten Devisenreserven angehäuft haben.

Auf der Ebene der reellen Einflussmöglichkeiten sieht es derzeit schlecht aus für die G8. Doch auf einer anderen Ebene ist sie auf der Höhe der Zeit: Ihre symbolische Präsenz als »Weltregierung« sichert ihren Stand auf der Weltbühne. Den Charakter eines informellen Clubs, in dem die Eliten unter Ausschluss der Öffentlichkeit Netzwerke aufbauen und ihre Vorhaben koordinieren, besaß gerade mal das Gründungstreffen in Rambouillet. Schon im folgenden Jahr nutzte der US-Präsident Gerald Ford das Treffen der G6 für seinen Wahlkampf, indem er die öffentliche Aufmerksamkeit darauf lenkte. Spätestens seit den 1990ern ist es das primäre Ziel der G8-Gipfel, an die Öffentlichkeit zu treten. Minutiös geplante Abläufe und Kampagnen im Vorfeld sowie eine enge Zusammenarbeit mit den Medien machen aus den Gipfeln eine große PR-Veranstaltung.

Ein Blick auf den geplanten Ablauf des kommenden Gipfels in Heiligendamm genügt, um zu erkennen, dass für ein gemeinsames Gespräch der Staatschefs kaum Zeit vorhanden ist, von einer abschließenden Bearbeitung aller aufgeführten Themen ganz zu schweigen. Über Inhalte wird höchstens in den Ministertreffen gesprochen, die im Vorfeld stattfinden. Geht es einzig und allein darum, den eigenen Machtverlust mit pompösem Theater zu überspielen?

Die Ohnmacht der anderen
Sicher nicht. Denn die symbolische Macht wirkt. Der souveräne Auftritt der acht Staatschefs sichert ihre Herrschaft mindestens ebenso gut wie die Koordinierung der Währungspolitik.

In den letzten Jahren ist vor allem in den westlichen Staaten die Verunsicherung in der Gesellschaft gewachsen. Die Umstrukturierungen des Arbeitsmarktes und der Sozialsysteme haben bestehende Sicherheitsnetze gekappt, die Angst vor der Zukunft wächst. Der aktuelle Globalisierungsschub wird als ebenso unaufhaltsam wie unkontrollierbar empfunden.

Die Gipfelspektakel der G8 sind eine Antwort auf diese Ängste in der Gesellschaft. Die G8 demonstriert Gestaltbarkeit, wo die Menschen sich in einem überkomplexen, alternativlosen System gefangen sehen. Sie zeigt Großherzigkeit, wo immer mehr Verlierer sichtbar werden. Sie verkörpert Sicherheit, wo die Menschen immer mehr Angst vor dem Absturz haben. Sie verteidigt und bekräftigt das bestehende System, kittet die feinen Risse, die sich in das Vertrauen auf das Hergebrachte eingegraben haben: »die da oben« nehmen sich der Probleme der Welt an - oder versuchen es zumindest. Die G8 führen aus, was das herrschende Politikverständnis fordert: die Rolle einer »Weltregierung«, einer Gruppe erfahrener Staatsmänner und -frauen, die in einer immer unübersichtlicheren Welt den Überblick behalten.

Die Akzeptanz des neoliberalen Modells ist angekratzt. Seine Versprechen haben sich nicht erfüllt, im Norden wie im Süden wachsen Zweifel an der Richtung der Politik. Die Kampagnen, die Erklärungen, die Gipfel der G8 sind ein Mittel, um die Kritik an den herrschenden Verhältnissen zu kanalisieren, sie in Bahnen zu lenken, in denen sie sich leichter kontrollieren lässt. Die Gruppe ist Teil eines komplexen Systems der Meinungsbildung, das definiert, was als Problem zu gelten hat: Die »globale Energiesicherheit« ist ein Thema für den kommenden Gipfel, nicht der Wachstumszwang des westlichen Wirtschaftsmodells und seine Folgen. Die Problemdefinitionen nehmen die Lösung vorweg - diese kann schließlich nur die »Sicherung« der Energieversorgung sein.

