Workcamps in KZ-Gedenkstätten

von Sigrid Müller
In nahezu allen KZ-Gedenkstätten werden Jahr für Jahr Workcamps durchgeführt: für Jugendliche und junge Erwachsene, als internationale Begegnungen oder als Klassenreisen organisiert, mit Zeitzeugengesprächen, inhaltlicher Auseinandersetzung und der gedenkstättenpflegerischen Arbeit am Ort. Allgemein wird angenommen, dass solche Veranstaltungen sinnvoll seien, denn dem Aufenthalt an Orten des Terrors und der Verbrechen wird eine aufklärerische Wirkung beigemessen. Ob diese Wirkung bei jedem Besuch eintritt, sei dahingestellt, Workcamps jedoch bieten eine Chance dafür.

Unter den Pädagoginnen und Pädagogen, die Workcamps und andere Veranstaltungen in Gedenkstätten durchführen, gibt es eine Bandbreite von Positionen zu diesem Thema. Einigen gilt die Bearbeitung der Geschichte des Nationalsozialismus als ein Mittel, um das Ziel der Völkerverständigung, Toleranz usw. zu erreichen, während andere darauf bestehen, dass die Geschichte des NS eine eigene, z.T. destruktive Wirkung in den Gesellschaften entfaltete, die noch anhält und deshalb das Ziel der Gedenkstättenpädagogik die Bearbeitung der Geschichte und ihrer Folgewirkungen ist.

Für beide Positionen gilt die Voraussetzung, dass an diesen Orten etwas gelernt werden kann. Abgesehen von der Klärung der Lernziele, stellt sich hier die Frage, unter welchen Bedingungen denn historisches Lernen stattfindet. Nach Micha Brumlik findet ein solches Lernen statt, wenn die historische Information von den Lernenden in irgendeiner Weise in Verbindung mit ihrer gelebten Gegenwart gebracht werden. Meines Erachtens ist dies der Punkt, an dem sich die Stärke von - vor allem internationalen - Workcamps in KZ-Gedenkstätten zeigen kann. Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle:
 

 
    die Begegnung mit Menschen anderer Herkunft und Kultur, unabhängig davon, ob diese in Deutschland oder in anderen Ländern leben;
 
 
    der Ort, der die Erwartungen an Authentizität aufgrund der vielen Überformungen oft nicht erfüllt, aber eine Menge an unterschiedlichen Fragen aufwirft;
 
 
    die Arbeit, die es ermöglicht, den Ort auf eine andere Art zu erschließen als durch einen herkömmlichen Rundgang, bei dem vieles oberflächlich bleibt;
 
 
    die Zeit, ein bis zwei Wochen, die den Raum bietet, dass die Fragen auftauchen und auch besprochen werden können.
 
 
    Aus meinen Erfahrungen mit internationalen Workcamps, die ich in der Gedenkstätte Sachsenhausen durchführte, kann ich sagen, dass sich oft eine sehr intensive Atmosphäre entwickelte. Die Unterschiedlichkeiten der TeilnehmerInnen bereicherten die Diskussionen, so dass deutlich wurde, wie die historischen Fakten auf den persönlichen Hintergründen interpretiert wurden. Während bspw. für die einen der Umgang mit diesen Orten nach 1945 von besonderer Bedeutung war, standen für andere TeilnehmerInnen die Frage nach Verantwortung und Schuld, aber auch das Thema Rechtsradikalismus im Zentrum. Für alle - auch für mich - war dies ein bedeutsamer Prozess. Hier wurden einerseits die verschiedenen Perspektiven auf nationalsozialistische Geschichte deutlich, und andererseits zeigte sich häufig eine Einigkeit darin, die Menschenrechte als wesentliche Grundlage jeglichen Zusammenlebens zu akzeptieren. Es wurden auch die eigenen Unsicherheiten im Umgang mit der nationalsozialistischen Geschichte, oder wegen des Nebeneinander von Spaß in der Gruppe und der Anwesenheit am Ort eines ehemaligen Konzentrationslagers zum Thema gemacht.

Diese konkreten gegenwärtigen Erfahrungen eines nicht reibungslosen und konfliktfreien, aber als positiv empfundenen kurzfristigen Zusammenlebens, das durch eine als sinnvoll erlebte Arbeit strukturiert ist, begleitet viele der Teilnehmenden noch, wenn das Workcamp schon lange vorbei ist, wie mir Rückmeldungen immer wieder zeigten.

Das, was die Einzelnen mit nach Hause nehmen ist persönlich und nicht im Sinne von »Lernerfolgskontrollen« abfragbar. Es ist das, was die Teilnehmenden aus den grundsätzlichen ethischen Fragen, die der Ort und die Geschichte aufwerfen und die sie auch an sich selber richten, machen. Und damit kann ein solches Workcamp durchaus Haltungen, Einstellungen und Wertungen beeinflussen.

Quelle: http://www.asf-ev.de/zeichen/99-1-14.shtml

Kontakt: Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V., Auguststr. 80, 10117 Berlin, Telefon: 030 / 28 395 - 184, Telefax: 030 / 28 395 - 135, e-mail: asf [at] asf-ev [dot] de

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Sigrid Müller arbeitet am Institut für vergleichende Geschichtswissenschaften in Berlin. Seit 1996 leitet sie die Sommerlager der ASF in der Gedenkstätte Sachsenhausen.