Zehn Jahre Ziviler Friedensdienst

von Günter Schönegg

Im Jahr 2009 feiert der Zivile Friedensdienst (ZFD) sein 10-jähriges Bestehen. Der ZFD ist auf dem Hintergrund der weltweiten Zunahme ethno-politischer Kriege und innerstaatlicher Gewaltausbrüche in den 1990er Jahren entwickelt worden. Finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), wird der ZFD durchgeführt von AGEH, Christliche Fachkräfte International CFI, Deutscher Entwicklungsdienst DED, EIRENE, Evangelischer Entwicklungsdienst, Weltfriedensdienst sowie zwei friedenspolitischen Dachverbänden, der Arbeitsgemeinschaft Dienste für den Frieden und dem Forum ZFD. Kern des Instruments ist die Vermittlung von qualifizierten Friedensfachkräften. Sie leisten gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen Beiträge zur Überwindung von Gewalt und zur friedlichen Transformation von Konflikten. Insgesamt wurden in den ersten zehn Jahren circa 480 Friedensfachkräfte vermittelt; im Dezember 2008 waren 167 Friedensfachkräfte in 34 Ländern eingesetzt und 27 weitere in Vorbereitung. Das BMZ hat in den letzten Jahren die Mittel für den ZFD kontinuierlich erhöht, seit 2006 wurde das Budget mehr als verdoppelt und beträgt jetzt 30 Millionen Euro.

Beispiel: Niger
Sommer 2005: die Medien in Deutschland sind voll mit Bildern und Nachrichten von der Hungersnot im westafrikanischen Sahelstaat Niger. In diesem zweitärmsten Land der Welt, klimatisch geprägt durch extreme Trockenheit mit regelmäßigen Dürren (Sahel), leben die meisten Menschen auf dem Land von Ackerbau und Viehzucht. 2004[cs1]  vernichtete in einigen Regionen eine Heuschreckeninvasion die kargen Ernten.

Glaubt man den Medien, dann sind es diese Heuschreckeninvasion und die Dürre, die zu der Hungersnot geführt haben. Der Notstand hat aber noch andere Gründe: Das anhaltend hohe Bevölkerungswachstum, der Rückzug des Staates aus der Nahrungsmittelversorgung und das Hinauftreiben der Preise durch künstliche Verknappung, wodurch skrupellose Händler sich zu bereichern suchen. Die Abholzung vorhandener Baumbestände, Erosion und Versandung führen darüber hinaus zur Verschlechterung von Wasser und Boden und verschärfen die Konflikte im Land, die immer wieder auch drohen, gewaltsam ausgetragen zu werden.

Der ZFD im Niger
Die Menschen im Niger befinden sich heute in einem Teufelskreis von Armut, Ressourcenverknappung und der Zunahme von Konflikten. Ländliche Entwicklungsprojekte werden direkt mit Konflikten und ihren Folgen konfrontiert. Eine Studie der nigrischen Nichtregierungsorganisation Karkara hat gezeigt, dass die Projekte, die sich der Konfliktrealität von Anfang an stellen und ihre Verantwortung für diese Konflikte annehmen, auch bessere Ergebnisse erzielen. Akteure aber, die die Konflikte nicht wahrhaben wollen und sie später als unerwünschte Nebeneffekte deklarieren, verlieren häufig die Kontrolle über das Geschehen, und so manch gut gemeinte Maßnahme verkehrt sich in ihr Gegenteil. Dabei ist dann nicht nur der materielle Schaden hoch, denn die Zielgruppen verlieren oft auch die letzte Hoffnung auf eine Änderung ihrer Lebensverhältnisse.

EIRENE arbeitet seit 32 Jahren im Bereich der ländlichen Entwicklungszusammenarbeit mit lokalen Partnern im Niger. Der Zivile Friedensdienst ermöglicht es, konfliktsensible Ansätze mit den Partnern vor Ort weiter zu entwickeln. So wurde mit Karkara das Projekt GENOVICO entwickelt. Es basiert auf der Überzeugung , dass Konflikte friedlich bearbeitet werden können. Dabei fehlten aber vor Ort oft die Kompetenz und Erfahrung, diese neuen Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen. Das Projekt GENOVICO will diese Kompetenzen schaffen und fördern. Dazu unterstützt es den Aufbau eines Netzwerks von TrainerInnen und ExpertInnen in gewaltfreier Konfliktbearbeitung. Von 2002 – 2005 wurden landesweit etwa 40 solcher TrainerInnen ausgebildet. Im September 2005 gründeten sie das nigrische Netzwerk RE-GENOVICO. Durch seine Regionalgruppen ist es in allen nigrischen Regionen präsent. Es bietet Training, Beratung, Moderation von Verhandlungen und Mediation an. Diese Dienste werden von traditionellen Chefs, Gemeinderäten und Bürgermeistern, Viehzüchter-, Bauern- und Frauenorganisationen in Anspruch genommen. Eine der wichtigsten Zielgruppen sind Entwicklungsprojekte und –programme.