Die Kritik an der Politik der G8-Staaten wird so nicht nur neutralisiert, sondern für die eigenen Zwecke nutzbar gemacht. Die Proteste, die den Gipfel seit 1985 begleiten, spielen dabei eine widersprüchliche Rolle. Zum einen haben sie die Schattenseiten der G8 in die Öffentlichkeit getragen, sie haben die Folgen ihrer Politik für die Länder im Süden thematisiert und die Intransparenz der Treffen angeprangert. Teilweise haben sie den »imaginierten Konsens« gebrochen, den die G8 verkörpert. Doch die Proteste haben den G8 auch neue Legitimität verschafft. Die »legitimen« Forderungen verleibte sie sich ein, die Rhetorik der KritikerInnen fand Einlass in die PR-Kampagnen der G8, VertreterInnen der Zivilgesellschaft und Nicht-G8-Staaten bekamen Statistenrollen am Rand der Gipfelbühne.

Demo für die G8
Der Gipfel 2005 in Großbritannien war beispielhaft für diesen Umgang mit Protest. In loser Zusammenarbeit lenkten die britische Regierung, die NGO-Kampagne »Make Poverty History« und die Organisatoren der Live8-Konzerte möglichen Protest gegen die G8 bereits im Vorfeld in eine andere Richtung. »Protest« konnte über Konzerte, Werbespots und den Kauf von Accessoires bequem konsumiert werden. Aus dem Protest gegen die G8 wurde eine Demonstration für die G8. Die G8 nahm als Retterin Afrikas und moralische Instanz einer gerechteren Globalisierung die Rolle ihrer KritikerInnen ein und zog dem Protest den Boden unter den Füßen weg.(5) Jene Formen und Inhalte des Protestes, die sich konsequent der Vereinnahmung verweigern, wurden ins politische Abseits gedrängt. Die G8 weist dem Protest seinen Platz zu in dem Bild, das sie von sich und der Welt zeichnet.

Protest ist nicht das einzige Feld, auf dem die G8 um die Standarte der Wahrheit kämpft. Erst im Verhältnis zu einem Außen kann die G8 als Vertreterin des einzig legitimen, ja möglichen Systems erscheinen. Die rückständigen TraditionalistInnen und fanatischen IslamistInnen, die failed states des Südens und die dortigen unverbesserlichen IdeologInnen bilden ihren heterogenen, zerfaserten Gegenpol. Die G8 zurrt die Grenzen fest, auf denen ihre Deutungshoheit fußt: die Grenzen zwischen annehmbar und inakzeptabel, zwischen realistisch und illusorisch, zwischen vernünftig und verrückt.

Hartes Geld und politische Drohungen zielen dabei als Waffen zunehmend ins Leere. Den Kampf um Macht und Einfluss führt die G8 längst auf der Ebene der Bilder, Begriffe und Diskurse.

Anmerkungen

  1. »G8 delegitimieren, soziale Bewegungen stärken, Alternativen leben. Erwartungen an den G8-Prozess - ein Diskussionspapier des Arbeitsschwerpunkt Weltwirtschaft«, www. buko.info
  2. Offizielle G8-Seite der Bundesregierung, www.g-8.de/Webs/G8/DE/G8/Wirtschaftskraft/wirtschaftskraft.html
  3. »G8-Gipfel: so what?!« Dokumentation zum Diskussionsforum G8 beim BUKO-29-Kongress, Mai 2006 in Berlin. www.buko.info
  4. Erklärung zum Handel, St. Petersburg, 2006, http://www.g7.utoronto.ca/summit/2006stpetersburg/trade.html
  5. Russland zeigte im Jahr darauf, dass dies in einem autoritären Staat weder nötig noch möglich ist. Protest kann dort allein mit Repression begegnet werden, wohingegen die Legitimierung und Unterstützung der G8 durch eine breite Öffentlichkeit verloren geht.

Vorstehender Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: iz3w Nr. 3/4 07

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Juliane Schumacher studiert Politikwissenschaften und Philosophie an der Universität Potsdam.