Eine erfolgreiche Mediation
Ein Beispiel: Ein Entwicklungsprojekt im Osten des Landes unterstützte zwei Dörfer dabei, in einem fruchtbaren Tal gemeinsam eine Plantage anzulegen. Ein profitables Projekt, das es den beiden Dörfern ermöglichen sollte, die nötigen Mittel zu erwirtschaften, um damit weitere Entwicklungsmaßnahmen zu finanzieren. In einem Dorf leben Haussa-Ackerbauern, im Nachbardorf Peul-Fuldé, die vor allem von Viehzucht leben. Als zwischen den Bäumchen in der Plantage Unkraut zu wachsen begann, empfahl der Berater des Projektes dem ersten Dorf, zwischen die Bäumchen Niébé-Bohnen zu pflanzen. Dies schien eine sinnvolle Idee, weil diese Bohnen den Unkrautwuchs verhindern und zusätzliches Einkommen schaffen. Von den Bewohnern des zweiten Dorfes wurde diese Aktion allerdings so verstanden, dass das Projekt sie umgangen hatte und die Plantage nun dem ersten Dorf als Besitz zugesprochen worden war. In ihrer Wut schickten sie ihre Tiere in die Plantage, und innerhalb weniger Stunden war sie komplett vernichtet.

Über zwei Jahre sprachen die Bewohner beider Dörfer nicht mehr miteinander, die Plantage wurde nicht mehr benutzt und versteppte. Nachdem ein Mitarbeiter des Projektes von GENOVICO in Konfliktbearbeitung ausgebildet worden war, unternahm er eine Initiative, die beiden Dörfer wieder „an einen Tisch“ zu bringen. Es gelang, den Kontakt wieder herzustellen und sich darauf zu einigen, dass das Tal zwischen den beiden Dörfern aufgeteilt wurde. So kann es zumindest wieder bewirtschaftet werden. Wichtiger noch ist jedoch, dass das Projekt und seine Mitarbeiter gelernt haben, in Zukunft ihre Aktionen systematisch konfliktverträglich zu planen und durchzuführen. Dazu muss es die Konflikte gut kennen und analysieren und bei jedem Schritt überlegen, wie er sich wohl auf diese Konflikte auswirkt. Das dafür nötige Wissen haben die Projektmitarbeiter bei einem Ausbildungskurs von GENOVICO erworben.

Es zeigt sich: Es gibt keinen Frieden ohne Entwicklung und keine Entwicklung ohne Frieden. Dies gilt gerade dort, wo die Menschen am meisten verwundbar sind, in den ärmsten Ländern der Welt. Zivile Konfliktbearbeitung muss daher auch in der Entwicklungspolitik eine Querschnitts­aufgabe sein.

Sieben Handlungsfelder des ZFD
Im Zivilen Friedensdienst kooperieren Organisationen mit sehr unterschiedlichen Kompetenzen, Zugängen, Ansätzen und Strategien. Kirchliche Organisationen, friedenspolitische Organisationen, zivilgesellschaftliche Entwicklungsorganisationen und der staatliche DED haben sehr unterschiedliche Friedenskonzepte und Interventionsstrategien. Diese Vielfältigkeit wird von den beteiligten Akteuren als Stärke betrachtet, insofern vielfältige gesellschaftliche Zugänge (auch zu den verschiedenen Konfliktakteuren), Kompetenzen und Interventionsoptionen zur Verfügung gestellt werden.

In den gemeinsamen Standards wurden sieben Handlungsfelder des ZFD identifiziert:

  1. Der Aufbau von Kooperations- und Dialogstrukturen über Konfliktlinien hinweg (einschließlich der Stärkung traditioneller Schlichtungsinstanzen);
  2. Schaffung von Anlaufstellen und gesicherten Räumen für Unterstützung und Begegnung von Konfliktparteien;
  3. Die Stärkung von Informations- und Kommunikationsstrukturen zum Thema „Ursachen und Auswirkungen gewaltsamer Konflikte“ (u.a. Friedensjournalismus, Vernetzung, Monitoring von Konfliktverläufen);
  4. Die Schaffung von Anlaufstellen und gesicherten Räumen für die Unterstützung und Begegnung von Konfliktparteien, und die Reintegration und Rehabilitation der von Gewalt besonders betroffenen Gruppen (einschließlich Maßnahmen der psychosozialen Unterstützung/ Traumabearbeitung);
  5. Beratung und Trainingsmaßnahmen zu Instrumenten und Konzepten ziviler Konfliktbearbeitung, sowie beim Aufbau von Strukturen;
  6. Friedenspädagogik (einschließlich Bildungsmaßnahmen zum Abbau von Feind­bildern);
  7. Die Stärkung der lokalen Rechtssicherheit (Beobachtung der Menschenrechtssituation, Schutz vor Menschenrechtsverletzungen, Aufbau und Stärkung lokaler Institutionen).

Der Zivile Friedensdienst als Beitrag einer Zivilen Friedenspolitik Deutschlands?
In dem »Aktionsplan Zivile Krisenprävention und Konfliktbearbeitung» von 2004 hat die Bundesregierung das eindeutige Primat einer zivilen Friedenspolitik als Anspruch formuliert. Die Schwächen des Planes sind in den letzten Jahren deutlich geworden. Der Zivile Friedensdienst ist in dem Aktionsplan eine von ca. 160 Einzelmaßnahmen, ohne dass Prioritäten und strategische Orientierungen sichtbar geworden wären. Während der Zivile Friedensdienst vom BMZ und den Durchführungsorganisationen entschlossen aufgebaut wurde, ist eine Gesamtstrategie der Bundesregierung für Zivile Konfliktbearbeitung bisher nicht erkennbar. Für den Zivilen Friedensdienst bedeutet dies, dass von ihm Wirkungen erwartet werden, die nur im Rahmen einer international koordinierten Gesamtstrategie erreicht werden könnten, in der auch Fragen wie der internationale Waffenhandel und krisenverschärfende Wirtschafts- und Handelsfragen und eine konsequent konfliktsensible Armutsbekämpfung berücksichtigt werden.

In Afghanistan beispielsweise interveniert die Bundesregierung mit großem finanziellen und politischen Aufwand, wobei der Schwerpunkt auf militärischen Mitteln liegt, ohne dass eine kohärente friedenspolitische Strategie zu erkennen wäre. Seit vier Jahren engagiert sich der DED auch mit Friedensfachkräften in der Region. Friedensfachkräfte sehen sich daher in eine Nähe zu militärischen Maßnahmen gerückt, zu denen sie konzeptionell gar nicht gehören. Die zivilmilitärische Zusammenarbeit begründet sich vor allem aus Interessen der Militärs, z.B. Imageverbesserung oder Informationsgewinnung. Sie wird auch damit begründet, dass sie die Sicherheit für zivile Beiträge erhöhe. In Afghanistan wird die Nähe zu militärischen Komponenten aber als sicherheitsgefährdender Faktor wahrgenommen. Eine klare politische Abgrenzung des ZFD von der zivilmilitärischen Zusammenarbeit und eine deutliche Schwerpunktverlagerung hin zu zivilen Komponenten im Rahmen einer kohärenten Gesamtstrategie ist erforderlich, damit der ZFD wirksam werden kann.

Auch in Israel/Palästina sind die Akteure des ZFD mit der Frage konfrontiert, welchen Beitrag sie leisten können, wenn keine überzeugende politische  Friedensstrategie erkennbar ist. Die ZFD-Projekte leisten dort wichtige Arbeit in der Zusammenarbeit mit lokalen Friedensakteuren (Bildungseinrichtungen, Medien, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen). Die Effekte dieser Arbeit drohen jedoch zu verpuffen, wenn der politische Gesamtprozess ziviler Konfliktbearbeitung ausbleibt. Der Zivile Friedensdienst kann eine kohärente zivile Friedenspolitik nicht ersetzen.

Soziale Transformationsprozesse in Konfliktgebieten sind langwierig. Kurzfristige Aktivitäten, die abhängig von heute vorhandenen und morgen fehlenden finanziellen und personellen Ressourcen nicht berechenbar sind, können hier großen Schaden anrichten. Daher ist es unabdingbar, dass in Deutschland parteiübergreifend ein Konsens über die langfristige Fortführung des ZFD herbeigeführt wird.

Teile dieses Beitrags sind schon an anderer Stelle publiziert gewesen und wurden für diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung der AGDF und des LIT Verlags wiederverwendet :

AGDF (Hrsg) Zivil statt militärisch – Erfahrungen mit ziviler, gewaltfreier Konfliktbearbeitung im Ausland. 2006, S. 24ff

Friedensgutachten 2009, Hrsg. Bonn International Center for Conversion (BICC) et al, Berlin: Lit Verlag, S. 280ff (12€).

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Günter Schönegg, Theologe und Pädagoge, war von 2002 bis 2005 als Friedensfachkraft mit EIRENE im Niger und hat dort mit der Partnerorganisation Karkara das Projekt GENOVICO entwickelt